Dessous von der "Achse des Bösen"

Bei einem Besuch in Syrien ließen sich zwei Engländerinnen arabischer Herkunft von den gewagten Dessous faszinieren, die in den Suqs und Geschäften von Damaskus und Aleppo zu finden waren. Ihr Buch, das sie dazu nun herausgaben, dürfte zu den ungewöhnlichsten gehören, die in letzter Zeit über die arabische Welt erschienen sind, meint Susannah Tarbush.

Bei einem Besuch in Syrien ließen sich zwei Londonerinnen arabischer Herkunft von den gewagten Dessous faszinieren, die in den Suqs und Geschäften von Damaskus und Aleppo zu finden waren. Ihr Buch, das sie dazu nun herausgaben, dürfte zu den ungewöhnlichsten gehören, die in letzter Zeit über die arabische Welt erschienen sind, meint Susannah Tarbush.

​​ Als Malu Halasa und Rana Salam vor ein paar Jahren die Suqs und Geschäfte in Damaskus und Aleppo besuchten, waren sie überrascht von dem offensichtlichen Gegensatz zwischen der Gewagtheit und Verspieltheit der zur Schau gestellten Unterwäsche und der konservativen syrischen Gesellschaft, in der so viele Frauen verhüllt sind.

Halasa und Salam entschieden sich schon bald, gemeinsam ein Buch zu diesem ungewöhnlichen Thema herauszugeben, das kürzlich unter dem Titel "The Secret Life of Syrian Lingerie: Intimacy and Design" im Verlag Chronicle Books in San Francisco erschienen ist. Gefördert wurde das Projekt durch die niederländische Prince Claus Fund Library.

Sinnliche Verspieltheit

Die aufwändigen Farbabbildungen zeigen zahlreiche Aufnahmen von Dessous, die mit verschiedensten Elementen verziert sind, darunter Vögel, Schmetterlinge und Federn, aber auch falsche Skorpione, Blumen und Pelz. Pailletten, Perlen und Stickereien schmücken BHs und Höschen. Einige Unterwäsche-Objekte können Musik abspielen, andere wiederum vibrieren oder warten mit Lichteffekten auf. Es gibt essbare Dessous ebenso wie welche, die in Schokolade oder Eiern verpackt ist. Gehäkelte Einteiler finden sich ebenso wie vom Bauchtanz inspirierte Ensembles. Die Verspieltheit der Wäsche trägt nicht selten komische Züge, zum Beispiel wenn sich falsche Pelz-Strümpfe auch als Handyhalterungen nutzen lassen.

Lingerie mit Vögeln und Pelz; Foto: Gilbert Hage
Schlüpfrige Dreifaltigkeit: Die syrische Gesellschaft ist nach westlichen Standards zwar konservativ, gilt im arabischen Raum aber als verhältnismäßig freizügig.

​​ Doch finden sich im Buch nicht nur Aufnahmen der Unterwäsche selbst, sondern auch Fotos hellhäutiger Models, meist osteuropäischer Herkunft, die die Dessous präsentieren. Diese Bilder stammen aus Katalogen, die in den Dessousgeschäften ausliegen und dies trotz des strengen Verbots jeglicher Zurschaustellung weiblicher Nacktheit in der Öffentlichkeit.

Einer der Interviewpartner Halasas ist der syrische Autor und politische Aktivist Ammar Abdulhamid, der als Dissident in den USA lebt. Er beschreibt Syrien als Land im Kampf zwischen traditioneller und postmoderner Kultur. "Wenn Sie sich die syrische Kultur im Längsschnitt betrachten, entdecken Sie, dass es ein Spektrum verschiedenster kultureller Werte gibt, die einen Zeitraum von 1000 Jahren umspannen, die aber alle jetzt, in einem einzigen historischen Moment, nebeneinander existieren."

Vermittlung der populären Kultur des Nahen Ostens

Halasa und Salam sind schon seit längerer Zeit damit beschäftigt, dem Westen die populäre Kultur des Nahen Ostens zu vermitteln. Halasa, die jordanische wie philippinische Wurzeln hat, veröffentlichte bereits zahlreiche Texte in Großbritannien und in den USA. Zugleich ist sie Gründungsherausgeberin des Kulturmagazins Tank und ehemalige Geschäftsführerin der Prince Claus Fund Library. Zu den Büchern, zu denen sie Beiträge lieferte, gehören: "Creating Spaces of Freedom: Culture in Defiance", "Transit Beirut" and "Transit Tehran" (letzteres auch auf Deutsch erschienen als "Transit Teheran: Pop, Kunst, Politik, Religion").

Lingeriemodel
Altmodische Vorstellung von Sexualität der gebildeten Klassen? Die Meinungen in Syrien gehen auseinander.

​​Rana Salam, deren Wurzeln im Libanon liegen, hat ihr Studium am Central St Martin's College of Art and Design und am Royal College of Art in London abgeschlossen. Ihr Designstudio ist von der volkstümlichen Kultur und Straßenkunst des Nahen Ostens inspiriert; Salam arbeitete sowohl für Institutionen wie das Victoria & Albert Museum, als auch für Firmen und Händler wie Liberty, Harvey Nichols oder Paul Smith.

Halasas Essay 'The Lingerie Culture of Syria', also über die Unterwäschekultur in Syrien, nimmt den Leser mit auf eine Reise nach Damaskus und Aleppo und zu den dort ansässigen Herstellern und Händlern. Dessous sind zu einem festen Bestandteil der Aussteuer syrischer Bräute geworden. "Wenn der Bräutigam keine Unterwäsche für seine zukünftige Ehefrau kauft, tun es die Braut oder ihre Mutter selbst; nicht selten kommen dabei bis zu 30 Outfits für die Hochzeitsnacht zusammen."

Der Essay wird begleitet von den Aufnahmen der libanesischen Photographin Reine Mahfouz, auf denen Unterwäsche-Manufakturen und Schaufenster festgehalten sind, sowie Läden, in denen verschleierte Frauen Unterwäsche von männlichen Verkäufern erstehen.

Die syrische Gesellschaft und die Sexualität

Halasa fragt Abdulhamid nach dem Image von Weltlichkeit und auch Obszönität, den das Land in der Region genießt. Er antwortet: "Die syrische Gesellschaft nimmt sich der Sexualität direkt an und sieht es als etwas Selbstverständliches. Manche mag dies erstaunen, da es sich doch angeblich um eine sehr konservative Gesellschaft handelt." Es gebe aber selbst in gemischtgeschlechtlichen Treffen eine offene Diskussion zu sexuellen Themen. "Manchmal spielt es noch nicht einmal eine Rolle, ob die Leute religiös sind oder nicht. Sexwitze etwa sind etwas ganz Normales im syrischen Alltag."

Schaufenster; Foto: Reine Mahfouz
Die Bedeutung der weiblichen Sinnlichkeit ist in zahlreichen Hadithen überliefert. So zumindest sieht es Ammar Abdulhamid, politischer Aktivist im amerikanischen Exil.

​​ Natürlich sind seine Anmerkungen zur Gewagtheit der syrischen Dessousmode zweischneidig. Einerseits "werden Frauen so zu Sexspielzeugen. Sie sollen andere Männer nicht sexuell stimulieren, sondern einzig den eigenen Mann, zu Hause. Seine Sexualität soll dadurch gesteigert werden, für ihn zieht sie sich aufreizend an und soll alles tun, was er von ihr erwartet." Doch gleichzeitig "gibt dies den Frauen auch ein großes Maß an Kontrolle. Sie können ihre Sexualität einsetzen, um ihre Männer zu manipulieren."

Ein Gedanke, der von einigen Interviewpartnern geäußert wird, die im Buch zitiert werden, ist, dass eine Frau ihren Ehemann zuhause unterhalten sollte, unter anderem auch, indem sie für ihn tanzt. Einige behaupten, dass der Koran eine solche Vorschrift enthalte. Abdulhamid sagt, dass dies nicht der Fall sei, dass "aber Tausende prophetischer Traditionen diese Vorstellung von der Frau stützen" würden. Sicher gebe es einige Syrer, die glaubten, dass eine Frau, die ihren Mann zuhause "unterhält", damit verhindert, dass er stattdessen zu andere Frauen oder Prostituierten geht und somit auch die Gefahr geringer ist, dass er sich eine zweite Frau nimmt.

Verlegenheit wird provoziert

Das Buch enthält auch Auszüge eines Tagebuchs der in Aleppo geborenen kanadischen Filmemacherin Nora Kevorkian aus dem Jahr 2001. Damals reiste sie nach Damaskus, um den Film "Veils Uncovered" zu drehen, der von Frauen handelte, die in der Umgebung des Suq al-Hamadiyeh leben. Der preisgekrönte Film sorgte bei Einzelnen und bei politischen Gruppen in Syrien für viel Ärger, da man ihm vorwarf, Klischees über muslimische Frauen zu verbreiten.

Stringtanga mit Handyhalterung; Foto: Gilbert Hage
"Ich kann grad nicht dran gehn, heb Du für mich ab..." Im Bereich Unterwäsche und Telekommunikation zeigt man in Syrien ein Faible für Innovation.

​​ "The Secret Life of Syrian Lingerie" könnte selbst auch Ziel solcher Kritik sein. Die Interviews mit Frauen werden illustriert mit Photos des libanesischen Photographen Gilbert Hage, doch viele Frauen lehnten es ab, befragt zu werden oder wurden wütend, als sie einige der Wäschestücke sahen.

Eine Frau in den Sechzigern, die ein Interview ablehnte, erklärte dazu: "Die Menschen in Damaskus sind stolz auf ihre Stadt und ihre Kultur. Niemand wird mit Ihnen sprechen." Eine andere sagte: "Dessous sind für syrische Frauen ein peinliches Thema und das wird der Grund sein, warum man vom "secret life" spricht."

Naiv, süß und unschuldig

Eine Frau, die sich interviewen ließ, betonte, dass es sich bei den im Buch vorgestellten Waren nur um einen sehr kleinen Ausschnitt dessen handelte, was man in Syrien an Dessous erhalten könne und auch nur von einer kleinen Zahl von Menschen gekauft werde. "In Syrien gibt es eine Subkultur, so wie es sie überall gibt, ob im Lido oder im Moulin Rouge, und so wie in unserer interessiert man sich auch dort für diese Art von Dessous." Eine andere befragte Frau aber stellte heraus, dass die gezeigte Unterwäsche in einer "fast schon naiven, süßen und unschuldigen Art gefertigt" sei. "Keinesfalls ist sie krank oder pervers."

Verschleierte Frauen kaufen Lingerie; Foto: Reine Mahfouz
Je religiöser ein Land, desto gewagter die Dessous? Frauen mit Kopftuch in einem Damaszener Fachgeschäft für Unter- und Reizwäsche auf der Suche nach dem passenden Stück Stoff

​​ Oft wird von den Frauen die "exotische" Wäsche mit einer bestimmten Klasse oder Religiosität in Verbindung gebracht. Eine von ihnen sagt: "Diese Dessous bringen mich nur zum Lachen. Sexy finde ich sie überhaupt nicht!" Die Frau äußert die Meinung, dass diese Dessousmode "sehr altmodische Ideen zur Sexualität weniger gebildeter Schichten in Syrien widerspiegeln."

Wieder eine andere meint, dass "die Dessous für Christen peinliche, altmodische Dinge wären; für Muslime hingegen sei dies alles etwas ganz Normales — sie akzeptieren sie nicht nur, sondern erfreuen sich auch an ihr. Je religiöser eine Region geprägt sei, desto gewagter sind die Dessous. Ich glaube, dass muslimische Frauen in der Öffentlichkeit weniger Freiheiten haben und sie dies in ihrer Privatsphäre kompensieren wollen."

"The Secret of Life of Syrian Lingerie: Intimacy and Design" ist eines der ungewöhnlichsten, mitunter sogar bizarrsten Bücher, die über die arabische Welt veröffentlicht wurden. Es wird das erste Buch sein, dass eine arabische Kultur untersucht, indem es sich der weiblichen Unterwäsche annimmt. Es scheint mir fast sicher, dass es zu sehr hitzigen Kontroversen führen wird.

Susannah Tarbush

© Qantara.de 2008

Übersetzung aus dem Englischen von Daniel Kiecol

The Secret Life of Syrian Lingerie: Intimacy and Design, Malu Halasa und Rana Salam (Hrsg.), Chronicle Books, San Francisco, 2008, 176 Seiten

Qantara.de

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