Der Grenzgänger

Essad Bey war ein deutschsprachiger Schriftsteller jüdisch-russischer Abstammung, der 1922 zum Islam konvertierte und sich in Nazi-Deutschland als muslimischer Prinz ausgab. Tom Reiss hat mit "Der Orientalist" eine phantastische Biografie vorgelegt. Sonja Hegasy stellt das Buch vor.

Lev Nussimbaum alias Essad Bey; Foto: Verlag H. J. Maurer
Lev Nussimbaum alias Essad Bey alias Kurban Said als junger Mann

​​Soeben erschien Tom Reiss amerikanischer Bestseller "Der Orientalist – Auf den Spuren von Essad Bey" auf Deutsch bei dem neu gegründeten Osburg Verlag. Wolf-Rüdiger Osburg, der über die Lebenswege einzelner Personen ein Bewusstsein für die "Gegenwärtigkeit von Geschichte" schaffen will, hat mit dem "Orientalisten" einen Erstlings-Coup gelandet. Und der Amerikaner Tom Reiss hat eine spannende sowie akribische Biographie von Lev Nussimbaum alias Essad Bey alias Kurban Said geschrieben. "Der Orientalist" ist bisher in 14 Sprachen erschienen – ein arabischer Verlag wird noch gesucht.

Lev Nussimbaum wurde 1905 in einer jüdischen Familie in Baku geboren, musste jedoch vor der russischen Revolution fliehen. Am Ende seiner Flucht über Iran, die Türkei und Frankreich kam er in Berlin an. Hier konvertierte er 1922 im Alter von 17 Jahren in der Botschaft des Osmanischen Reiches zum Islam. An der heutigen Humboldt-Universität zu Berlin, bis 1946 die Friedrich-Wilhelms-Universität, schrieb er sich am Seminar für orientalische Sprachen ein.

Sehnsucht nach dem kosmopolitischen Kaukasus

Essad Bey schrieb in den goldenen Zwanzigern in der "Literarischen Welt" neben berühmten Intellektuellen wie Walter Benjamin und Egon Erwin Kisch. Sein erster Beitrag war eine Reportage über Zeitungsjournalismus in Malaysia und Aserbaidschan. 1930 veröffentlichte er eine Autobiographie unter dem Titel "Öl und Blut im Orient", die zu einem viel diskutierten Bestseller wurde. Später schrieb er zwei Romane unter dem Pseudonym Kurban Said ("glückliches Opfer"). Weltberühmt wurde "Ali und Nino" (allerdings erst Anfang der siebziger Jahre), eine christlich-muslimische Liebesgeschichte im Kaukasus.

Der Kaukasus, dem Lev Nussimbaum sein Leben lang hinterher trauert, ist auf einem Foto zu sehen, auf das Tom Reiss 1998 in Aserbaidschan bei seinen Recherchen stieß: Es zeigt eine muslimisch-jüdische Weihnachtsfeier in Baku 1913 mit dem Jungen Lev in der Mitte – ein Foto als Sinnbild für einen kosmopolitischen Kaukasus.

Ein verschollenes Manuskript

​​Die weltweit wichtigsten Archive zu Leben und Werk von Lev Nussimbaum befanden sich bis vor kurzem im Privatbesitz von Prof. Gerhard Höpp in Berlin und von Tom Reiss in New York. Mithilfe von Höpps Recherchen fand Reiss 1998 das letzte Manuskript Kurban Saids mit dem Titel "Der Mann, der die Liebe nicht kannte" in Wien bei seiner letzten Verlegerin, Therese Mögle. Fast 60 Jahre lang schlummerten die schönen, in Leder eingebundenen Hefte in ihrem Schrank, obwohl Essad Bey sie ihr kurz vor seinem Tod zur Veröffentlichung gegeben hatte.

Seit 2003 befindet sich der Nachlass von Gerhard Höpp in der Bibliothek des Zentrums Moderner Orient. Im Rahmen seiner Forschung zur muslimischen Diaspora in Deutschland in der erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war Höpp schon frühzeitig auf die Person Essad Beys gestoßen.

Mit seiner Prophetenbiographie "Mohammed" steht Essad Bey in der Tradition jüdischer Orientschwärmer und -wissenschaftler, die sich seit dem frühen 19. Jahrhundert entwickelte und welcher Tom Reiss ein eigenes Kapitel widmet. Ähnlich wie Benjamin Disraeli, Ignaz Goldziher oder der zum Islam konvertierte Leo Weiss/Muhammed Asad berief Nussimbaum sich auf gemeinsame arabisch-jüdische Wurzeln. Reiss zitiert Bernard Lewis' Ausspruch vom "sentimentalen Semitismus" Disraelis, wenn dieser von Juden als "mosaischen Arabern" spricht.

Tod und Neuauflagen

Essad Bey starb 1942 verarmt und elendig im italienischen Positano an Gefäßverkalkung. Seine Werke wurden immer wieder neu entdeckt: 2000 legte der Ullstein-Verlag "Ali und Nino" wieder auf; 2002 erschien bei Matthes und Seitz eine Neuauflage von "Allah ist groß: Niedergang und Aufstieg der islamischen Welt von Abdul Hamid bis Ibn Saud" mit einem biographischen Essay zu Essad Bey von Gerhard Höpp.

2008 legte H.J. Maurer "Öl und Blut im Orient" und "12 Geheimnisse im Kaukasus" neu auf. Ebenfalls in diesem Jahr erscheint auch in Aserbaidschan eine Biographie über Essad Bey von Nourida Ateshi. In diesem Buch wird auch erwähnt, dass der dem Filmemacher Ralf Marschallek sich die Urheberrechte von Essad Beys/Kurban Saids letztem Manuskript gesichert hat. Das Original befindet sich jedoch in New York bei Tom Reiss, der mittlerweile ein Teil dieser Handschrift auf seiner Webseite öffentlich zugängig gemacht hat.

Es gibt viele Interessierte, die hinter den Rechten am Werk von Essad Bey ein sehr lukratives Geschäft wittern. Das bekommt die Bibliothek des Zentrums Moderner Orient immer wieder deutlich zu spüren. Wer wird "Ali und Nino" oder das spannende Leben des Essad Bey für Hollywood verfilmen?

Sonja Hegasy

© Qantara.de 2008

Tom Reiss: Der Orientalist. Auf den Spuren von Essad Bey, Berlin: Osburg Verlag, 2008, 472 S., mit 26 Abbildungen, gebunden, € 25,90

Qantara.de

Buchtipp "Khalil Gibran. Autor des Propheten"
Der Prophet und sein Exotenbonus
Alexandre Najjar hat eine kurzweilige und informative Biographie über den libanesischen Kultautor Gibran Khalil Gibran geschrieben. Andreas Pflitsch stellt das Buch vor.

Buchtipp René Wildangel
Palästina und der Nationalsozialismus
In seiner Studie über die Beziehung Palästinas zum Nationalsozialismus macht der Historiker René Wildangel deutlich, dass es keine ungebrochene Zustimmung der Palästinenser für den Nationalsozialismus gab. Von Götz Nordbruch

"Baghdad, Yesterday - The Making of an Arab Jew"
Über den Tigris nach Galiläa
Die Juden im Irak bildeten einst die älteste jüdische Diaspora, deren Geschichte über 2.500 Jahre zurück reichte. Was unmittelbar davor lag, die dreißiger und vierziger Jahre in Bagdad, beschreibt Sasson Somekh in seinem Buch "Baghdad, Yesterday - The Making of An Arab Jew". Beate Hinrichs hat es gelesen.

www