"Soviel Zensur wie nie zuvor"
Frau Zohdi, Sie waren in diesem Jahr ein Teil der Berlinale Talent Press und haben hauptsächlich über das arabische Kino geschrieben. Wurden Ihnen diese Filme zugeteilt oder haben Sie sich selbst für sie entschieden?
Yasmine Zohdi: Ich habe mich selbst für sie entschieden und auf ägyptische oder arabische Filme im Programm der Berlinale fokussiert, weil diese Filme - aufgrund von Zensurmaßnahmen der Behörden - niemals in ägyptischen Kinos laufen würden. Ich wollte daher sehen, worum es in diesen Filmen geht. Außerdem sollten wir am Ende unserer Zeit als "Talent Press Mitglied" des festivals einen längeren Aufsatz schreiben. Dieser sollte wiederum auch bei Mada Masr erscheinen, also auf der Webseite, für die ich in Ägypten arbeite. Von daher wollte ich, dass der Text auch relevant für die Region der Leser ist.
Sie haben soeben das Thema Zensur erwähnt. Wo verlaufen die Grenzen zwischen erlaubten und unerlaubten Bildern im ägyptischen Film?
Zohdi: Es gibt überhaupt keine Standards. Das ist das größte Problem der ägyptischen Zensurbehörde. Wenn es um Zensur geht, dann gibt es einfach keine Regeln. Oftmals hängt es bei beliebigen Filmen vom einzelnen Gutachter ab. Und bei manchen Filmen weiß man schon von vornherein, dass sie niemals im Kino laufen werden, weil darin beispielsweise Kritik an der Regierung geübt wird. So gesehen durchleben wir derzeit im ägyptischen Kino die bislang wohl schlimmste Phase. Es werden so viele Filme zensiert wie noch nie zuvor. Und damit meine ich nicht, dass nur einige Szenen rausgeschnitten werden müssen. Ich meine, dass man diese Filme erst gar nicht zu sehen bekommen.
Wie gehen Sie mit diesem heiklen Thema in Ihrer journalistischen Arbeit um? Schreiben Sie über Zensur? Und wie kommen Ihre Artikel an?
Zohdi: Natürlich tue ich das. Aber unsere Website ist ein besonderer Fall. Obwohl Mada Masr zu den letzten unabhängigen journalistischen Plattformen zählt, ist unsere Website geblockt. Sie ist nur außerhalb Ägyptens aufrufbar, was die Leute in Ägypten trotzdem nicht davon abhält, Proxy-Verbindungen herzustellen und unsere Seite zu lesen. Also arbeiten wir wie gewohnt und veröffentlichen auch weiterhin. Aber es hat unsere Leserschaft doch beeinträchtigt. Wie die Regierung zu unserer Arbeit steht, ist natürlich nicht sehr positiv.
Kämen für Sie auch andere Methoden der Kommunikation in Frage, um die Blockade zu umgehen? Wäre YouTube eine Alternative für Ihre Filmkritiken?
Zohdi: Naja, Mada Masr ist hauptsächlich eine Nachrichtenseite, aber manchmal nutzen wir auch Videos. In der Tat ist das ist etwas, womit wir in Zukunft mehr experimentieren sollten. Und inzwischen haben wir auch schon einen eigenen YouTube Kanal! Es gibt zum Beispiel eine Web-Serie, so eine Art politische Satire-Sendung. Sie heißt "Big Brother", ist sehr witzig und hat sich bereits längst viral verbreitet. Unsere Website hat sie produziert. Sie wurde sogar in der internationalen Presse besprochen, wie etwa in der Financial Times. Also ja, wir sind immer auf der Suche nach neuen Möglichkeiten.
Üben Künstler in Ägypten heutzutage mehr Selbstzensur aus, damit ihr Werk bei der Regierung nicht in Ungnade fällt?
Zohdi: Ich denke schon. In der Sektion "Panorama" der Berlinale habe ich in diesem Jahr den Dokumentarfilm "Al Gami'ya" (What Comes Around) gesehen. Während einer Filmbesprechung nach der Vorführung berichtete die Regisseurin Reem Saleh, dass sie viele Szenen drehte, die mit der Revolution und ihren Folgen zu tun hatten. Diese nutzte sie aber letztendlich doch nicht, da sie mit den Menschen im Film nichts zu tun hatten. Ich bin mir zu 100 Prozent sicher, dass sie die Szenen nur deshalb rausgeschnitten hat, damit sie ihren Film eines Tages in Ägypten zeigen kann.
Anders als Tamer El Said, der seinen Film "In the Last Days of the City" bis heute nicht zeigen durfte, nur weil eine Szene vorkommt, in der man eine Demo sieht und den Satz "Nieder mit der Militärherrschaft" hört. Wobei man wissen muss, dass die Szene lange vor der Revolution stattfand. Aber trotzdem hat man den Film, der übrigens auch vor ein paar Jahren auf der Berlinale lief, in Ägypten bislang nicht zeigen dürfen.
Herrscht bei ägyptischen Filmemachern eine eher ängstliche Stimmung?
Zohdi: Ich würde nicht sagen, dass die Filmemacher Angst haben, aber alles nimmt natürlich einen gewissen Einfluss auf ihre Entscheidungen. Damit meine ich, was sie in ihren Werken machen können – und was nicht. Zum Beispiel ist es jetzt sehr schwierig, in der Öffentlichkeit zu drehen. Man brauchte zwar schon immer Drehgenehmigungen, aber das Volk ist paranoider geworden, weil es jetzt wegen der Regierung Angst vor Menschen bekommt, die mit Kameras rumlaufen. Filmemacher haben in diesem Sinne viele Probleme und doch sind sie weiterhin beruflich tätig. Es gibt auch noch immer Film-Festivals in Ägypten. Erst letztes Jahr eröffnete das erste El Gouna-Film-Festival in einer Ferienstadt am Roten Meer. Ich würde sagen, dass es das zweitgrößte Festival nach dem in Kairo ist. Also, obwohl die Dinge so sind wie sie sind, gibt es auch immer wieder neue Entwicklungen.
Haben Sie persönlich eine Veränderung zwischen den Filmen feststellen können, die vor und nach der Arabellion produziert worden sind? Hat sich das ägyptische Kino seitdem geändert?
Zohdi: Das kann man gewiss so sagen. Obwohl es jetzt viel mehr Einschränkungen gibt, ist man offen für Neues – nicht nur im Kino, sondern auch im Fernsehen. Die Menschen sind heute mutiger. Alle behaupten zwar ständig, dass wir zum Ausgangspunkt zurückgekehrt sind. Doch das stimmt nicht. Es hat einen Wandel gegeben, der Bewusstseinszustand einer ganzen Generation hat sich geändert. Die Menschen waren an einem historischen Moment beteiligt, was einfach unersetzlich ist. Und das hat die Menschen verändert – letztendlich auch wie sie beispielsweise über Kunst denken. Und das sieht man in den Filmen an.
Das Gespräch führte Schayan Riaz.
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