Rap gegen Sexismus und Salafisten
Nachdem sich Boutheina El Alouadi in der männerdominierten Rap-Szene Tunesiens behauptet hat, auf internationalen Bühnen stand und selbst eine libysche MC zu Tränen der Bewunderung rührte, überlegte Boutheina El Alouadi, ob es nicht doch besser gewesen wäre nach Schweden zu ziehen. Als Rapperin "Medusa" bekam sie im Juni 2014 in Göteborg das Angebot zu bleiben. "Ich liebe mein Land und meine Familie. Und deswegen werde ich nach Tunesien zurückkehren", sagte sie damals. Heute bereut sie ihre damalige Entscheidung.
Boutheina sitzt in einem Café der Küstenstadt Nabeul. An den Nachbartischen finden sich ausschließlich Männer. Der Lärm der Straße mischt sich mit ihren Worten. Dabei redet sie durchaus laut. Auf dem Weg lief ihr ein Mann hinterher, mehrere hundert Meter. Boutheina ist es gewohnt, sich behaupten zu müssen.
Breakdance auf Keramikboden
Mit zehn Jahren tauschte sie mit Freunden Kassetten aus: Lil'Kim, Beyoncé, Tupac. Sie schaute sich "Powermoves" von den großen Jungen ab und übte auf dem harten Boden in der Moschee, gegenüber der Schule, zwischen den Gebetszeiten. "Der Boden bestand aus Keramik. Das hat uns bei der Akrobatik mit den Füßen geholfen", erzählt sie. Dass sie zwischen den Jungen Breakdance übte, bezeichneten manche Leute als haram, als verboten. "Für die Tunesier ist es seltsam, ein Mädchen zu sehen, das ihren Kopf am Boden und die Beine in der Luft hat." Anfang der 2000er Jahre gab es in Tunesien keine erkennbare Rap-Szene – und schon gar keine weiblichen Akteure", so Boutheina.
Ihr Vater und Onkel sind beide Rapper, daheim lief MTV. Diam’s rappte über die gesellschaftlichen Schwierigkeiten französischer Frauen, Tupac über die Probleme in den Ghettos. Boutheina war 16 Jahre alt, als sie ihre ersten Texte schrieb. "Das ist für mich wirklicher Hip-Hop: wenn wir über ein Problem oder ein Tabu in unserer Gesellschaft sprechen. In jedem meiner Songs versuche ich Antworten auf diese Probleme zu geben."
Im Song Lie of April rappt sie über eine Frau, die von ihrem Ehemann betrogen will und die ihn zurückweist: "For every liar in the world/We don’t want you/We are strong women."
Ihre Texte handeln mitunter vom Recht auf Abtreibung, benachteiligten Waisenkindern und dem Weltfrieden. "In meinen Songs mischt sich alles – sie sind politisch, sozial, sentimental und feministisch."Boutheina ist bislang die einzige Frau in Tunesiens männerdominierten Hip-Hop-Szene geblieben. Zwar hatte sie beobachtet, dass sich auch andere junge Frauen dafür begeisterten. Sie plante sogar gemeinsam mit ihnen einige Songs aufzunehmen – doch schließlich gaben sie auf. "Viele Jungs in Tunesien sind sexistisch", meint Boutheina. "Sie sagen mir: 'Geh' doch in die Küche, kümmere dich um deine Familie, Rap ist nichts für Frauen."
Rap und Revolte
Ortswechsel: Café Tortuga. Hier ist Boutheina bekannt. In Sichtweite ist das Kulturzentrum, in dem Boutheina als Mädchen erstmals zu Hip-Hop getanzt hat. Sie ist in Nabeul geboren und dort aufgewachsen. Mit 20 Jahren rebelliert sie mit dem Mikrophon in der Hand gegen die gesellschaftlichen und politischen Missstände ihres Landes. "Ich befand mich inmitten der Revolution. Ich stand vor dem Ministerium, den ganzen Scharfschützen." Als der Rapper Weld EL 15 für seinen Song Boulicia Kleb (Polizisten sind Hunde) in Haft genommen wurde, produzierte sie kurzerhand ihr eigenes Protest-Video: Darin tanzt sie wie die drei Affen, die nichts sehen, nichts hören und nichts sprechen wollen.
Boutheina glaubte anfangs an die Revolution, wollte ein besseres Tunesien. Eines, in dem Kunst geschätzt, in dem ihre Arbeit anerkannt wird – doch wurde sie enttäuscht. "Das Einzige, was sich verändert hat ist, dass sich der Hip-Hop zunehmend kommerzialisiert hat", klagt sie. Die Rapper im Fernsehen erniedrigten Frauen als Schlampen, alles drehe sich in ihren Songs um Alkohol und Drogen. "Ich glaube, dass dies ein gesellschaftliches Problem ist – die Wertschätzung dieser schlechten, kommerziellen Songs, die kommerziellen", glaubt Boutheina.
Lieber frei sein
In Tunesien wolle man nichts von den eigenen Problemen hören. "Es gibt zwar viele Rapper, die ambitioniert sind und Qualität bieten,allerdings sind sie in Tunesien kaum bekannt." Auch Boutheina hat bislang nie Einladungen auf tunesische Festivals erhalten. "Gewünscht sind nur die wirklich populären Darsteller, um möglichst viel Geld zu verdienen."
Sie wünscht sich eine hoffnungsvolle Zukunft für sich und ihre Familie. Von ihrem anspruchsvollen Hip-Hop, den man in Tunesien kaum zu Ohren bekommt, kann sie jedenfalls nicht leben. Brotlose Kunst. Sie hat zwar in Tunis studiert, dennoch ist es auch nach der Revolution sehr schwer, eine angemessene Arbeit zu finden. "Sie haben mir einen Job für 350 Dinar im Monat angeboten, ungefähr 170 Euro. Wie soll man mit so wenig Geld auskommen?", beschwert sich Boutheina.
So kam es, dass sie unlängst ein Visum für Frankreich beantragt hat. Sie hat dort ein paar Freunde, die auch Hip-Hop machen, Ideen und Instrumente teilen. Ein Anfang. Bei einem Label unter Vertrag stehen? Das will sie auf keinen Fall. Sie möchte lieber frei sein.
Julia Neumann
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