Die Rapper des Königreichs
Die Baggypants und das Basecap hat Ali Bash zu Hause gelassen. Mit dem Hemd in der Hose und der schmalen Krawatte wirkt er fremd zwischen seinen Freunden. Ali hat eine Stunde, vielleicht zwei. Nach der Mittagspause muss er zurück ins Krankenhaus, um als Bürokraft das nötige Geld zu verdienen. "Von Musik zu leben ist hier schwer", sagt der Rapper, der in echt viel gezähmter wirkt als in seinen Videos, "das schaffen die wenigsten Musiker in Saudi-Arabien."
Vor den Fenstern des Studios haben sich Wolken über die Dächer Jiddas gelegt, ein Sandsturm bläst Wüstenluft in die Küstenstadt. Im klimatisierten Innenraum justieren Alis Kollegen von der Hip-Hop-Crew J-FAM die Kameras für den Videodreh. Aus einem Handy tönen blecherne Beats. "Mein Rap schießt ein Tor nach dem anderen", erklingt die Hook, "mein Style ist immer gleich, ich bleib mir treu."
"Rap Higga" haben J-FAM ihren Song genannt – ein Wortspiel aus "Nigga" und "Hijaz", der Küstenregion am Roten Meer. Im Hijaz liegen Mekka und Medina, und auch die Hafenstadt Jidda, Saudi-Arabiens liberalste und lebensfroheste Stadt. Hier, wo seit Jahrhunderten Pilger aus aller Welt erstmals Fuß auf das Land der beiden heiligen Städte setzen, hat sich nicht nur eine recht bunte Kulturszene etabliert. Die relative Offenheit hat auch die MCs des Königreichs angezogen und Jidda zur Hauptstadt des saudischen Hip-Hops gemacht.
Rap Higga? Ali lacht: "Es geht ums Angeben." Saudischer Hip-Hop unterscheide sich in vielem von US-Hip-Hop, aber nicht darin. Auf das Gangstergehabe müsse man allerdings verzichten. Dissen, fluchen, Drogen und Bitches, das komme in Saudi-Arabien nicht gut an. "Das ist nicht unser Lifestyle", sagt Ali Bash.
Live vor Publikum, aber ohne Tanz
Rap ist eines der am schnellsten wachsenden Genres der arabischen Musik, nicht erst seit die Menschen in der Region im "Arabischen Frühling" den Maulkorb von sich rissen, den ihre autoritären Herrscher ihnen verpasst hatten. In Algerien hatte sich Hip-Hop schon Anfang der neunziger Jahre in der angespannten Lage vor dem Bürgerkrieg als populäre Protestkultur etabliert.
Kein anderes Genre besaß die Fähigkeit zur Subversion wie Sprachgesang, brachte den Unmut gegenüber einer korrupten politischen Klasse besser zum Ausdruck als Hip-Hop. Wenig später betraten auch im israelisch besetzen Palästina Crews die Bühne. Das Internet und zuletzt auch die Revolutionen seit 2011 verhalfen dem arabischen Rap endgültig zum Durchbruch.Die Saudis waren keine Vorreiter in der Szene. Doch längst nicht mehr sind Ali Bash und J-FAM allein im Königreich. Die saudischen MCs kämpfen allerdings mit einem Problem: "Es gibt zu wenig Auftrittsmöglichkeiten", sagt Alis Kollege Ayzee, der R&B-Sänger der Band, während die Stylistin ihm Make-up ins Gesicht schmiert. Es sei es schwierig aufzutreten.
Live-Musik lehnen die Konservativen im Land als unislamisch ab. Clubs gibt es keine und auf öffentlichen Veranstaltungen wacht nicht selten die Religionspolizei darüber, dass Frauen und Männer getrennt von einander sitzen. Aber auch im Ausland könnten sie nicht regelmäßig spielen, sagt Ayzee. Zu beschäftigt seien alle mit ihren Jobs. "Viele Rapper hier wissen nicht, wie sie sich auf der Bühne benehmen sollen", sagt Ali – "weil sie keine Erfahrung haben."
Einer, der das ändern will, ist "Big Hass". In einem mit leeren Dosen und Cola-Flaschen überfüllten Viersitzer, fährt er vor seinem Radiostudio in Jiddas Ausgehmeile Tahliya vor. Samstagabends, wenn sich die wohlhabende Jugend der Stadt zu heimlichen Rendezvous in den Malls trifft, lädt der Moderator junge Künstler in seine Sendung Laish Hip-Hop? (Warum Hip-Hop?) ein. Das Radio soll ihnen die Bühne bieten, die sie sonst nicht haben. "Leider gibt es hier keine Live-Venues, das ist nicht erlaubt."
So ganz stimmt das allerdings nicht. "The Beat" heißt die Konzertreihe, die Big Hass selbst organisiert. Mehrmals schon hat der Moderator Künstler aus der Region auf die Bühne gebracht – live vor Publikum, aber ohne Tanz. Die letzte Show haben viele noch gut in Erinnerung. "Die explodierte geradezu", sagt Big Hass.
Drei Titel fehlten auf der CD
Dass es Dinge gibt, die es offiziell nicht geben darf, ist kein seltenes Phänomen in Saudi-Arabien. Big Hass spricht von "Underground", um es zu beschreiben. "Wenn ich Underground sage", erklärt er, "dann meine ich private Events." Was privat ist, geht die Behörden nichts an. Solange die Künstler nicht zu weit gehen, können sie ungestört arbeiten. Das gilt für Konzerte, es gilt für Videoclips – und auch für die Texte.
Die Königsfamilie zu kritisieren ist ein Tabu, das die Rapper ebenso achten wie die Medien des Landes. Auch das mächtige religiöse Establishment bleibt weitgehend verschont. Wer sich nicht daran hält, landet im Exil. Oder im Knast, wie jüngst der Fall des religionskritischen Bloggers Raif al-Badawi zeigte. "Im saudischen Hip-Hop geht's nicht um Revolution und Aufstand", sagt Big Hass. Aber dafür interessierten sich saudische Rapper ohnehin nicht, ist der Moderator überzeugt. "Das sind Themen, die einfach nicht in den Köpfen der saudischen Jugendlichen sind".
Ganz harmonisch allerdings läuft es auch nicht immer. Das Album des Hip-Hop-Duos Blak-R erschien in Saudi-Arabien mit drei Songs weniger als im Ausland. Das Informationsministerium störte sich an den Lyrics, erzählt Blak-R-Rapper Joe in einer der unzähligen Malls Jiddas.
In seinem HipHop-Outfit wirkt er, als sei er direkt aus dem Musikvideo Mamno3 al Shabab (Jungs verboten) entsprungen. Mit dem Titel protestieren die beiden Rapper dagegen, dass Jungs ohne weibliche Begleitung nicht in Malls gelassen wurden – aus Angst, sie wollten Frauen aufreißen. Der Titel verbreitete sich trotz Zensur schnell, auf Youtube.Mamno3 al Shabab sei aber nicht wirklich politisch gewesen, sagt Joe, mit Politik hätten auch Blak-R nichts zu tun. "Politik fasst man besser nicht an, damit bringt man sich nur in Schwierigkeiten."
Botschafter aus der Mitte der Gesellschaft
Selbst Saudi-Arabiens erfolgreichster Rapper Qusai umkreist heikle Themen. Zwar heißen seine Songs "Arab World Unite" oder "Change", doch geht es immer um regionale, nicht um saudische Politik. "Wir haben hier keine Meinungsfreiheit, aber das respektieren wir", sagt Qusai offen, "denn uns geht es besser als anderen Gesellschaften." Man müsse nur nach Syrien oder Libyen schauen, um zu verstehen, dass Wandel nicht immer nur positiv sei. "Wir sind gesegnet, dass bei uns noch alles zusammenhält."
Wie kein anderer verkörpert Qusai den saudischen Rap. Dessen Protagonisten kommen nicht aus den migrantisch geprägten Vierteln der Großstädte, leben nicht wie die MCs in Palästina unter Besatzung und sind nicht wie die algerische Jugend durch soziale Unruhen politisiert. Die saudischen MCs kommen aus der urbanen Mittelschicht der ölreichen Golfmonarchie.
Und noch etwas unterscheidet die Saudis von ihren arabischen Kollegen. Dem Kommerz können sie sich kaum entziehen. Unternehmen wie Red Bull sponsern die raren Events. Für die Rapper sind sie oft die einzige Möglichkeit aufzutreten, für die Multis eine willkommene Gelegenheit, ihre Produkte an die komsumfreudige Jugend zu bringen. Und auch die Verwertungslogik der globalen Entertainmentindustrie hat den saudischen Rap erfasst. Wer groß rauskommen will, muss sich bei pan-arabischen TV-Shows wie Arabs got Talent präsentieren. Niemand anderes als Qusai moderiert die Talentshow, die sich nur in Details von RTL's Das Supertalent unterscheidet.
Auf Castingshows setzt auch J-FAM-Sänger Ayzee in dem Studio über den Dächern Jiddas. Seinen Job in einer Bank hat er geschmissen. Mit dem Videodreh für Rap Higga muss er sich beeilen. Der Flieger nach Beirut wartet. Dort wird Ayzee sein Glück als Solo-Künstler bei The X-Factor versuchen. Die Show sehen Millionen von Marokko bis Syrien. Wenn die Jury es gut mit ihm meint, warten nicht nur Fans in der gesamten arabischen Welt auf ihn, dann folgen auch lukrative Verträge im TV- und Musikbusiness. Auf Auftritte in seinem Heimatland kann er dann vielleicht leichter verzichten.
Jannis Hagmann
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