Zuhören, nicht wegsperren
Kurz vor Präsident Baschar Al Assads Wiederwahl sind einige prominente syrische Regimekritiker zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Das Regime in Damaskus verspielt damit die Chance, gemäßigte Oppositionelle in einen überfälligen politischen Reformprozess miteinzubeziehen, meint Kristin Helberg in ihrem Kommentar.
Wer verstehen will, warum die vier Regimekritiker Anwar Al Bunni, Kamal Labwani, Michel Kilo und Mahmoud Issa im Gefängnis sitzen, schaue sich die Anklagen an, die das Oberste Strafgericht in Damaskus gegen sie erhob. Nicht weil sie beinhalten, was die Verurteilten getan haben, sondern weil sie veranschaulichen, wovor Syriens Machthaber sich fürchten.
Die Vorwürfe reichen von der "Verbreitung falscher Informationen" über die "Schwächung nationaler Gefühle" und die "Anstiftung zu sektiererischen Unruhen" bis zur "Aufforderung eines ausländischen Staates zu einem aggressiven Akt gegen Syrien".
Der Menschenrechtsanwalt Al Bunni, der Arzt und Maler Labwani, der Autor Kilo und der Übersetzer Issa – allesamt Vaterlandsverräter? Keineswegs. Sie sind überzeugte Syrer, sie glauben an ihr Land und ihr Volk und wünschen sich gerade deshalb mehr Freiheit und Rechte für ihre Landsleute.
Doch kritische Töne wie die ihren stören den nationalistischen Taumel, in dem sich Syrien seit der Krise im Libanon vor zwei Jahren befindet. Drohgebärden, Sanktionen und Isolationsversuche des Westens haben die Syrer im Inneren zusammengeschweißt – wer nicht mittaumelt, gilt schnell als Kollaborateur des Auslands.
Was also haben die vier getan, um als Staatsfeinde behandelt zu werden? Michel Kilo und Mahmoud Issa, die jeweils für drei Jahre hinter Gitter müssen, haben mit einigen hundert anderen die Damaskus-Beirut-Erklärung unterzeichnet. Darin fordern Intellektuelle beider Länder eine Normalisierung der syrisch-libanesischen Beziehungen.
In dem Manifest steht nichts, was Damaskus nicht schon selbst eingesehen hätte, das Problem liegt nicht im Inhalt, sondern in den Urhebern der Erklärung. Das syrische Regime vermutet die Kräfte des 14. März dahinter – jene libanesischen Politiker, die im Frühjahr 2005 einen Abzug der syrischen Truppen aus dem Libanon herbeidemonstrierten und nun ganz offen den Sturz der Machthaber in Damaskus fordern.
Diese fühlen sich indes von Feinden umstellt: amerikanische Truppen im Irak, eine anti-syrische Regierung in Beirut und das militärisch übermächtige Israel seit 40 Jahren auf dem syrischen Golan. Da löst jede Annäherung zwischen inländischen Oppositionellen und ausländischen Widersachern Alarm aus.
Eine durchaus nachvollziehbare Reaktion angesichts der Erfahrungen im Irak und in Afghanistan, wo Gegner der dortigen Regimes den amerikanischen Truppen den Weg nach Bagdad und Kabul ebneten. Doch die syrischen Chalabis und Karzais sitzen nicht in Damaskus, sondern, wenn überhaupt, in Washington oder Paris.
Mit der einheimischen Opposition hat die Regierung von Präsident Assad ein Glück, das sie noch immer nicht begriffen hat und folglich nicht zu nutzen weiß. Säkulare Linke, Sozialdemokraten, Liberale, sogar Kurden und Vertreter eines politischen Islam fordern einhellig friedliche, schrittweise Veränderungen von innen und lehnen jede ausländische Einmischung ab.
Was will ein autoritäres Regime mehr, als solch gemäßigte Gegner? Für eine Demokratisierung auf Raten braucht es aus Sicht der Opposition zwei grundlegende Entscheidungen: Ein neues Parteiengesetz muss unabhängige Parteien zulassen, die nach vier Jahrzehnten Baath-Sozialismus den gesellschaftlichen Diskurs wiederbeleben und ein politisches Bewusstsein in der Bevölkerung schaffen.
Und der Ausnahmezustand, der seit 44 Jahren Syriens verfassungsmäßige Gesetze aushebelt und juristische Willkür erlaubt, muss abgeschafft oder zumindest deutlich eingeschränkt werden.
Für diese Ziele kämpfte auch Rechtsanwalt Al Bunni, der zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde, weil er über Folter in syrischen Gefängnissen berichtete und ein von der EU finanziertes Ausbildungszentrum ohne Genehmigung eröffnete. Al Bunni verfolgte keine politische Agenda, es ging ihm um Gerechtigkeit. Er sagte Sätze wie: "Wenn die Baathpartei ab morgen Menschenrechte respektiert und dem syrischen Volk seine Freiheit gibt, habe ich kein Problem mit ihr".
Diese Einstellung bewahrte ihn lange vor einer Verhaftung, doch am Ende gingen sein unermüdliches Engagement und seine Kontakte zu westlichen Diplomaten und Politikern den Geheimdiensten zu weit. Aus ihrer Sicht lieferte Al Bunni dem Ausland zu viel Munition für Angriffe gegen die syrische Regierung.
Dass Kamal Labwani, der vierte der Verurteilten, für seine Aufklärungstour durch Europa und die USA lebenslänglich bekam, verwundert vor diesem Hintergrund nicht. Labwani hatte sich in Washington mit Vertretern der US-Regierung getroffen und wurde bei seiner Rückkehr am Flughafen von Damaskus verhaftet. Aus lebenslänglich machte das Gericht eine zwölfjährige Haftstrafe.
Die Stimmung unter Syriens Oppositionellen ist nach den Urteilen auf einen neuen Tiefpunkt gesunken. Monatelang hatten sich Angehörige, Freunde und Mitstreiter der Angeklagten bei den Gerichtsverhandlungen getroffen und Mut zugesprochen. Jetzt haben sie Gewissheit, dass Meinungsvielfalt und konstruktive Kritik noch immer nicht erwünscht sind.
Da stellt sich die Frage, ob das Baath-Regime überhaupt willens ist, das politische System, das es selbst geschaffen hat, umzubauen. Mit Hinweisen auf amerikanische Menschenrechtsverletzungen in Guantanamo und Abu Ghureib lehnt es jede Form von Demokratie-Belehrung aus dem Westen ab.
Einverstanden – Korruption, Willkür, ausufernde Bürokratie und mangelndes Verantwortungsbewusstsein müssen von innen bekämpft werden, damit sie anderen, denen es weniger um das Wohl Syriens als um eigene Interessen geht, nicht als Vorwand dienen können. Genau dafür setzen Kilo, Al Bunni und Co. sich ein – deshalb müssen sie gehört und nicht weggesperrt werden.
Kristin Helberg
© Qantara.de 2007
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