Eintrittsgeld in die Wüste
Sie sammeln den Müll ein und schleppen Sand über Baustellen. Sie sitzen mit Blecheimern voll Wasser an Straßenkreuzungen und rufen "Wash car, wash car". Sie warten im Schatten von Mauern auf Arbeit für einen Tag, meistens schmutzige Arbeit, welche viele Libyer nicht gern verrichten.
Ausländische Arbeitskräfte sind in Libyen allgegenwärtig, geschätzte zwei Millionen Migranten leben im Land, neben einer eingesessenen Bevölkerung von nur etwa fünf Millionen.
Ghaddafis pan-afrikanische Politik hatte den Grenzübertritt in der Vergangenheit leicht gemacht; Libyen wurde zum Einwanderungs- und Durchwanderungsland für arme Schwarzafrikaner. In altersschwachen Fischerbooten von der libyschen Küste nach Italien - oder über den Stacheldraht in die spanische Enklave Mellila, das sind die beiden großen Routen von Afrika nach Europa.
Allein in den ersten neun Monaten diesen Jahres wurden 15.000 Flüchtlinge an den Küsten Italiens aufgegriffen. Schätzungen zufolge ertrinken jedes Jahr 1000 Afrikaner vor Sizilien, Lampedusa, Malta.
Parallelwelt in der Wüste
Viele Migranten versuchen deshalb, in Libyen so lange zu arbeiten, bis sie genug Geld für ein Flugticket haben; manch ein Wagenwäscher in Tripolis trägt eine riskant hohe Barschaft ständig in einem abgegriffenen Plastiktütchen bei sich.
In Sebha, Libyens einziger größerer Stadt in der Sahara, sieht man, wie eine Reise, die oft Jahre währt, eine vorübergehende, halblegale Sesshaftigkeit erzeugt. Von hier sind es noch 800 Kilometer bis zur Küste; hier müssen die Schulden abbezahlt werden an die Schlepper. Deshalb beginnen manche Migrantinnen mit der Prostitution.
"Straße 40" heißt Sebhas Ausländerstadtteil, er wird vor allem von Nigerianern bewohnt. Kein Asphalt, so sandfarben wie der Boden sind die niedrigen, garagenähnlichen Gebäude mit Werkstätten und Läden, deren Kundschaft wiederum Migranten sind.
Ein rudimentärer Friseursalon ohne Waschbecken. Eine Restaurant-Bude namens "Holiday Villa", die Männer darin gucken einen nigerianischen Film und träumen von Holland. Zur Parallelwelt gehören sogar Schulen, wo in afrikanischen Sprachen unterrichtet wird.
Abschiebungen im großen Stil
Das Verhältnis der Libyer zu den Schwarzafrikanern ist ambivalent: Einerseits werden sie abgelehnt, werden verantwortlich gemacht für Kriminalität, Drogenhandel, Aids. Andererseits werden sie in vielen Gewerben als Arbeitskräfte bevorzugt, weil sie fleißiger und zuverlässiger seien als junge Libyer.
Solches Laisser-faire aus ökonomischen Gründen kontrastiert mit einer zunehmend rigorosen Abschiebepolitik aus strategischen Motiven. Mit Libyens Hinwendung zum Westen vor knapp zwei Jahren begann die Kooperation mit der Europäischen Union in der Flüchtlingspolitik.
Seit vergangenem Jahr schiebt Italien Einwanderer ohne Prüfung von Fluchtgründen nach Libyen ab. Und Libyen deportierte seinerseits im großen Stil - allein bis Ende vergangenen Jahres 6000 Menschen.
Das Abschiebegefängnis nahe Sebha ist eine frühere Polizeikaserne im Niemandsland, günstig gelegen nahe der Straße zur Grenze mit Niger und zum Flughafen. Weiße Mauern mit Stacheldraht obendrauf, grelle Scheinwerfer, sie sind abends weit zu sehen im flachen, leeren Land.
Zunächst wurde über Land abgeschoben; das arme Niger schob angeblich zurück, weil es die Transit-Rückwanderer nicht versorgen konnte, dann wurde per Flugzeug deportiert.
Bei der EU kein Interesse an Menschenrechten
Libyen hat die Genfer Flüchtlings-Konvention nicht unterzeichnet; bei seinen Behörden einen Antrag auf Asyl zu stellen, ist rechtlich unmöglich, und nicht einmal das Mandat des UN-Flüchtlingswerks vor Ort ist formell anerkannt.
Dass Libyen dessen ungeachtet in die Abschiebepolitik der EU integriert wird, kommentiert Giumma Attiga, Anwalt in Tripolis, so: "Die europäischen Länder haben nur ihre eigenen Interessen, ihre eigene Sicherheit im Blick. Menschenrechte interessieren sie wenig."
Giumma Attiga, ehemaliger politischer Häftling, leitet die libysche "Human Rights Society". Auf die Frage, ob in libyschen Gefängnissen gefoltert werde, antwortet er: "Ja, sicher."
Die britische Regierung hat solche Befunde nicht davon abgehalten, gerade mit Libyen ein Abkommen zu unterzeichnen: Dem Papier zufolge werden Deportierte aus England nicht misshandelt.
Libysche Arbeit zuerst für Libyer!
Neuerdings hat Libyen indes auch innenpolitische Gründe, die Migration zu erschweren: Viele Libyer fürchten den Verlust sozialer Sicherheit durch die Privatisierung der Staatswirtschaft. Von 360 Betrieben sind bisher erst 62 privatisiert; die Arbeitslosigkeit steht jetzt offiziell bei 10,6 Prozent, tatsächlich sind bereits weit mehr - vor allem junge Leute - ohne Job.
Um weitere Arbeitslosigkeit im Zaum zu halten, bietet die Regierung Förderprogramme an und Frühverrentung - und sie will das Prinzip durchsetzen: Libysche Arbeit zuerst für Libyer! Dies soll für qualifizierte Jobs bei ausländischen Firmen gelten, aber richtet sich auch gegen die Masse der Wanderarbeiter.
Libyens Arbeitsminister Matuq Mohamed Matuq kündigte im Gespräch mit Qantara.de an, künftig müssten Migranten an der Grenze eine Barschaft von 500 Dinar vorweisen (312 Euro), und sie bedürften einer Arbeitserlaubnis. Die Idee eines Eintrittsgelds klingt allerdings angesichts von 4000 Kilometern Wüstengrenze verwegen.
Charlotte Wiedemann
© Qantara.de 2005
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