Aufstand im Kleinen
"Sprich nicht über den Präsidenten und nicht über die Armee. Alles andere ist in Ordnung." Mohamed Ezz Aldin geht pragmatisch an die Sache ran. Der Moderator und Online-Redakteur von "Horytna" kennt die Themen, die in Ägypten regelmäßig für Ärger mit der Zensur sorgen.
Nichtsdestotrotz nehmen die rund 20 Journalisten bei Radio Horytna kein Blatt vor den Mund. Denn nicht umsonst haben sie ihr Radio "Horytna" genannt, zu deutsch: "unsere Freiheit".
Um diese Freiheit unter Beweis zu stellen suchen sie immer wieder brisante Themen aus, die in den offiziellen, regierungsnahen Medien nicht diskutiert werden. Sie berichten engagiert über verhaftete Blogger, über Demonstrationen, die in den regierungsnahen Medien nicht vorkommen, über mangelnde Rechte für Frauen und über Arbeitslosigkeit.
Und sie appellieren an ihre Hörer, selbst aktiv zu werden. Zuletzt forderte Horytna sie auf, an den Kommunalwahlen Anfang April teilzunehmen, um die oft politikverdrossenen Jugendlichen davon zu überzeugen, dass ihre Stimme auch im autokratischen System Mubaraks eine Bedeutung hat.
Breite Themenpalette
Würden sie aber immer nur ernst und engagiert über Menschenrechte sprechen, dann würden ihnen viel weniger Menschen zuhören, glaubt Mohamed Ezz Aldin. "Wir müssen ein Gleichgewicht finden zwischen ernsten Themen und Unterhaltung." Und so geht es in seiner Wochenend-Sendung auch um Filme, Musik und die Welt der ägyptischen Stars und Sternchen.
Dass die Person Hosni Mubarak tabu ist, sei eine bewusste Entscheidung und zugleich Überlebensstrategie des Senders, sagt Manager Ahmed Samih. Horytna versuche, ein Bewusstsein für Menschenrechtsthemen zu schaffen. Es bringe da wenig, blind auf die Regierungspolitik einzuprügeln.
"Wir wollen weiterhin unsere Botschaft vermitteln und nicht hingehen und schreien, und am Ende des Tages kommt die Botschaft nicht an. Ich versuche, weitsichtig zu sein", meint Samih lachend.
Eine kleine Erfolgsgeschichte
Der Erfolg gibt der Redaktion Recht. Seit der Gründung 2007 sendet Horytna 24 Stunden am Tag und hat bereits rund 3.500 Hörer gewonnen. Das Radio feiert seinen Erfolg in einer Zeit, in der das Internet in Ägypten gerade für junge Menschen immer mehr an Bedeutung gewinnt. Und so setzt auch der Sender auf Youtube, Blogs, Facebook und Co. um mit seinen Hörern zu kommunizieren.
Auf traditionellem Weg sind die kaum zu erreichen, auch weil sie in vielen ägyptischen Medien oft nicht mehr finden als offizielle Verlautbarungen. Journalistische Ethik und Inhalt blieben dabei oft auf der Strecke, beklagt sich Ahmed Samih. "Meine Generation will keine Vorträge hören und vertraut Politikern nicht."
Die neuen '68er von Ägypten?
Die jungen Leute sind in Aufbruchsstimmung, nicht nur bei Horytna. Im Internet werden Themen offen diskutiert für die es früher kaum eine Plattform gab. So formierte sich im Netzwerk "Facebook" eine Gruppe, die zum Generalstreik am 6. April aufrief. Innerhalb weniger Tage wurden mehr als 70.000 Nutzer Mitglied.
Der zweite Streik anlässlich des 80. Geburtstags des Präsidenten war weniger erfolgreich. Doch Ahmed Samih ist sicher, dass in Ägypten gerade etwas ganz Neues entsteht.
Was hier passiere, sei das 1968 Ägyptens. Eine ganze Generation kämpfe um ihren Platz in der Gesellschaft. "In der ganzen politischen Geschichte Ägyptens haben wir noch nie so eine Bewegung gesehen."
Vom Traum eines Sender für die arabische Welt
Die Macher von Horytna sitzen in einer großen Altbauwohnung in Kairo. Eines der Zimmer haben sie umgebaut und gegen Lärm isoliert, so dass sie es als Studio nutzen können. Finanziell unterstützt wird Horytna zur Zeit von der niederländischen Organisation "Press Now", doch der Sender steht finanziell nach wie vor auf wackligen Beinen.
Denn noch reichen die Einnahmen aus Spenden und Werbebannern nicht aus, um das Überleben des Senders zu sichern. Ahmed Samih träumt trotzdem davon, mit Horytna eines Tages in der ganzen arabischen Welt vertreten zu sein.
Doch alle Horytna-Mitarbeiter fürchten, dass die ägyptische Regierung früher oder später den Zugang zu Facebook, Bloggersoftware und anderen Seiten sperrt und die Arbeit des Senders einschränkt.
Doch aufhalten lassen werde man sich davon nicht, bekräftigt Moderator Mohamed Ezz Aldin und zitiert den spanisch-arabischen Philosophen Averroes. "Gedanken haben Flügel. Keiner kann sie davon abhalten, zu fliegen."
Sarah Mersch
© DEUTSCHE WELLE 2008
Qantara.de
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