Ein Albtraum Nahost – made in Washington
Kaum jemals zuvor hatten die Vereinigten Staaten eine Regierung mit einer derart aggressiven Rhetorik. Aber trotzdem verhält sie sich gegenüber dem Atomstaat Nordkorea momentan rational. Dass Washington die Konfrontation nunmehr entschärfen will, lässt sich an den jüngsten Plänen für ein Treffen der beiden Staatschefs erkennen. Dazu diente bereits ein unangekündigter Besuch des ehemaligen CIA-Direktors und US-Außenministerkandidaten Mike Pompeo in Pjöngjang.
Im Nahen Osten hingegen verhält sich die Regierung von Präsident Donald Trump erschreckend rücksichtslos. Sie spielt dort mit den Ängsten Saudi-Arabiens und riskiert dabei eine mögliche Konfrontation mit dem Iran.
Dabei ist Nordkoreas "kleiner Raketenmann", wie Donald Trump Diktator Kim Jong Un in seiner Rede vor den Vereinten Nationen im September 2017 nannte, in vielerlei Hinsicht gefährlicher als die iranische Führung.
Natürlich dürfen die Risiken der Ideologie und der expansiven regionalen Außenpolitik des Irans keineswegs auf die leichte Schulter genommen werden. Allerdings ist Teherans Politik nicht nur ideologisch geprägt, sondern von nationalen Interessen und rationalem Kalkül bestimmt.
Bewusste Konfrontation
Warum also gehen die USA nicht diplomatischer vor, um den bereits jetzt weitgehend zerstörten Nahen Osten vor einem weiteren verheerenden Krieg zu retten – bei dem diesmal Saudi-Arabien und Israel auf der einen und der Iran auf der anderen Seite stehen würden? Stattdessen scheint Trump mit seinen Plänen, das iranische Nuklearabkommen seines Vorgängers Barack Obama rückgängig zu machen, eine solche Konfrontation geradezu herbeiführen zu wollen.
Warum ist das so? Einerseits sind die USA daran interessiert, mit den Golfstaaten, insbesondere Saudi-Arabien, auch zukünftig lukrative Waffengeschäfte zu machen. Außerdem fordert die politisch rechte Regierung Israels einen Bombenangriff auf den Iran, und dem schließen sich auch viele US-Politiker an.
Was den ersten dieser beiden Gründe betrifft, hat Trump aus seiner Absicht, die saudische Geldquelle maximal auszuschöpfen, nie ein Geheimnis gemacht. Bei seinem im Fernsehen übertragenen Treffen mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman äußerte Trump die Hoffnung, dort allein in den Jahren 2018-19 Waffengeschäfte im Wert von mehr als 700 Milliarden Dollar abzuschließen. Und die beste Garantie für diese aktuellen und zukünftigen Geschäfte besteht darin, die Angst der Saudis vor dem Iran zu schüren. Diplomatische Bemühungen zur Beseitigung dieser Angst wären hingegen weit weniger profitabel.
Was den zweiten Grund angeht, ist Saudi-Arabien bereits jetzt mit einem heiklen Krieg im Jemen beschäftigt, der nach über zwei Jahren weit davon entfernt ist, beendet zu werden. Ironischerweise wurde dieser Krieg von den Saudis "die Schlacht der Entscheidung" genannt und sollte ursprünglich nur ein paar Wochen dauern – gerade lang genug, um die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen zu erledigen.
Stattdessen stehen die Saudis nun aufgrund dieses Krieges finanziell und politisch unter Druck. Wegen seiner Folgen – den vielen jemenitischen Opfern, dem Hunger von Millionen Zivilisten und der Ausbreitung von Seuchen – wird das Land international immer stärker kritisiert.
Wenn die Saudis schon mit diesem vermeintlich "kurzen Feldzug" überfordert sind, wie können sie dann glauben, sie hätten eine Chance, einen viel umfassenderen regionalen Krieg gegen den Iran zu gewinnen? Nein, sogar mit Israels Hilfe brächte ein solcher Krieg allen Beteiligten nur noch weitere langwierige, teure und blutige Konflikte ein.
Die Amerikaner wissen dies natürlich. Sie kennen die militärische Schwäche der Saudis – trotz aller importierter Waffen. Aber in ihrem eigenen Interesse teilen sie das ihrem reichen Verbündeten nicht offen mit. Den Saudis ehrliche Ratschläge zu geben, würde bedeuten, eine "große politische Einigung" mit dem Iran anzustreben.
Aus der Unwissenheit politisches Kapital schlagen
Mit ihrer Unehrlichkeit nutzen die Amerikaner auch die politische Impulsivität des jungen und unerfahrenen saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman aus. Dessen Öffentlichkeitsberater, von denen die meisten selbst Amerikaner sind, scheinen ihm gewisse politische Kenntnisse vermittelt zu haben, die aber bei näherem Hinschauen ziemlich trivial wirken: Eine dieser Lektionen, die der Kronprinz immer gern wiederholt, ist eine geschichtliche Parallele. Er vergleicht den nichtkonfrontativen Ansatz des Westens gegenüber dem Iran, der in der Obama-Zeit mit dem Nuklearabkommen seinen Höhepunkt erreicht hatte, mit der westlichen Beschwichtigungspolitik gegenüber Hitler vor dem Zweiten Weltkrieg.
Mit dieser Analogie wird verzweifelt versucht zu suggerieren, ohne eine Konfrontation gegen den Iran würde sich die Islamische Republik im Nahen Osten ausbreiten und andere Länder erobern. Als Beispiel dient dabei das berüchtigte Münchner Abkommen vom September 1938, als britische und französische Politiker Hitler letztlich das Recht gaben, in die Nachbarstaaten Deutschlands einzumarschieren.
Ob die Ambitionen der Nazis und die Ereignisse, die dann 1939 zum Krieg führten, ohne diesen Pakt hätten gestoppt werden können, ist unter Historikern umstritten. Dies mit dem Iran zu vergleichen, ist jedoch in vielerlei Hinsicht naiv: Nach dem Abkommen von Versailles im Jahr 1919 gab es in Deutschland viele Probleme, die zum Aufstieg Hitlers führten. Diese sind im Iran nicht vorhanden. Weiterhin waren nach dem Fall des Kaiserreichs Gebiete von Deutschland abgetrennt und den Nachbarstaaten zugeteilt worden. Die aggressive Kriegsstrategie der Nazis hatte das Ziel, diese Gebiete wiederzuerlangen, was auch zu ihrer Popularität beitrug.
Die Regionalpolitik des Iran hingegen wird von Nervosität bestimmt – und der Tatsache, dass das Regime im Land selbst keine stabile politische Unterstützung genießt. Auch für Hitlers Völkermord an den Juden gibt es in der Mentalität der iranischen Führung keine Entsprechung – und auch keine Zielgruppe. Diejenigen, die Mohamed bin Salman diese Analogie in den Kopf gesetzt haben, wissen, dass sie damit Israel in die Hände spielen. Außerdem trägt sie dazu bei, gemeinsame Kriegspläne zwischen den Saudis und ihren ungleichen jüdischen Alliierten zu festigen.
Eine Region vor dem Abgrund
Wie würde ein solcher Krieg zwischen dem Iran und einer von den USA unterstützten saudisch-israelischen Allianz aussehen? Kurz gesagt, er würde die gesamte Region in den Abgrund stürzen.
Das iranische Militär und seine Unterstützergruppen in den umliegenden Ländern wären in der Lage, ihren Gegnern erheblichen Schaden zuzufügen. Selbst mit massiven Erstangriffen könnten die iranischen Raketenarsenale nicht völlig zerstört werden. Mit den verbleibenden Raketen könnte der Iran in einem solchen Krieg nicht nur israelische Gebiete treffen, sondern auch große Golfstädte wie Riad, Abu Dhabi, Dubai, Manama und sogar den amerikanischen Militärstützpunkt in Qatar.
Diese verwundbaren Metropolen, die von Handel und extravaganten Attraktionen leben, wären leichte Ziele. Selbst im Jahr 1991 waren Saddam Husseins stark geschwächten Arsenale noch schlagkräftig genug, um israelische und saudische Städte zu treffen. Der Iran wird sich als noch standfester erweisen, seine Fähigkeit zum Rückschlag wird wahrscheinlich noch höher sein.
Darüber hinaus könnten die schiitischen Milizen in der Region sogar die Gewalt des "Islamischen Staats" in den Schatten stellen. Wahrscheinlich würde sich die libanesische Hisbollah direkt an einem Krieg gegen Israel beteiligen, was bedeuten könnte, dass der Libanon als Land vernichtet würde.
Und auch die Hamas in Gaza könnte die Gelegenheit nutzen, eine weitere Front zu eröffnen – und damit dem bereits jetzt verwüsteten Gazastreifen völlig den Rest geben. Und auch Syrien und sogar der Irak würden unweigerlich zu Schlachtfeldern, was noch mehr Elend zur Folge hätte.
Zudem würde die Wirtschaft der Golfstaaten extremen Schaden erleiden. Ein Krieg hätte drastische Auswirkungen auf die Ölvorräte, was wiederum die Preise für das „schwarze Gold“ in schwindelnde Höhen katapultieren könnte. Wie die Türkei in Nordsyrien auf ein derartiges Chaos reagieren und sich an einem Krieg beteiligen würde, bleibt eine offene Frage. Und würde dieser Krieg – was wahrscheinlich ist – längere Zeit andauern, könnte man sich das Ausmaß der Ströme von Flüchtlingen und Vertriebenen kaum vorstellen.
Das Scheitern der Diplomatie
Eine weitere beängstigende Variable eines solchen Krieges ist die Position Russlands. Die russischen Beziehungen zum Westen werden immer schlechter, und das Land wird immer mehr zum Gegner der westlichen Politik. Da Russland sich bemüht, seinen Einfluss im Nahen Osten zu festigen, würde es wahrscheinlich den Iran unterstützen.
In der rechtskonservativen israelischen Presse werden die iranischen Mullahs als Fanatiker dargestellt, die den jüdischen Staat existenziell bedrohen. Eine solche Wahrnehmung ist jedoch sinnentleert und unbegründet. Jenseits der aggressiven Rhetorik ist die offizielle iranische Einstellung gegenüber dem israelisch-palästinensischen Konflikt viel gemäßigter.
Der Iran würde letztlich das akzeptieren, was auch die Palästinenser akzeptieren würden. Käme es zu einer gerechten Lösung im Konflikt mit den Palästinensern, würde auch die angebliche Bedrohung durch den Iran schnell wegfallen. Die momentane amerikanische Regierung aber macht das Gegenteil, indem sie Palästina ignoriert und Israel blind unterstützt. Damit spielt sie den iranischen Kriegstreibern in die Hände und trägt dazu bei, dass sich die dortige Öffentlichkeit radikalisiert und immer mehr für iranische Werte öffnet.
Aus dem Krieg im Jemen sollten die Saudis eigentlich ihre Lektion gelernt haben: Man kann zwar entscheiden, wann man einen Krieg beginnt, hat dann aber keinen Einfluss mehr darauf, wann er wieder beendet wird. Ein Krieg gegen den Iran hätte unvorstellbare Folgen. In einem solchen Konflikt gäbe es nur Verlierer.
Fließt nur ein Bruchteil der Bemühungen und Ressourcen, die für einen solchen Krieg vergeudet würden, in die Diplomatie, kann eine umfassende friedliche Einigung mit dem Iran erreicht werden, was sich wiederum auf die gesamte Region auswirken würde. Die USA signalisieren im Augenblick ihre Bereitschaft, mit Nordkorea zu sprechen – und zu versuchen, Asien vor den Gefahren und der Zerstörung eines Atomkriegs zu schützen. Warum sollte dies nicht auch im Nahen Osten möglich sein?
Khaled Hroub
© Open Democracy 2018
Aus dem Englischen von Harald Eckhoff
Der Publizist und Medienwissenschaftler Khaled Hroub ist Berater des "Oxford Research Group's (ORG) Middle East Programme" und zählt gegenwärtig zu den wichtigsten Meinungsmachern im arabischen Raum. Er war Direktor des "Cambridge Arab Media Project" an der Universität Cambridge.