Im Identitätsspagat

Der Historiker und Politikwissenschaftler Aref Hajjaj schildert in seinem Buch seine persönlichen Erfahrungen mit einem Leben zwischen Palästina, der Schweiz und Deutschland.
Der Historiker und Politikwissenschaftler Aref Hajjaj schildert in seinem Buch seine persönlichen Erfahrungen mit einem Leben zwischen Palästina, der Schweiz und Deutschland.

Der Autor und Politikwissenschaftler Aref Hajjaj schildert in seinem Buch seine persönlichen Erfahrungen aus einem Leben zwischen Palästina, der Schweiz und Deutschland. Von Volker Kaminski

Von Volker Kaminski

Nader – das Alter Ego des Autors – verliert schon als kleines Kind seine Heimat. Seine Eltern werden 1948, im Jahr der Staatsgründung Israels, aus Palästina vertrieben, als Nader gerade einmal fünf Jahre alt ist. Seine weitere Kindheit und frühe Jugend verbringt er in Beirut und Kuwait; er lernt zu der Zeit bereits Deutsch und wagt schließlich den Schritt nach Deutschland: Anfang der 1960er Jahre zieht er nach Heidelberg und schließt dort sein Studium mit einer Promotion ab.

Diese frühen Erfahrungen in einem fremden Land, das Hineinwachsen in die deutsche Kultur, die politischen Diskussionen unter den Studierenden (auch über den Palästina-Israel-Konflikt) gerade in den hochpolitisierten 1960er Jahren werden im Buch nur am Rande behandelt. Nader ist zu Beginn des Buchs bereits fest etabliert; er bezeichnet sich als integriert, ja sogar assimiliert, ist mit einer Schweizerin verheiratet und beruflich etabliert.

Nader hat – vor allem in den Anfangsjahren – auch gegen Vorurteile in seinem eigenen Umfeld zu kämpfen. So ziehen seine arabischen Freunde in Zweifel, ob die Ehe zwischen einem Palästinenser und einer Tessinerin von Dauer sein kann. Zu groß seien die kulturellen und religiösen Unterschiede in einer gemischten Ehe.

Innere Spaltung

Doch obwohl Nader und seine Frau Elisa diesen Schritt wagen und die Entscheidung nie bereuen müssen, spürt er selbst seine innere Spaltung und den Schmerz darüber, von seiner Herkunftskultur entfremdet zu sein.

Diese doppelte Perspektive – einerseits als integriert und "europäisch sozialisiert“ zu gelten, andererseits innerlich fremd zu bleiben und die deutsche Kultur immer hinterfragen zu müssen – entspricht Naders (und mithin weitgehend des Autors) eigener täglicher Erfahrung.

Cover von Aref Hajjajs "Heimatlos mit drei Heimaten" Kiener Verlag 2021; Quelle: Verlag
Integriert und doch innerlich gespalten: Aref Hajjaj spürt eine innere Spaltung und den Schmerz darüber, von seiner Herkunftskultur entfremdet zu sein. Diese doppelte Perspektive – einerseits als integriert und "europäisch sozialisiert“ zu gelten, andererseits innerlich fremd zu bleiben und die deutsche Kultur immer hinterfragen zu müssen – entspricht der Erfahrung seiner literarischen Figur Nader und mithin weitgehend seiner eigenen täglichen Erfahrung.

Wir erleben Nader als wachen Beobachter seiner Lebenswelt, der Alltagsrassismus, Antisemitismus, Philosemitismus und das Abdriften in Parallelgesellschaften aufzeigt und kritisiert, aber ebenso die Missstände und das staatliche Versagen in der arabischen Welt schonungslos benennt.

Da er seit so langer Zeit in Deutschland lebt, kennt er die Stimmung im Land genau und empfindet den wachsenden offenen Rassismus, der in den 1970er und 1980er Jahren noch verdeckter gewesen sei, als zunehmend bedrohlich.



Seit der Jahrtausendwende beobachtet er einen "Rechtsruck“, der dann 2015 in der Flüchtlingskrise offen zutage tritt.

Doch sein Blick bleibt nicht auf Deutschland allein beschränkt, er findet Rassismus auf der ganzen Welt: "ein ausgesprochen hässliches und menschenverachtendes Phänomen (…) in fast allen Erdteilen.“



Auch diese Behauptung belegt der Autor mit vielen Beispielen aus unterschiedlichen Kulturen sowie in der Geschichte.

Naders innere Spaltung scheint seine Sensibilität gegenüber jeder Art von kulturell-politischer Verirrung noch zu erhöhen.



Dabei hat er nicht nur andere im Blick, sondern beobachtet auch an sich selbst Verirrungen und "Pathologien“.

So bekennt er offen, dass er in der Zeit der Präsidentschaft Trumps eine wahre "Sucht“ nach Trump entwickelte und sich übertrieben stark für jede Nachricht und Notiz zu dessen Israelpolitik interessierte. Er entwickelt einen regelrechten "Masochismus“ gegenüber Trumps Eskapaden und Aussagen, was bezüglich dessen pro-israelischer Linie verständlich sei, doch ihm selbst übertrieben erscheint.

Palästina kommt nicht vor

Der Palästina-Israel-Konflikt ist denn auch das eigentliche Hauptinteresse des Autors bei seiner Beschäftigung mit dem Nahen Osten und vor allem als Vorsitzender des Palästina-Forums in Bonn. Voller Sorge sieht er, dass Israel die palästinensische Bevölkerung weiterhin benachteiligt – die immerhin zwanzig Prozent des Landes ausmacht.

Auch ist es für ihn nicht nachvollziehbar, dass etwa in israelischen Schulbüchern der Begriff Palästina nicht vorkommt und dass er in seiner Heimatstadt Jaffa auf einer historischen Schautafel "vergeblich nach einer einzigen Erwähnung der Palästinenser oder nach einer Beschreibung der Lage vor dem Ausbruch des Krieges von 1948“ suchte, "als hätte es die Palästinenser nie gegeben, (…) als gäbe es den Staat Israel seit 4000 Jahren dauerhaft.“



Nader sieht aber auch hier beide Seiten und räumt ein, "dass auch die palästinensische und arabische Führung im Hinblick auf das Krisenmanagement dieses ewigen Konflikts auf ganzer Linie gescheitert ist.“ Doch trotz der "andauernden Tragödie“ und der immerwährend schwierigen Suche nach einer Lösung, bleibt Nader, wie er selbst sagt, "Berufsoptimist“ und hält an seiner Vision eines künftigen gemeinsamen Staates fest.

Er weiß, dass er sich bei der Suche nach seiner Heimat letztlich für keine der Optionen aus Palästina, Deutschland oder Schweiz entscheiden kann und dass er wie schon als junger Mann auch heute noch oft genug einen "Identitätsspagat“ vollbringen muss. Er sei zwar im strengen Sinne "heimatlos“, besitze aber zu seinem Vorteil mehrere Identitäten.



In dieser Hinsicht beruft er sich auf den libanesisch-französischen Autor Amin Maalouf, der sich nie für eine seiner Heimaten entscheiden mochte (obwohl ihm das in den jeweiligen Ländern nahegelegt wurde) und es vorzog, "aus Überzeugung, Integration und Willen sich mehrere Heimaten anzueignen bzw. in mehreren Heimaten zwanglos zuhause zu fühlen.“

Aref Hajjaj präsentiert uns ein ein persönliches, erfahrungsgesättigtes Buch und zugleich eine ausgewogene, kritisch hinterfragte Zusammenstellung von wechselseitigen Vorurteilen zwischen West und Ost.

Volker Kaminski

© Qantara.de 2023

Aref Hajjaj, Heimatlos mit drei Heimaten. Prosatexte über das Anderssein, Kiener Verlag 2021, 208 S.

Der Historiker und Politikwissenschaftler Aref Hajjaj wurde in Jaffa (Israel) geboren und lebt heute in Bonn.