Krieg als Spielszenario

Der Krieg am Golf entwickelte sich zum Medienkrieg, in dem Meinungsfreiheit und objektive Berichterstattung oft auf der Strecke bleiben. Kai Hafez fordert daher umfassende medienpolitische Maßnahmen.

Interview von Arian Fariborz

Sie sagen, dass der Irak-Krieg die Berichterstattung deutscher Medien und damit die Medienkultur verändert hat. Der deutsche Journalismus sei skeptischer geworden. Warum?

Kai Hafez: Es hat noch keinen Krieg in der vergangenen Zeit gegeben – angefangen beim 2. Golfkrieg bis hin zu den Konflikten in Bosnien oder im Kosovo – wo weite Teile des Journalismus noch während einer laufenden Kriegsberichterstattung bereits Kritik an derselben geübt haben; d.h. also, auf die Unzulänglichkeiten des Informationsflusses hingewiesen haben, auf die propagandistischen Interessen derjenigen, die die Informationen geben, auf ihren mangelnden Zugang zu den jeweiligen Orten der Gewaltausübung. Das ist unvergleichlich. Nun gab es eigene Programmsequenzen in öffentlich-rechtlichen Sendern, in denen nicht über den Krieg, sondern über die Berichterstattung kontrovers diskutiert wurde. Diese Kritikfähigkeit finde ich sehr beachtlich. Das zeigt, dass seit dem 2. Golfkrieg offensichtlich eine kritischere Reflexionskultur im deutschen Journalismus eingesetzt hat. Es stellt sich natürlich sehr die Frage, ob dieses: ‚Ich weiß, dass ich nichts weiß!’ ausreicht für eine umfassende Berichterstattung.

Für harsche Kritik sorgt allerdings das Konzept vom „eingebetteten“ Journalisten, der mit an vorderster Front dabei ist und berichtet. Was halten Sie von dieser neuen Art der Kriegsberichterstattung?

Hafez: „Embedded journalism“ bringt keinerlei Fortschritte. Journalisten unterliegen mehr oder weniger dem militärischen Regelwerk und damit letztendlich einem propagandistischen Kommunikationsinteresse. Das wird daran deutlich, dass Journalisten zwar in die Nähe von Kampfhandlungen kommen und dieselben auch sehen und Zerstörungen erahnen können. Aber direkt an das unmittelbare Elend, also an Tote, kommen sie in der Regel nicht heran. Sie befinden sich also immer in der Halbdistanz. Und das Risiko, das sie dabei eingehen, ist bezeichnenderweise auch sehr viel geringer als das Risiko, dass Journalisten eingehen, die ohne „embedding“ frei aus Bagdad berichten. Die Gefahren dieses „traditioneller“ berichtenden Reporters, der also auf eigene Faust vor Ort geht, sind wesentlich größer. Und damit ist auch die Authentizität dessen größer, was er berichtet. Der „embedded journalism“ ist ein fauler Kompromiss. Er bringt uns keinen Millimeter weiter und steigert darüber hinaus die Gefahr, dass Kriege im Grunde als Spielszenarien angesehen werden. Wenn man das bei CNN beobachtet, dann wird das ja präsentiert als eine Art Wettkampf oder Sportereignis, wo die eigenen Leute gewinnen sollen und die anderen gefälligst zu verlieren haben. Da besteht beim Nutzer auch durchaus die Gefahr, dass da eine gewisse Enthemmung gefördert wird, dass der Krieg nicht mehr in erster Linie als Elend begriffen wird, sondern mehr als Wettkampfsituation.

Wird dieser "eingebettete" Journalismus denn nicht auch von deutschen Medien mitgetragen oder sogar gefördert, wenn Bilder amerikanischer und britischer Frontreporter ins Programm übernommen werden?

Hafez: Bestimmt. Aber wie gesagt ist die kritische Selbstreflexion im deutschen Journalismus in diesem Krieg positiv zu bewerten. Darüber hinaus sehe ich eine Verbesserung im Transfer lokaler arabischer Nachrichten und Medien in unser hiesiges System. Hier hat sich einiges getan. Stichwort al-Jazeera – das Aufkommen eines unabhängigen arabischen Fernsehmediums. Hier zeigt sich auch, dass insbesondere das deutsche Mediensystem gut daran getan hat, mit Sendern wie al-Jazeera Kooperationsverträge zu schließen. Das ist ja zum Teil erst nach dem 11. September der Fall gewesen. Die Monopolstellung von recht einseitig berichtenden Medien, wie CNN, ist beendet. Es zeigen sich aber auch Schattenseiten: Während wir es früher mit Propaganda zu tun hatten, sind wir heute mit Propaganda und Gegenpropaganda konfrontiert. Denn auch al-Jazeera unterliegt ganz massiv irakischen Propaganda-Interessen.

Gibt es überhaupt eine Chance, dieses Dilemma westlicher, aber auch arabischer Medien zu überwinden, um künftig für eine ausgewogenere Berichterstattung in Konflikten garantieren zu können?

Hafez: Es muss einen dritten Weg geben. Westliche Demokratien sind darauf angewiesen, dass sie unabhängige Informationen bekommen, die letztlich weder von der Propaganda des einen, noch des anderen gesteuert wird. Das heißt, es müssen medienpolitische Forderungen gestellt werden. Die eine lautet: ungehinderter Zugang zu Satellitenaufklärung. Sämtliche Satellitenbilder über den Irak-Krieg sind von den Amerikanern vom Markt gekauft worden. Man hat keinen unabhängigen Zugang zu einer letztendlich zivilen Technologie. Das würde uns auch mehr Einblicke in die wirkliche Zahl der zivilen Opfer des Krieges verschaffen. Der andere Aspekt ist, dass meiner Meinung nach auch Militärs nach Kriegsende vor Ausschüsse gestellt werden sollten. Ich finde, Militärs müssen einer demokratischen Regierung, den Vereinten Nationen oder dem internationalen Gerichtshof Rede und Antwort stehen über Informationsfälschung, die es natürlich auch wieder in diesem Krieg gegeben hat – von beiden Seiten. Und da sind natürlich die Medienpolitiker gefragt, allen voran die Journalistenverbände und Gewerkschaften, die meines Wissens überhaupt noch nicht damit begonnen haben, darüber effizient nachzudenken.

Wie beurteilen Sie die Berichterstattung der arabischen Medien? Sind Journalisten in diesem Krieg nicht einer schärferen Kontrolle oder Zensur durch die jeweiligen Machthaber in den arabischen Staaten ausgesetzt?

Hafez: Man muss da unterscheiden zwischen den nationalen Fernsehsendern, die zum Teil privat sind, aber staatlich kontrolliert werden, und den Presse-Medien, die in vielen Ländern doch ein etwas größeres Maß an Freiheit besitzen. Die Presse ist üblicherweise eigentlich das Bindeglied zwischen den Regierungen und den Bevölkerungen. Das wird von vielen Machthabern in solchen Ausnahmesituationen auch so gesehen. Das heißt, in der Presse wird auch Bevölkerungsmeinung artikuliert – auch wenn die eigene Regierung vielleicht auf der Seite der Amerikaner steht. Typisches Beispiel ist Ägypten: Mubarak steht mehr oder weniger zu den USA, er ist passiv, wohingegen sicherlich 95 Prozent der Bevölkerung auf der Seite der Iraker steht. Da muss jede Regierung zumindest in den Medien gewisse Ventile öffnen – ähnlich wie das auf der Straße ja auch geschehen ist, wo man bestimmte Demonstrationen hat zulassen müssen. Insofern glaube ich nicht, dass die arabische Presse härteren Restriktionen unterliegt. Es gibt aber sicher auch bestimmte Limitierungen. Man wird sich z.B. schwer tun, in diesen Kriegstagen in der arabischen Presse tiefgründige Analysen über Spekulationen über mögliche Destabilisierungen Ägyptens oder Jordaniens zu finden. Darüber wird höchstens unter vorgehaltener Hand geredet. Die Presse orientiert sich also irgendwo zwischen einer absoluten Staatstreue einerseits und einer gewissen Liberalisierung gegenüber dem Unmut der Bevölkerung andererseits. Und dieser Kompromiss dürfte auch im Sinne der staatlichen Führungen sein.

Prof. Dr. Kai Hafez ist Islam- und Kommunikationswissenschaftler und lehrt derzeit an der Universität Erfurt.

Interview: Arian Fariborz, © 2003 Qantara.de

www
Mehr über die Arbeitsbedingungen für Journalisten im Irak bei Reporter ohne Grenzen
Medien - Lügen und Halbwahrheiten - ein Webdossier des Schweizer Radios DRS
Zuerst stirbt die Wahrheit - Kriegspropaganda und Hysterie in Echtzeit: Zur Rolle der US-Medien im Irak-Konflikt - Hintergrundberichte des ZDF
Medien und Krieg - ein Webdossier der Bundeszentrale für politische Bildung
Neuauflage des journalistischen Ethos gefordert - ein Bericht der Deutschen Welle