Palästina ohne Perspektive
"Land für Frieden" – so lautete die Formel, die 1993 den Osloer Abkommen zwischen Palästinensern und Israelis zugrunde lag. Doch bis jetzt sind die Palästinenser ihrem Traum vom eigenen Staat kein Stück näher gekommen. Informationen von Birgit Kaspar
Die Vereinbarungen von Oslo besagten, dass Palästinenser und Israelis nach einer Verhandlungsphase in zwei separaten Staaten friedlich nebeneinander leben sollten. Diese Grundidee wurde in der so genannten "Road Map" vom Nahost-Quartett 2003 erneut bestätigt.
Doch auch zehn Jahre später gibt es immer noch keine Zwei-Staaten-Lösung. US-Präsident Barack Obama, der den Friedensprozess wieder beleben wollte, hatte bislang keinen Erfolg.
Fehlender politischer Wille?
Alastair Crooke, Leiter des "Conflict-Forum" und ehemaliger nahostpolitischer Berater der EU, ist der Meinung, dass bei den Bemühungen um einen Nahost-Frieden eine Ära zu Ende gehe: "Wir kennen alle dieses Mantra – Im Prinzip wissen wir, wie die Lösung des Konfliktes aussieht, es fehlt nur der politische Wille dazu'."
Crooke ist der Meinung, dieser Satz stimme nicht mehr: "Ich glaube nicht, dass wir wissen, wie die Lösung aussieht, denn wir befinden uns in einer völlig neuen Phase."
Die Formel "Land für Frieden" sei von der Realität überholt worden, so Crooke. Dafür sorgen auch die wachsenden israelischen Siedlungen: Zu Beginn des Friedensprozesses 1993 lebten rund 116.000 Israelis im Westjordanland, heute sind es 285.000.
Immer mehr besetztes Land wird enteignet. Das auf zehn Monate befristete, teilweise Einfrieren von Neubauten hat die arabische Seite nicht von einem Umdenken der israelischen Politiker überzeugt.
Martin Singer vom "Begin-Sadat-Center for Strategic Studies" in Tel Aviv betont, dass es sich hierbei lediglich um einen Schachzug Benjamin Netanjahus handele, der eine offene Konfrontation mit Obama vermeiden wolle. "In ein paar Jahren werden alle Spuren dieser Zugeständnisse verschwunden sein", versichert Singer.
Ratlosigkeit über Alternativlösungen
Die arabischen Staaten werden nach Ansicht von Diplomaten in Beirut früher oder später ihre Friedensinitiative, die Israel eine Normalisierung der Beziehungen für die Rückgabe des 1967 besetzten Landes verspricht, überdenken.
Über eine alternative Strategie herrscht aber bisher Ratlosigkeit. Doch in den arabischen Hauptstädten sei man sich sicher, dass Israel das ganze Land wolle, sagt Taher al Masri, Sprecher des jordanischen Senats. "Die Israelis verleiben sich das Land langsam über die Jahre ein. Wie wollen sie uns vor diesem Hintergrund davon überzeugen, dass sie wirklich Frieden wollen?"
Einige Palästinenser denken erneut über eine bi-nationale Einstaatenlösung nach, die Israel ablehnt. Andere favorisieren die einseitige Ausrufung eines Palästinenserstaates.
Doch all diese Ideen sind nach Ansicht von Rami Khoury von der Amerikanischen Universität in Beirut unrealistisch. "Es sind Überlegungen gescheiterter Führer, die einen Weg suchen, um ihr Gesicht zu wahren." Khoury erwartet, dass der Stillstand andauere: "Wir werden vermutlich eine Verschärfung des israelischen Rassismus, des Militarismus und der Kolonialisierung sehen."
Auf palästinensischer Seite werde sich der zivile und militärische Widerstand neue Ausdrucksformen suchen. "Die Spannungen werden sich verschlimmern."
Zersiedlung bringt keinen Frieden
Neben der Zersiedlung des palästinensischen Landes gibt es weitere Gründe, warum die Formel "Land für Frieden" von vielen nicht mehr als Schlüssel angesehen wird. Denn beide Konfliktparteien haben aus ihrer Sicht keine guten Erfahrungen mit der praktischen Umsetzung des Prinzips gemacht.
Palästinenser in Gaza sehen in dem nach dem israelischen Rückzug abgeriegelten Gazastreifen eine Art Freiluft-Gefängnis. Die Menschen im Westjordanland leben nach Teilabzügen in kleinen Enklaven, durch hunderte Checkpoints und Sperren voneinander getrennt und den Übergriffen israelischer Sicherheitskräfte ausgeliefert.
Die israelische Bevölkerung beklagt ihrerseits, dass sie nach dem Rückzug der Armee aus dem Südlibanon sowie dem Gazastreifen nur die Bedrohung durch Katjuscha-Raketen geerntet habe. Deshalb setzen Politiker in Jerusalem nun wieder auf die "Festung Israel" und das Militär.
Immerhin ist es nach den beiden letzten Kriegen, 2006 gegen den Libanon und 2008 gegen Gaza, an beiden Fronten relativ ruhig geblieben. Jerusalem ziehe daraus die Konsequenz, dass man in Abständen immer mal wieder den Vorschlaghammer herausholen müsse, dann sei es wieder für eine Weile ruhig, meint Alastair Crooke.
Die Palästinenser hingegen stünden mit dem Rücken zur Wand und könnten sich im Moment nur darauf konzentrieren, eine neue, glaubwürdige Führung unter Einbeziehung aller Fraktionen zu wählen.
Der Westen hingegen sollte endlich zugeben, dass man nicht mehr wisse, wie eine Lösung für den festgefahrenen Konflikt aussehe, so Crooke. "Wir sollten sehr sorgfältig nachdenken, neue Ideen in Erwägung ziehen und nicht mehr die abgenutzten, alten Karten auf den Tisch legen."
Birgit Kaspar
© Deutsche Welle 2010
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