Überwachen mit Argusaugen
Das neue Gesetz zur Cyberkriminalität zwingt Ägyptens Telekommunikationsunternehmen zur Speicherung von Nutzerdaten für 180 Tage und gewährt nationalen Sicherheitsbehörden Zugang zu diesen Daten. Verstöße gegen das Gesetz können mit bis zu fünf Jahren Haft und hohen Geldstrafen von bis zu 20 Millionen ägyptischen Pfund (umgerechnet 950.000 Euro) geahndet werden. Was wird sich ändern, wenn dieses Gesetz schlussendlich in Kraft tritt?
Amr Gharbeia: Die Rechtsstaatlichkeit in Ägypten wird damit weiter geschwächt. Die Behörden genießen ja traditionell Immunität und stehen kaum unter Aufsicht. Dieses neue Gesetz räumt den Gerichten umfassende Befugnisse ein, Webseiten zu sperren, Vermögenswerte einzufrieren und Verdächtige daran zu hindern, auszureisen. Aber der wohl wichtigste Teil des Gesetzes ist der Abschnitt, der die Arbeit der sogenannten Systemadministratoren kriminalisiert. Laut neuem Gesetz können sie dafür bestraft werden, wenn sie ihr System nicht vor Hackern schützen – ihnen wird sogar das verfassungsmäßige Recht auf Stillschweigen verweigert. Sie müssen mit den Behörden zusammenarbeiten wenn sie ein IKT-System (Informations- und Kommunikationstechnologie) nicht ausreichend schützen können. Doch jeder, der etwas Ahnung von IKT hat, weiß, dass eine 100 prozentige Sicherheit illusorisch ist. Daher ist dieses neue Cyberkriminalitätsgesetz auch besonders schlecht für Unternehmen.
Warum war das Gesetz in den letzten Monaten eine Priorität für ägyptische Parlamentsabgeordnete? In Ägypten werden Menschen ja schon seit 2013 wegen einer Vielzahl von Online-Aktivitäten wie Posts in sozialen Medien verhaftet und verurteilt. Und unbekannte Stellen lassen seit Anfang 2017 Internetinhalte in Ägypten sperren, weshalb die Regierung doch eigentlich auch kein solches Gesetz mehr braucht, um Menschen für Onlineaktivitäten strafrechtlich zu verfolgen. Oder wie sehen Sie das?
Gharbeia: Stimmt. Viele Bereiche im Strafgesetzbuch von 1937 und im Terrorismusbekämpfungsgesetz von 2015 kriminalisieren ohnehin bereits Meinungsäußerungen sowie die freie Bildung von Organisationen und Vereinigungen, vor allem seitdem viele Gerichte im Einklang mit der Regierung urteilen. Frühere Verstöße, wie die Blockade von Webseiten, die außergewöhnlich und illegal waren, werden nun im Rahmen des neuen Gesetzes zur Cyberkriminalität und durch die jüngste Novellierung des Strafrechts normalisiert und legalisiert.
Ist denn bekannt, welche Instanzen für die Sperrung von Online-Inhalten in Ägypten verantwortlich sind?
Gharbeia: Da gibt es tatsächlich einen interessanten Fall: Derzeit läuft ein Gerichtsverfahren gegen die weitere Blockade der Webseite von Mada Masr, eine der wenigen unabhängigen Nachrichtenquellen in Ägypten. Die offiziell unabhängige Regulierungsbehörde für Telekommunikation, die "National Telecom Regulatory Agency", verteidigt sich damit, dass die gar nicht über ausreichende technische Kapazitäten verfüge, um Webseiten blockieren zu können. Dies sei vielmehr Sache der vier nationalen Sicherheitsbehörden, die im Telekommunikationsgesetz von 2003 erwähnt werden – es handelt sich dabei um den "General Intelligence Service" (GIS), den Militärgeheimdienst, das "National Security Investigation Directorate" (einem zum Innenministerium gehörenden Dienst, der auch als "Heimatschutz" oder "Staatssicherheitsdienst" bekannt ist) und die "Administrative Oversight Authority" – eine Behörde, die die Korruptionsbekämpfung überwacht.
Diese Behörden behaupteten dagegen, dass es die Regulierungsbehörde sei, die die Befugnis habe, Webseiten zu blockieren. Und die Regierung ist nicht bereit, irgendwelche Namen zu nennen und wartet auf das neue Cyberkriminalitätsgesetz, damit die Sperrung legalisiert werden kann. Aber auch im Rahmen des neuen Gesetzes muss eine solche Blockade von einem Strafgericht angeordnet werden. Aber nicht alle der blockierten Nachrichtenwebseiten oder VPN- und Proxy-Anbieter werden Gegenstand von strafrechtlichen Ermittlungen oder eines Prozesses sein. Für den Moment müssen wir abwarten, wie sich die Dinge entwickeln. Das gilt übrigens auch für Qantara.de, denn die Seite ist ja in Ägypten ebenfalls nicht frei zugänglich.
Sie befassen sich seit elf Jahren mit Gesetzen zur Cyberkriminalität in Ägypten. Was hat sich heute im Vergleich zur Herrschaft des ehemaligen ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak geändert? Und in welcher Hinsicht zielt das neue Gesetz insbesondere auf soziale Medien?
Gharbeia: Was sämtliche Entwürfe, die ich in den letzten Jahren gelesen habe, gemeinsam haben, ist die Härte der Sanktionen, die Tendenz, die Technologie selbst zu kriminalisieren, anstatt die kriminelle Nutzung von Technologie. Das kürzlich vom Parlament verabschiedete Gesetz beinhaltet immer noch keine genauen technischen Definitionen davon, was ein Informationssystem oder eine Webseite oder ein E-Mailkonto ist. Natürlich waren die sozialen Medien vor zehn Jahren noch kaum von Relevanz. In früheren Entwürfen taucht daher auch nichts hierzu ausdrücklich auf. Ich habe aber den Eindruck, dass die ägyptischen Behörden das Internet zu Recht als das demokratischste Medium verstanden haben, das wir bislang haben. Daher bemühten sie sich auch, zwei Rechtsbereiche zu schaffen: einen für das Internet und einen für alles andere. Zum Beispiel wird die gleiche Hassrede, wenn sie online erfolgt, härter bestraft, als etwa im Fernsehen, obwohl es ein potenziell viel größeres Publikum erreicht und weit umfassendere Auswirkungen haben kann.
Wie werden die Behörden den in Artikel 27 des Gesetzes erwähnten Begriff der "öffentlichen Moral" verwenden?
Gharbeia: Die öffentliche Ordnung betreffende Straftaten sind in solchen Gesetzen recht vage gehalten, bei denen die Polizei, die Staatsanwaltschaft und die Gerichte mehr Spielraum für Interpretationen haben, als es im Strafrecht der Fall sein sollte. Bei Artikel 27 des neuen Gesetzes ist das nicht anders. Das Problem besteht nicht darin, dass durch neue Technologien neue Formen von Kriminalität auftauchen. Das Problem ist vielmehr, wie Ägyptens antiquierte Gesetze Verbrechen ahnden. Daher müssten Ägyptens Strafgesetze ersetzt werden, sie sind veraltet.
Das Interview führte Sofian Philip Naceur.
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