Rappen mit Allahs Segen
Hip-Hop und Islam? Für Uneingeweihte scheinbar zwei unvereinbare Gegensätze. Zumindest wenn man die Chart-üblichen Gangstergeschichten oder die von unverhohlenem Materialismus und halbnackten Tänzerinnen geprägten Hip-Hop-Videos dem Reinheitsgebot des muslimischen Glaubens gegenüberstellt.
Zieht man allerdings in Betracht, dass der Islam als eine der am schnellsten wachsenden Religionen unter schwarzen Amerikanern gilt – Schätzungen gehen von etwa zwei Millionen afroamerikanischen Muslimen aus – wäre es fast noch erstaunlicher, wenn sich Glaubensbekenntnis und die vorherrschende schwarze Musikmode nicht berühren würden.
Schließlich konnte Hip-Hop-Star Kanye West vor zwei Jahren einen Hit mit "Jesus Walks" landen. Christlich-religiöse Themen sind seitdem auch im Hip-Hop salonfähig. Doch wie reagiert Amerika auf Raps, die den Propheten Mohammed und den Koran preisen?
Rapper als Botschafter Allahs
Schon während der Zeit der Bürgerrechtsbewegung, als Malcolm X die "Nation Of Islam" popularisierte, ließen sich viele Afroamerikaner zum Islam bekehren. Prominentester Konvertit: Boxweltmeister Muhammad Ali. Heute sind Rapper die sichbarsten Botschafter eines schwarzen Islam: Scarface, Beanie Sigel oder Ghostface Killah gehören – ihren Gangsta-Lyrics zum Trotz - dazu.
Die Mehrheit aber bilden die politisch bewussten Reimschmiede: Von den Veteranen RZA, Professor Griff, Sister Souljah, Queen Latifah und Chuck D bis zu Nachwuchs-Stars wie Common, Lupe Fiasco oder Mos Def.
Letzterer etwa eröffnete sein Album "Fear Not Of Man" mit einer Anrufung Allahs. "Mich hat der Islam gelehrt, Worte, die in die Öffentlichkeit hinausgehen, zu segnen", sagt Mos Def. "Das gibt ihnen ein spirituelles Siegel. Und Insha' Allah werden meine Bemühungen von Gott akzeptiert".
Vor 25 Jahren bereits predigten gesellschaftskritische Rapper wie der Hip-Hop-Pate Afrika Bambaataa, Brand Nubian oder die Poor Righteous Teachers offen den Islam. Inzwischen gehören Danksagungen an Allah auf Rap-Alben zur Norm. Manche Kulturkritiker haben den Islam deswegen schon zur "offiziellen Hip-Hop-Religion" erklärt. Doch sein tatsächlicher Einfluss in der Hip-Hop-Szene bleibt weitgehend unerforscht.
Ist der Islam die Triebfeder hinter der Sozialkritik vieler gläubiger Rapper? Und wie verträgt sich die oft mit Profanitäten durchsetzte Hip-Hop-Lyrik mit dem religiösen Auftrag?
Hip-Hop und Koran – beides ist poetisch
"Hip-Hop und die Texte des Korans – beides sind Formen von Poesie", schlägt Mos Def eine Brücke zwischen seiner Kunst und seinem Glauben. "Beide besitzen ein Reimschema und übermitteln lebenswichtige Information in komprimierter Form".
Tai, eine muslimische Spoken-Word-Künstlerin aus San Francisco, schlägt in dieselbe Kerbe: "Die traditionellen Gesetzes- und Philosophiebücher im Islam waren in Versen geschrieben, die die Studenten zur Begleitung von Trommeln rezitieren. Wenn du da einen Beat unterlegst, klingt das wie Rappen."
Akil, ein Rapper der kalifornischen Jurassic 5, ist eigenen Angaben zufolge erst durch die Musik zur Religion gekommen. Nachdem er Hip-Hop-Bands wie Public Enemy, Reden von Malcolm X und die Rezitation von Koran-Versen hörte, und in der High School etwas über den muslimischen Glauben von afrikanischstämmigen schwarzen Sklaven lernte, habe er sich für den Islam interessiert.
"Each one teach one", führt sein Kollege AZ einen populären Hip-Hop-Spruch mit Verbindung zum Koran an. "Jeder soll seinen Nächsten unterrichten. Deshalb benutze ich meine Musik nicht für die Verherrlichung von Gewalt und Prostitution. Sondern um Wissen zu verbreiten".
Zumindest kommerziell scheint die Rechnung aufzugehen. Muslimischer Rap hat im letzten Jahr allein in Nordamerika Umsätze von ungefähr 1,8 Milliarden Dollar gemacht.
Hip-Hop-orientierte Splittergruppen gegen Mainstream-Islam
Dabei rivalisieren spezifisch nordamerikanische Sekten wie die "Nation Of Islam" und die "Nation Of Gods And Earths" (auch als "Five Percent Nation" bekannt) mit dem Mainstream-Islam um die Gläubigen. Besonders die bis zu seinem Tod im Jahre 1975 von Elijah Muhammad geführte und später von Minister Louis Farrakhan wiederbelebte "Nation Of Islam" hat im Hip-Hop viel Resonanz gefunden.
Sei es, weil ihre auf schwarzem Stolz, disziplinierter Lebensführung und der Mythologie einer jüdisch-weißen Weltverschwörung basierende Religion in den sozialen Brennpunkten Afroamerikas als Selbsthilfe-Programm funktioniert, oder sei es, weil die Black Muslims die oft nihilistische Aggressivität des Hip-Hop einem höheren spirituellen Zweck zuführen.
Konservativere islamische Religionslehrer haben sich skeptisch gegenüber der Verbindung von Musik und Mission geäußert: Sie verweisen auf die Worte des Korans, dass Musik die Sinne verwirren könne.
Farrakhan dagegen, ein ehemaliger Calypso-Sänger, nutzt die Popularität des Hip-Hop für sich: Er hat Rapper nicht nur ermutigt, als Botschafter des Islam aufzutreten, sondern richtet auch immer wieder Friedenskonferenzen zwischen verfeindeten Hip-Hop-Faktionen aus.
Kryptische Anspielungen auf eigene Religion
2001 hielt der Führer der "Nation Of Islam" die Hauptrede auf dem Hip-Hop-Summit in New York, dem jährlichen Gipfeltreffen der Hip-Hop-Aktivisten. Er sprach dabei von der globalen Bedeutung des Genres und forderte die anwesenden Rapper auf, ihre Verantwortung zu übernehmen.
"Rap hat die Jugend der Welt zu euch gebracht", sagte er, "was werdet ihr mit euren Führungsrollen anfangen?" Die Kirchen, Moscheen und Schulen hätten versagt, jetzt würden die Kinder auf der Straße von Hip-Hop erzogen.
Tatsächlich lassen sich in den Raps von Nation of Islam-Anhängern wie Common oder Brand Nubian häufig Anspielungen auf ihren Glauben finden – nur dass Nichteingeweihte spezifische Metaphern wie "Yacub's crew" (Weiße) oder "dead niggaz" (nichtmuslimische Schwarze) kaum verstehen.
Die von sunnitischen Muslimen oft als Abweichler gegeißelte Nation Of Islam predigt, dass Weiße vor 6000 Jahren von einem bösartigen schwarzen Wissenschaftler namens Yacub erschaffen wurden.
Musik nach koranischen Regeln
Andere Rapper gehen weit über solche kryptischen Islam-Verweise hinaus. Das Rap-Trio Native Deen etwa aus Washington D.C. trägt seine Mission schon im Namen: "Deen" heißt im Arabischen "Religion". In Songs wie "Praise Allah Together" oder "Hellfire" verkünden die Rapper muslimische Werte, vom fünfmaligen täglichen Gebet über das Fasten während des Ramadans bis zum Verzicht auf Alkohol und Gewalt.
Die drei jungen Freunde nehmen ihren Glauben so ernst, dass sie nicht nur in traditionellen muslimischen Gewändern auftreten, sondern einer strikten Auslegung des Korans zufolge Tanzbewegungen wie auch Blas- und Saiteninstrumente meiden. Stattdessen begleiten sie sich nur mit zwei Trommeln und einem Synthesizer.
"Wir haben als Teenager eine Menge Druck erlebt, uns anzupassen", erzählt Rapper Naeem Muhammed. "Wenn du schwarz und obendrein noch Muslim bist, hast du es doppelt schwer".
Besonders schwierig sei es gewesen, die eigene Liebe zum Hip-Hop von dessen gewalttätigen und pornographischen Werten zu lösen und mit dem eigenen Leben als Muslim zu versöhnen. Zumal sich seit den Terroranschlägen vom 11. September viele Muslime in den Vereinigten Staaten unter Generalverdacht sehen.
"Wir versuchen nicht zu predigen"
So haben einige Hip-Hop-Gruppen gar ihre Namen geändert, um den Angriffen zu entgehen: "Wir haben uns früher Jihad genannt", erzählt Amaar Zaheer, eine Hälfte des Rap-Duos Mountain View. "Im Arabischen heißt das schlicht und einfach Bemühung. Aber nach 9/11 wurde das als "heiliger Krieg" interpretiert, was niemals unsere Botschaft war. Der Islam lehrt, positiv zu handeln, ein Rollenmodell zu sein. Das versuchen wir in unserer Musik wiederzuspiegeln".
Offen islamische Rapper wie Mountain View, Jurassic 5 oder der weiße Everlast müssen deswegen noch lange nicht als Bekehrungsprediger auftreten. "Wir versuchen nicht zu predigen, das ist nicht unser Ding", sagt Akil von Jurassic 5. "Ich zeige nie mit dem Finger auf andere Menschen. Sonst würde ich mit drei Fingern auf mich selbst zeigen. Und wenn ich Fehler in anderen entdecke, dann weil ich diese Fehler in mir selbst trage".
Kommerziell bleiben gesellschaftskritische Gruppen wie Jurassic 5 vom Mainstream ausgeschlossen. Sie sind auf ein alternatives Hip-Hop-Publikum, College-Radios und Mundpropaganda angewiesen. Doch verkaufte Platten bedeuten hier nicht alles.
"Allein die Tatsache, dass wir eine muslimische Hip-Hop -Gruppe sind", glaubt Naeem Muhammed von Native Deen, "wirkt auf die Jugendlichen bestärkend. Sie brauchen ein positives Rollenmodell, das ihnen auch Unterhaltung bietet".
Muhammed und seine Kollegen hoffen, eine Lücke zwischen Islam und Popkultur zu füllen und mit dem Mythos aufzuräumen, dass Hip-Hop dem Koran widerspreche. "Wir wollen mit unserer Musik zeigen, dass man ein guter Muslim und trotzdem stolzer Amerikaner sein kann".
Jonathan Fischer
© Qantara.de 2007
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