Wertvolle Islam-Sammlung
Das Zentralinstitut Islam-Archiv e.V. besitzt die größte Islam-Sammlung in Deutschland. Mit den riesigen Beständen und Studien leistet die Organisation einen wertvollen Beitrag zum besseren Verständnis des Islams in Deutschland. Petra Tabeling berichtet.
Mehr als 600.000 Unterlagen, über 300.000 Daten zur Geschichte des Islam – beeindruckende Zahlen, die den Bestand des Islam-Archivs im westfälischen Soest beschreiben. Damit ist die Einrichtung einmalig in Deutschland. Und zugleich die älteste Bibliothek ihrer Art: Das Zentralinstitut wurde 1927 in Berlin von einem Studenten gegründet, Mohammed Nafi Tschelebi.
Der Syrer wollte damit nicht nur Brücken bauen zwischen der islamischen Welt und Deutschland, sondern gleichzeitig auch ein geistiges Zentrum schaffen. Durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten und die folgenden Kriegs- und Krisenjahre ruhte die Arbeit des Archivs. 1956 dann begann der Wiederaufbau in Saarbrücken, 1982 zog das stetig gewachsene Archiv ins westfälische Soest um und wird seither von Salim Abdullah geleitet und geprägt.
Größte Dokumentation islamischen Lebens in Deutschland
Der ehemalige Journalist und profunde Kenner der arabischen Welt war einer der ersten, der sich für Annäherungen zwischen dem Christentum und dem Islam in Deutschland engagierte. Bereits in den 60er Jahren erstellte Salim Abdullah Ausgaben christlicher Kirchenzeitungen für islamische Gemeinden. Später war der Sohn eines Bosniers Vertreter des Islamischen Weltkongresses bei den Vereinten Nationen. Seit über 20 Jahren leitet der heute 74jährige die umfassendste Dokumentation über das islamische Leben in Deutschland, das Zentralinstitut Islam-Archiv in Soest. Es beinhaltet rund 6.000 Titel der Fachbereiche Islam in Deutschland, Europa, Dialog, Ausländerfragen, islamische Theologie und Geschichte sowie christliche Theologie.
Dafür werden über 150 Tageszeitungen, Magazine und Pressedienste sowie mehr als ein Dutzend internationale islamische Publikationen ausgewertet. Außerdem besitzt das Institut die umfangreichste Sammlung historischer deutschsprachiger Koranausgaben. Neben dem Archiv in Soest unterhält das Zentralinstitut auch Außenstellen in Bremen, Hamburg, Münster/Osnabrück und Köln.
Offener Zugang für alle
Die Dokumente des Islam-Archivs in Soest stehen nicht nur islamischen Organisationen für die Recherche offen, sondern auch allen Benutzern, die ein wissenschaftliches oder journalistisches Interesse an den Informationen haben. Mitglied kann jeder werden, unabhängig von seiner Glaubensausrichtung. Und ohne jegliche Gebühren. Damit das funktioniert, arbeiten rund 50 muslimische Mitarbeiter, meist junge Akademiker, ehrenamtlich in der gemeinnützigen Einrichtung mit. Mehr lassen die Gelder nicht zu. Daher will Salim Abdullah das Archiv, das bisher auf Beiträge und Spenden angewiesen ist, in eine Stiftung umwandeln. Dann hofft der Islam-Kenner, die Weiterbildungen für Lehrer und Schüler wieder fortführen zu können, denn in diesem Jahr musste diese wichtige Säule des Archivs zwecks mangelnder Finanzierung ausgesetzt werden.
Dabei sei diese Arbeit ganz besonders für den Dialog der Religionen wichtig, meint Abdullah, denn vor allem in der persönlichen Begegnung könnten Religionslehrer die andere Seite des Islams erleben und Vorbehalte abbauen. Regelmäßig erstellt das Zentral-Institut in Soest wichtige Gutachten für Behörden und gesellschaftliche Einrichtungen. Das Politbarometer für die Bundesregierung zum Beispiel, bei dem jedes Jahr 1.200 Muslime befragt werden. Oder Veröffentlichungen über die Lebenshintergründe von Muslimen in den verschiedenen deutschsprachigen Gebieten ("Muslime zwischen Elbe und Oder", 2003).
Die Ergebnisse dieser Umfragen seien meist sogar authentischer, als die von anderen Umfrage-Instituten, hat Salim Abdullah festgestellt. Dadurch, dass die Mitarbeiter muslimischen Glaubens sind, seien die Auskünfte unter Muslimen einfach ehrlicher.
Kritische Rückblicke und Zukunftsprojekt EU
Muslime bestimmen bereits seit Jahrzehnten das Bevölkerungsbild in Deutschland mit. Doch die Akzeptanz dieser Kultur hat lange auf sich warten lassen: "Deutschland war schon lange ein Einwanderungsland, bevor der Begriff endlich von Politikern benutzt wurde", meint Salim Abdullah, der in Deutschland geboren wurde. Und auch islamische Vertreter zeigten sich nicht immer dialogbereit. Das habe sich mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 geändert, stellt Abdullah fest: "Seither ist der Dialog einer, der unter Druck zustande gekommen ist, um damit zu signalisieren: wir gehören nicht zu denen."
Die Arbeit des Zentralinstituts will Salim Abdullah nun über die deutschen Grenzen hinweg ausweiten. In einem Europa-Archiv soll in den nächsten vier Jahren alles zum Thema "Islam in Europa" unter speziellen Stichworten gesammelt werden. Einen Grundbestand gibt es bereits.
Petra Tabeling
© Qantara.de 2004