Der verlorene Glaube an die Demokratie

Lange hatte man Ägyptens Literaten als intellektuelle "Kräfte des Guten" im Kampf gegen die Mubarak-Diktatur überbewertet. Heute zeigt sich, dass viele Schriftsteller der Restauration der alten Kräfte keinesfalls ablehnend gegenüber stehen, wie Marcia Lynx Qualey berichtet.

Von Marcia Lynx Qualey

Anfang Dezember war der ägyptische Romancier und Bestseller-Autor Ala al-Aswani in London, um an der ersten „Gingko-Konferenz“ teilzunehmen, die es sich zur Aufgabe macht, "Ost und West" einander näher zu bringen. Die Anwesenheit des Autors war diesmal weniger brisant als sein Auftritt 2013 in Paris, als Demonstranten die Bühne stürmten und Aswani durch den Hinterausgang entkommen musste.

Dennoch musste sich der ägyptische Autor auch dieses Mal lautstarken Widerspruch anhören, zuerst während der Konferenz, später in der BBC-Sendung Hard Talk mit Stephen Sackur.

Dabei ging es um die Frage, ob sich sein demokratisches Selbstverständnis, für das er von jeher bekannt war und dem er seine bekannteste Aussage verdankt ("Die Demokratie ist die Lösung"), seit dem 30. Juni 2013 gewandelt hat. An diesem Tag äußerte al-Aswani, dass er die Absetzung des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi befürworte und für die Einrichtung der Militärherrschaft sei.

Eine französisch-algerische Journalistin konfrontierte al-Aswani während einer Fragerunde mit den Worten: "Sie scheinen anzunehmen, dass die Militärherrschaft die Lösung sei, um den Wahhabismus zu beseitigen. Ich finde es ziemlich schockierend, dass Sie Demokratie als literarisches Projekt verkaufen, als reine Fiktion. Sie schieben den Begriff vor, nur um damit Geld zu machen, aber nicht wirklich daran glauben."

Präsident Sisi als kleineres Übel

Der ägyptische Schriftsteller Ala al-Aswani; Foto: Arian Fariborz
"Die Diktatur ist die Lösung?": Ägyptens Bestseller-Autor Ala al-Aswani war einer der Gründerväter der "Kifaya"-Bewegung gegen das Mubarak-Regime und Aktivist während der Revolution vom 25. Januar 2011. Heute rechtfertigt er die Herrschaft der Militärs am Nil.

Aber nicht nur al-Aswani hat inzwischen seine ursprünglich demokratischen Ambitionen für ein neues Ägypten längst relativiert, andere Autoren halten es genauso oder ähnlich wie er. Viele von ihnen bekundeten ihre Unterstützung für den gegenwärtigen Militärherrscher, Abdel Fattah al-Sisi, obwohl demokratische Wahlen nach wie vor in den Sternen stehen sowie Versammlungs- und Meinungsfreiheit weiterhin eingeschränkt werden.

Der Dramatiker Ali Salem, der noch 2008 für seine Bemühungen um einen Frieden mit Israel den mit 50.000 britischen Pfund dotierten "Civil Courage Prize" erhalten hatte, rief im Mai 2014 in einer Kolumne der Tageszeitung "Al-Masry Al-Youm" zur Hinrichtung von Regierungskritikern auf. Der von der Kritik gefeierte Romancier Gamal al-Ghitani, Autor des bahnbrechenden Werks "Zayni Barakat", lobte die staatliche Gewalt und schrieb, dass der Staat dank der Armee gegen die Muslimbruderschaft gewonnen habe. 2013 wurde die Website sisimocracy.tumblr.com eingerichtet, um als "Schandmauer" zu dienen, an der die "Intellektuellen des Diktators" aufgelistet werden.

Einige Autoren aber hielten ihre Kritik am neuen starken Mann Ägyptens aufrecht: der Satiriker Bilal Fadl verließ die Zeitung "Shorouk", nachdem das Blatt einen Artikel über Sisi zensieren ließ. Auch die britisch-ägyptische Romanautorin Ahdaf Soueif steht nach wie vor an der Seite der Regierungskritiker, wie es auch andere bis heute noch tun. Doch die Parteinahme vieler Schriftsteller für das neue ägyptische Regime hat zu hitzigen Debatten innerhalb wie außerhalb des Landes geführt.

Ein literarischer Heiliger?

Im Westen, wo man ägyptische Autoren lange Zeit als "Kräfte des Guten" gefeiert hatte, war man schockiert über diese Entwicklung. Ein Jahr, bevor der Aufstand von 2011 begann, schrieb Claudia Roth Pierpont im "New Yorker", dass "nur eine geringe Gefahr besteht, [in arabischen Romanen] auf so etwas wie offizielle Propaganda zu stoßen, da der arabische Romancier fast per definitionem – als Denker und als Verbindungsmann zum intellektuellen Leben – in Opposition steht zu den rückwärtsgewandten Kräften im modernen arabischen Staat."

In den letzten Jahren wurden diejenigen Autoren in Ägypten, und noch mehr in Syrien, die nicht mit ganzem Herzen an der Seite der Aufständischen standen, oft abgelehnt.

Doch über keinen anderen Schriftsteller wurde in jüngster Zeit wohl kontroverser diskutiert als über den renommierten Romancier Sonallah Ibrahim, der im Zentrum der Diskussionsveranstaltung "The Authoritarian Turn: On the State of the Egyptian Intelligentsia" stand, die im letzten Herbst in New York City stattfand.

Gamal al-Ghitani at a reading at Deutsche Welle in 2005 (photo: DW)
Gamal al-Ghitani at a reading at Deutsche Welle in 2005. According to Marcia Lynx-Qualey, critically acclaimed Egyptian novelist Gamal al-Ghitani, lauded Sisi and supported the killings of Muslim Brotherhood protesters in 2013

Auch wenn Ibrahim seine Unterstützung für Sisi nur sehr indirekt zeigte, fokussierte sich die Debatte auf ihn – zum einen, weil er sein ganzes Leben lang in Opposition zum Regime stand, zum anderen, weil er nach Nagib Mahfuz wohl als der wichtigste ägyptische Romanautor seit dem Zweiten Weltkrieg angesehen werden kann.

In dem Gespräch, das am 9. September letzten Jahres stattfand, kürte Robyn Creswell, der Ibrahims Buch "That Smell" übersetzt hatte, den ägyptischen Romancier gar zum "literarischen Heiligen".

Echte Angst            

Seine Unterstützung für Sisi, die Ibrahim zum Ausdruck brachte, veranlasste einige dazu, seine Romane noch einmal neu lesen. Bei der Veranstaltung versuchten Creswell, der Historiker Khaled Fahmy und die unabhängige Forscherin Mona El-Ghobashy zu erklären, warum Intellektuelle und Schriftsteller wie Ibrahim, den neuen ägyptischen Machthaber nicht stärker kritisiert haben.

Ein großer Teil der Parteinahme für Sisi resultiere aus "echter Angst". So sieht es jedenfalls Creswell. Schließlich hätten die Muslimbrüder unter ihrem Präsidenten Mursi vor allem im Kulturministerium restriktive Maßnahmen ergriffen, was von vielen Autoren und Künstlern als wirkliche Bedrohung wahrgenommen worden sei.

Der Historiker Fahmy verwies auf den Zusammenbruch Syriens und des Iraks als eine weitaus größere Quelle für die Angst der Kulturschaffenden, was in einigen Fällen auch berechtigt gewesen sei. Doch Angst sei keine Grundlage dafür, die Verfolgung und Tötung von Muslimbrüdern zu unterstützen oder gut zu heißen. "Und genau das ist es, was ich den ägyptischen Intellektuellen vorwerfe", so Fahmy.

Im Vergleich zur Aswani-Veranstaltung in London verlief "The Authoritarian Turn" in New York sehr friedlich, wenn auch etwas einseitig.

Keine Alternative zu Ägyptens autoritärem Herrscher?

"Die Frage müsste nicht lauten, warum die Intellektuellen daran gescheitert sind, Abdel Fattah al-Sisi zu kritisieren, als vielmehr wie die ägyptische Gesellschaft und Kultur in eine Situation kommen konnten, in der es außer der Herrschaft Sisis keine denkbare Alternative gibt", erklärt der ägyptische Romanautor Youssef Rhaka in einem Chat im Anschluss an die Veranstaltung.

Rakha, der sich als Gegner Sisis sieht, meint dennoch, dass er zugleich gegen die der New Yorker Veranstaltung zum Autoritarismus zugrundliegende Prämisse sei. Anstelle des offenen Protests gegen den gegenwärtigen Präsidenten interessiere er sich eher für den individuellen Akt der Subversion.

Unterdessen beschreiben alle Autoren eine Welt, in der es schwierig geworden ist, diese Fragen über die scharfen Trennungslinien von politischen Zugehörigkeiten hinweg zu diskutieren. In den Debatten wird es schnell laut und Diskussionen auf Facebook führen rasch und fast automatisch zu unüberbrückbaren Differenzen.

Der Historiker Fahmy hofft dennoch, dass einige ägyptische Autoren ihre Unterstützung für Sisi noch einmal überdenken. "Es ist wichtig, die Türen offen zu halten", meint er. "Denn Ägypten ist heute tief, ja sogar sehr tief gespalten."

Marcia Lynx Qualey

© Qantara.de 2015

Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol