"Die arabische Welt ist nicht nur eine Postkarte mit Sanddünen"
Gab es Autoren, von denen Sie besonders beeinflusst wurden, als Sie mit dem Schreiben begannen? Die Bücher mit Ihrem Kommissar Llob erinnern mich an Werke von Georges Simenon und Nicolas Freeling ...
Yasmina Khadra: Damals hatte ich Simenon noch nicht gelesen. Unsere Buchhandlungen waren erbärmlich und unsere alten Bücher brachten uns gerade mal dazu, ein wenig zu träumen. Wir lebten in einem Land, das einen regelrechten Horror vor Künstlern und Autoren hatte. Was ich aber sehr mochte, war die afroamerikanische Literatur, also Autoren wie Chester Himes, Richard Wright und James Baldwin.
Als ich die Figur des Kommissar Llob erfand, wollte ich einen typisch algerischen Charakter zeichnen. In meinen Kriminalromanen (eigentlich "roman noir", eine Untergattung des französischen Kriminalromans) ist aber auch Algier ein eigener Charakter, ein eigenständiger Akteur. Ich habe nicht versucht, meine Lieblingsautoren nachzuahmen. Ich schrieb auf Französisch, doch mit meiner Beduinen-Sensibilität, meinem algerischen Blickwinkel, meiner Wut und meinen Hoffnungen.
Und überhaupt: wir haben unsere eigenen Künstler, die sich hinter den Exponenten der westlichen Kultur in keiner Weise verstecken müssen. Ich liebe Taha Hussain aus Ägypten, Francois Mauriac, Abou El Kassam Ech-Chabbi aus Tunesien, Pablo Neruda, Nagib Mahfouz oder Malek Haddad aus Algerien und viele andere; und all diesen gebe ich den Vorzug gegenüber europäischen Eintagsfliegen.
Es ist so schade, dass Sie keinen Zugang zu unserer Kultur haben. Die arabische Welt ist nicht nur eine Postkarte mit Sanddünen und Karawanen; und sie besteht auch nicht nur aus Terrorangriffen. Die arabische Kultur ist großzügiger und inspirierter als Ihre. Wussten Sie, dass der größte Dichter, den die Menschheit jemals hervorbrachte, Al-Mutanabbi hieß? Es ist so schade, dass Sie nichts von ihm wissen.
Was brachte Sie dazu, über den Kommissar Llob zu schreiben?
Khadra: Ich schuf den Kommissar als Abwechslung für die algerische Leserschaft. Wir hatten zu der Zeit keine besonders große Auswahl in unseren Buchhandlungen. Alle Veröffentlichungen waren getränkt von politischer Demagogie und nationalem Chauvinismus und drehten sich in romantisierter Mittelmäßigkeit um die algerische Revolution, die in an Stalin erinnernden Reden verherrlicht wurde.
Ich träumte davon, Bücher für die Bahnhofsbuchhandlung zu schreiben; komische Bücher ohne zu hohen Anspruch, die man liest, während man auf den Bus oder den Zug wartet. Ich wollte die algerischen Leser mit ihrer Literatur versöhnen. Ich habe niemals damit gerechnet, dass der Kommissar über die Grenzen des Landes hinaus wirken würde und nun auch Leser in Amerika und Europa erreicht.
Die Figuren in Ihren Büchern scheinen oft zu glauben, dass sie keine Wahl haben, sich für etwas zu entscheiden. Glauben Sie, dass den Menschen diese Wahlfreiheit genommen wurde und dass dies einer der Gründe ist, aus dem sie sich der Gewalt zuwenden?
Khadra: Auf jeden Fall müssen meine Charaktere glaubwürdig sein. Sie müssen den Leser aber nicht nur überzeugen, sondern auch inspirieren. Anders könnte ich auch gar keine Geschichten schreiben. In meiner Arbeit verlange ich viel von mir selber, verlange aber auch dem Leser einiges ab. Er muss schon sorgfältig und aufmerksam lesen. Oberflächlich lassen sich meine Geschichten nicht lesen — zumindest nicht, ohne dass wichtige Zusammenhänge entgehen.
Auch Kritiker, die an meine Bücher nur oberflächlich herangehen, glauben nicht selten, sie hätten meine Botschaft verstanden, meinen Stil, die Sprache und das Besondere meines Werks. Und doch reagieren sie oft nur auf Stereotypen und interpretieren mein Werk mehr als unbeholfen. Dies geschieht in ähnlicher Weise, wie die Medien mit dem Phänomen Gewalt umgehen: fehlerhaft, spekulativ, unglaublich naiv oder gar bösartig. In meinen Romanen habe ich es mit Personen zu tun, die ich sehr gut kenne und verstehe.
Ich versuche, die Gewalt nicht als etwas zu zeigen, was einer bestimmten Nation zu eigen ist, noch als Ergebnis einer genetischen Prägung, sondern vielmehr als Ausfluss einer unhaltbaren condition humaine. Jedweder Mensch, egal ob Amerikaner oder Japaner, Malaysier, Inder oder Buddhist, kann, unter bestimmten psychischen und mentalen Bedingungen, dem Reiz des Zorns nachgeben und in einen Rausch der Gewalt und des Todes geraten.
Wie war die Reaktion auf Ihre Bücher in Algerien und anderen muslimischen Ländern?
Khadra: Die algerischen Leser mögen mich sehr. Sie lesen meine Bücher auf Französisch, weil meine Werke nicht ins Arabische übersetzt sind. Es gibt Übersetzungen ins Indonesische, Japanische, überhaupt in die Mehrzahl der Sprachen, aber eben nicht ins Arabische. An den arabischen Lesern liegt das natürlich nicht, sondern nur an den Regierungen, die – wie immer – versuchen, die Bevölkerung von ihrer Elite zu entfremden, damit sie weiterhin Clandenken und Muckertum kultivieren können.
Viele Ihrer Bücher werden inzwischen auch an amerikanischen Universitäten gelesen. Was hoffen Sie, was die Studenten aus den Büchern lernen werden?
Khadra: Ich erhoffe mir, dass sie an meine Bücher herangehen wie sie sich einem anderen Volk nähern; dass sie andere Kulturen entdecken, andere Denkweisen und dass sie ihnen als Sprungbretter dienen. Amerikaner sind gefangen in ihrem Kontinent und überzeugt, dass sie bereits alles wissen, dass die Welt an ihren Grenzen endet. Doch das ist falsch: Die Welt beginnt dort erst.
Mir ist aufgefallen, dass in der letzten Zeit mehr Bücher aus muslimischen Ländern ins Englische übersetzt werden. Sehen Sie bereits einen Unterschied zu früher, was die Haltung westlicher Beobachter angeht, oder ist Ihnen gar eine Verbesserung ihrer Kenntnisse über die arabische Welt aufgefallen?
Khadra: Das hängt davon ab, welche Bücher man liest. Das plötzliche Interesse an der östlichen Kultur bereitet ja auch den Boden für Scharlatane und verfälschende Darstellungen. Westliche Leser mögen seichte Storys voller Klischeevorstellungen von Arabern und ihren vielen Ehefrauen. Deshalb lesen sie auch gern einzelne, weit hergeholte Geschichten und glauben dennoch irgendwann, sie hätten ein Volk und seine Kultur verstanden.
Um aber wirklichen Zugang zu einem kulturellen Universum zu gewinnen, muss man sich allem moralischen und intellektuellen Gepäck entledigen, um wenigstens ein Minimum an Urteilskraft zu erlangen. Und das sehe ich nicht. Ihr habt immer noch keine Vorstellung von der Bedeutung großer arabischer Autoren.
Was sich verkauft, sind die Bücher literarischer Stümper, schamloser Opportunisten; Bücher voll von Hass, Verleugnung, Desinformation und Plumpheit. Möglicherweise werden aber ja eines Tages die Leser tatsächlich reifer und sich bemühen, wirklich zu verstehen, anstatt nur zu urteilen und verurteilen.
Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Khadra: Ich lebe von Tag zu Tag, das ist klüger. Ich mache keine Pläne, sondern nehme die Dinge so, wie sie kommen.
Interview: Richard Marcus
© Qantara.de 2008
Richard Marcus schreibt seit drei Jahren für verschiedenste Internetseiten und hat mehr als 1300 Artikel veröffentlicht. Zurzeit gibt er das Epic India Magazine heraus, eine Online-Zeitschrift für Kunst und Kultur mit einem Fokus auf Südostasien und Indien im Besonderen. Außerdem schreibt er für die Kulturseite Blogcritics.org und steckt hinter dem Blog Leap in the Dark. Seine Texte erschienen in so unterschiedlichen Veröffentlichungen wie dem deutschen Magazin Rolling Stone und The Bangladesh Star. Zuletzt hat er selbst zwei Sammelbände seiner Artikel herausgegeben.
Übersetzung: Daniel Kiecol
Qantara.de
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