Erfolgsmodell auf tönernen Füßen
Im November 2008 war die algerische Verfassung abgeändert worden, die ihm bis dahin die Kandidatur für eine dritte Amtszeit verbot. Böse Zungen behaupteten damals schon, damit sei die wichtigste Weiche gestellt worden, die bedeutender sei als der Wahlgang selbst – der am 9. April dieses Jahres durchgeführt wurde.
Wie auch schon bei der vorletzten und der letzten Präsidentschaftswahl sind auch bei dieser die Ergebnisse umstritten. Vorwürfe von Wahlbetrug wurden und werden auch jetzt wieder laut. Am 13. April wies das algerische Verfassungsgericht jedoch 47 Klagen ab. Daraufhin wurde am 14. April das amtliche Wahlergebnis verkündet: Bouteflika kam demnach auf 90,23 % der Stimmen. Der Rest verteilt sich, kleinen Krümeln gleich, auf fünf weitere Bewerber, die der Öffentlichkeit weithin als "Sparringspartner" gegolten hatten.
Wahlurnen aus Holz
Zweifel an der Echtheit des Ergebnisses werden auch im Nachhinein noch bleiben. Auf einer Pressekonferenz am 10. April, dem Tag nach der Wahl, brachte eine spanische Journalistin den algerische Innenminister Yazid Zerhouni in schwere Verlegenheit. Sie fragte ihn danach, warum in Algerien unbeirrt weiterhin Holzurnen –deren Inhalt man nicht sehen kann – verwendet werden. Überall sonst auf der Welt würden doch inzwischen durchsichtige Urnen, in die die Stimmzettel in verschlossenen Briefumschlägen abgelegt werden, benutzt.
Zerhouni antwortete ausweichend, wurde fahrig, wechselte mehrfach im Laufe seiner Antwort die Sprache. Der Hintergrund war den Anwesenden klar: Zahlreiche Beobachter vermuten, dass viele ausgefüllte Stimmzettel bereits in den Urnen lagen, als sie aufgestellt wurden.
Die meisten Beobachter hielten allerdings einen Wahlsieg Bouteflikas auch sonst für höchst wahrscheinlich. Zumal er in diesem Jahr keine Gegenkandidaten von Gewicht hatte: Alle größeren Parteien unterstützten entweder Bouteflika und sind in seiner "Präsidentenkoalition" aufgegangen (wie die historische "Nationale Befreiungsfront" FLN oder die den Muslimbrüdern nahe stehende, institutionelle Islamistenpartei MSP-Hamas). Oder aber sie zogen es vor, der Präsidentschaftswahl fern zu bleiben, wie die beiden vor allem in der Berberregion Kabylei verankerten Oppositionsparteien FFS und RCD.
Erstaunlicher Anstieg der Wahlbeteiligung
Die meisten Beobachter glauben denn auch, dass Bouteflikas Wahlsieg real und höchstens der prozentuale Stimmenanteil übertrieben sei.
Stark in Frage gestellt wird hingegen die Wahlbeteiligung, die von den meisten unabhängigen Kommentatoren für sichtlich übertrieben gehalten wird. Etwa von Luis Martinez, einem der profundesten Kenner Algeriens – Forscher am Institut CERI und Autor mehrerer Bücher und Publikationen mit fundierten Analysen, zuletzt La peur de la démocratie au Maghreb (April 2009).
Martinez weist darauf hin, dass "selbst in der Periode der Demokratie-Euphorie in den Jahren 1990 und 1991" – also kurz nach dem Zusammenbruch des Ein-Parteien-Staates unter Führung der FLN (Ende 1988) – die Wahlbeteiligungen nie über 40 bis 50 % gelegen hätten. Umso unglaubwürdiger sei es heute, wenn sie offiziell mit 75,5 % angegeben wird.
Eindämmung des Terrors
Dass Bouteflika schon vor dem Urnengang seines Wahlsiegs sicher sein konnte, hat seine Ursachen auch in zwei wichtigen Faktoren. Zum Ersten kam er 1999 in einer Phase ins Amt, als die bewaffneten Islamisten den Bürgerkrieg de facto bereits verloren hatten. Ihre Niederlage erklärte sich zum Teil dadurch, dass sie durch ihre Kampfmethoden und ihren Tugendterror jene Unterklassen, die ihnen gegenüber anfänglich oft freundlich eingestellt waren, abgeschreckt hatten.
Dass das Blutvergießen jedenfalls in den städtischen Zentren seit zehn Jahren drastisch abgenommen hat, wird in breiten Kreisen ihm zugute gehalten. Auch wenn es noch zu vereinzelten, aber umso spektakuläreren Attentaten kommt, zu denen sich nun "Al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQMI) bekennt.
Unter diesem Label haben sich die letzten verbliebenen bewaffneten Islamisten in Algerien zusammengeschlossen. Ihre Zahl soll derzeit rund 400 betragen. Auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs, 1995, wurde die Zahl bewaffneter Islamisten auf 27.000 geschätzt.
Prall gefüllten Kassen, abbezahlte Schulden
Des Weiteren konnte Bouteflika zu erheblichen Teil vom Erdölpreis profitieren: Das Barrel Rohöl kostete auf den Weltmärkten knappe 10 Dollar, als er erstmals auf dem Präsidentensessel Platz nahm. Es kostete auf dem Höhepunkt des Preisanstiegs vor nunmehr anderthalb Jahren bis zu 175 Dollar. Inzwischen ist der Preis wieder auf rund 40 Dollar gesunken.
Diese außerordentliche Glücksfall – aus Sicht der Regierungen Erdöl produzierender Länder – führte dazu, dass der algerische Staat auf prall gefüllten Kassen sitzt. Seine Devisenreserven sollen derzeit über 140 Milliarden Dollar betragen. Das nordafrikanische Land, das vor fünfzehn Jahren bei den internationalen Finanzinstitutionen um eine Stundung seiner Kredite betteln und drakonische Auflagen hinnehmen musste, hat heute fast alle seine Schulden abbezahlt.
Da fällt es nicht schwer, einige vermeintliche soziale Wohltaten zum richtigen Zeitpunkt zu verteilen. Und doch ist das "Erfolgsmodell" Bouteflikas auf tönernen Füßen gebaut. Es beruht allein auf dem Abschöpfen der Erdöl-Rente, von welcher der algerische Staat weitestgehend abhängig bleibt.
Abhängigkeit von Importen und Fremdversorgung
Während das Land in der staatssozialistischen Phase der 70er Jahre aus dieser Abhängigkeit auszubrechen versuchte – die Ölrente sollte in den Versuch einer autozentrierten wirtschaftlichen Entwicklung reinvestiert werden – zeichnet sich heute eine ganz andere Entwicklung ab. Bei Nahrungsmitteln und Medikamenten bleibt Algerien, mehr denn je, von Importen und Fremdversorgung abhängig. Aber wehe, wenn der Rohstoffpreis auf den Weltmärkten absinkt!
Das Wichtigste, was Bouteflika seinen Landsleuten und der Nachwelt hinterlassen möchte, ist der neue gigantische Moscheebau: Der Welt größte Moschee (mit 20.000 Plätzen) wird in Algier für drei Milliarden Dollar errichtet.
Möglicherweise sieht Bouteflika sich zum Teil als Träger eines quasi messianischen Projekts. Viele gehen davon aus, dass der Präsident – der Ende 2005 in Paris eine Notoperation erlitt und nur knapp überlebte – sich in schlechtem Gesundheitszustand befindet. Seine letzte Amtsperiode könnte so etwas wie sein eigener Nachruf auf ihn selbst werden. Aber was dann nach ihm kommt, ist völlig ungewiss.
Der schwere Deckel des Autoritarismus
Die Journalistin Florence Beaugé, die seit über 20 Jahren die Entwicklung in Algerien beobachtet – und erst für die Pariser Libération, später für Le Monde berichtete –, ist der Auffassung, die algerische Gesellschaft selbst sei in den letzten Jahren zunehmend religiöser und konservativer geworden.
Auf jüngst von wissenschaftlichen Instituten vorgenommene Studien gestützt, analysiert sie, dass die Einstellungen zur Gleichheit von Frauen und Männern sich in jüngster Zeit regressiv entwickelt hat. So werde die Erwerbstätigkeit von Frauen heute nur noch von 20 Prozent der männlichen Algerier befürwortet, was einen spürbaren Rückschritt gegenüber der Situation vor wenigen Jahren darstelle.
Gleichzeitig entwickelt sich aber die Erwerbstätigkeit von Frauen auf allen Gebieten: Reihenweise wurden in den letzten Jahren die erste Busfahrerin, die erste Streifenpolizistin, die erste LKW-Lenkerin etc. … der Öffentlichkeit präsentiert.
Die algerische Gesellschaft ist voll von Widersprüchen. Aber auf politischer Ebene liegt ein Deckel des Autoritarismus über ihr. Wie lange das Stabilität verspricht, bleibt abzuwarten.
Bernard Schmid
© Qantara.de 2009
Bernard Schmid ist freier Journalist mit Sitz in Paris. Er arbeitet als Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien.
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