Der Weg nach Westen

Europa ist ein freundlicher Ort, in den USA herrschen Verbrechen und Ungerechtigkeit. So wird in modernen ägyptischen Kinofilmen das Bild vom "Anderen" gezeichnet.

Von Ala Al-Hamarneh

Die Darstellung des "Anderen" ist im ägyptischen Kino ein seltenes Phänomen. Bei den wenigen Ausnahmen handelte es sich bisher um fremde Soldaten und Israelis in Kriegs- und Spionagefilmen oder um die in Ägypten lebenden Ausländer (Italiener, Briten und Franzosen) in den "patriotischen" Filmen, in denen es um die Dekolonialisierung und Staatswerdung des Landes unter General Nasser geht.

Die Darstellung Europas und Amerikas dagegen beschränkt sich weitgehend auf die Rolle als Hintergrund und/oder Schauplatz von Spionageaktivitäten, Liebesgeschichten und Hochzeitsreisen. Vor diesem Hintergrund sind Filme mit Migrations-Thematik von besonderem Interesse:

Erstens zeigen sie den direkten Kontakt und die Interaktion zwischen Ägyptern und Fremden anderer Kulturen; zweitens vermitteln sie den Zuschauern einen Einblick in die fremde Kultur, den Lebensraum und "Lifestyle"; drittens geben sie Aufschluss über die Sichtweise und Interpretation des "Anderen" durch die Filmemacher selbst, bilden diese doch einen wichtigen und aktiven Teil der kulturellen Elite; viertens schließlich helfen sie, Stereotypen über das "Fremde" beim ägyptischen und arabischen Publikum erst zu schaffen, dann aber auch zu verändern.

Europa ein Hort der Solidarität und Gastlichkeit

Bei der Analyse von vier Filmen, die in Rumänien (America Abracadabra, von Khairy Bishara, 1993), Frankreich (The City, von Youssri Nassrallah, 1999), den Niederlanden (Hammam in Amsterdam, von Said Hamid, 2001) und den USA (Hello America, Nader Galal, 2000) spielen, sticht ein großer Unterschied in der Darstellung Europas und Amerikas unmittelbar ins Auge:

Während Europa als ein freundlicher Ort gezeigt wird, dessen Kultur der der arabischen Welt sehr ähnlich ist, werden die USA als ein Hort des "Fremden" schlechthin porträtiert, ein Land, dessen Werte und Gebräuche für ein arabisches Publikum schlicht unakzeptabel sind.

In Europa, so die Botschaft, besitzen Werte wie Solidarität, Treue, Freundschaft, Gastlichkeit und kulturelle Offenheit weiterhin große praktische Bedeutung im täglichen Leben. Sie bilden einen Teil eines europäischen Lebensstils, unabhängig vom Land, von der Stadt oder dem Dorf, in denen die Handlung angesiedelt ist.

Die rumänischen Bauern akzeptieren die ägyptischen Immigranten in derselben positiven und freundlichen Weise wie sie es bei einem Pariser Obdachlosen täten, bei einer französischen Krankenschwester oder einem niederländischen Geschäftsmann.

Arabische Immigranten als Kriminelle

Die negativen Charaktere, die in Europa versuchen, die neu angekommenen Immigranten zu beschwindeln und zu betrügen, sind andere arabische Immigranten: Diebe, Schleuser und "verwestlichte" Familienangehörige. "Die Menschen hier in Rumänien sind genauso wie wir, Bauern wie die Ägypter", sagt einer der Charaktere in Khairys Film. "Paris ist genau wie Kairo", schreibt Nassrallahs Protagonist seinem Freund in Ägypten.

Eine andere negative europäische Figur in Hamids Film ist der israelische Jude, der die Pyramiden einfach für jüdisch erklärt und alles mögliche unternimmt, um den Einwanderern das Leben schwer zu machen. Diese negativen Klischees, sowohl über arabische Immigranten wie über Juden in Europa, spiegeln ein allgemeines Mistrauen gegenüber beiden Gruppen in arabischen Gesellschaften wider.

Arabische Einwanderer werden entweder als Kriminelle dargestellt oder als Individuen, denen die Werte ihrer Heimatkulturen abhanden gekommen sind und die eine Gleichgültigkeit ihrem eigenen Volk gegenüber entwickelt haben.

Interessant an Hamids Film ist, dass der Jude ein Israeli ist und kein europäischer Jude. Dies ist ein dramaturgischer Kunstgriff, der verdeutlichen soll, dass es hier um einen arabisch-israelischen Konflikt geht und nicht um einen größeren zwischen Arabern/Muslimen und Juden; interessant also vor allem vor dem Hintergrund, dass der Film im ersten Jahr der zweiten palästinensischen Intifada entstanden ist.

Angst vor Terroristen in Amerika

"Warum musstest du ihnen erzählen, dass wir Araber sind?" ist einer der ersten Sätze der Ägypterin Adila, nachdem sie in New York aus dem Flugzeug gestiegen ist. Panikartig verlassen die amerikanischen Passagiere die Maschine als sie hören, dass ein arabisches Pärchen an Bord ist.

Vom ersten Moment an werden sie verdächtigt, Terroristen zu sein. Straft man sie erst mit Nichtachtung, schlägt diese spätestens bei ihrer Ankunft in Erniedrigung um. Die USA werden als Land gezeigt, das beherrscht ist von Verbrechen, Ungerechtigkeit, sozialer Kälte, religiösem Fundamentalismus, Homosexualität, politischen Intrigen, und in dem die Macht des Kapitals das tägliche Leben dominiert.

"Hello America" ist damit einerseits eine Komödie, in der die Unterschiede zwischen dem ägyptischen Lebensstil und den ägyptischen Stereotypen vom amerikanischen "way of life" im Mittelpunkt stehen. Die amerikanische Kultur wird reduziert auf all die negativen Aspekte, wie sie sich sowohl aus drittklassigen Hollywood-Produktionen herauslesen lassen als auch auf Gedanken des Isolationismus in den arabischen Ländern zurückzuführen sind.

Andererseits spiegelt der Film das Misstrauen wider, mit dem ägyptische Intellektuelle der amerikanischen Politik und Demokratie begegnen. So wird auch der Versuch unternommen, die Rolle der Lobbys, der Massenmedien und der Korruption innerhalb des politischen Systems der USA genauer zu beleuchten.

Emanzipierte Frauen und Homosexuelle als Gefahr

Der negativ dargestellte arabische Einwanderer wird hier, genau wie in "Hammam in Amsterdam", als hilfloser Ehepartner in einer bi-nationalen Familie porträtiert. Er ist ein schwacher Charakter, dem es nicht gelingt, eigene Überzeugungen zu bilden und dessen Verhalten eher dem der traditionellen Frauenrolle innerhalb der Familie entspricht: ruhig und passiv.

Dennoch ist es interessant, dass es in den ägyptisch/ nicht-ägyptisch gemischten Paaren immer der Ehemann ist, der als der schwächere Teil dargestellt wird. Die Emanzipation der Frauen spielt eine wichtige Rolle innerhalb der "Westbewegung" des ägyptischen Kinos und ist zugleich Teil eines größeren Themenkomplexes von Fragen nach "gender" und Sexualität.

Emanzipierte Frauen und Homosexuelle werden in der Regel als eine Gefahr für das arabisch-ägyptische Wertesystem dargestellt und als integraler Bestandteil der "anderen" Kultur und ihres Lebensraums. Die Tochter des Einwanderers in den USA verhält sich unmoralisch, indem sie einen Freund hat, doch auch ihr Vater verhält sich moralisch anstößig, weil er diese Beziehung toleriert, auch wenn er als unter dem Einfluss seiner amerikanischen Ehefrau stehend gezeigt wird.

Die beliebte Schauspielerin Shweekar spielt im Film "America Abracadabra" eine Prostituierte, die auf der Suche nach einem besseren Leben mit ihrer Tochter auswandert. Sie landet in Rumänien und findet sich in der Gesellschaft einer ganzen Gruppe von Migranten wieder, die wie sie von Schleusern hereingelegt wurden.

Mittellos wie sie ist, verkauft sie ihren Körper, um das Geld zu verdienen, das sie braucht, um ihrer Tochter Essen zu kaufen, aber auch den männlichen Einwanderern, die es nicht schaffen, die Situation aus eigener Kraft zu meistern. Von ihren Weggenossen wird sie gleichzeitig missachtet wie respektiert: respektiert für die Kraft, mit der sie die Krisen bewältigt, missachtet wegen ihrer Vergangenheit.

Die Emanzipation wird als ein Problem der Männer gezeigt, die sich an Veränderungen anpassen müssen; als eine Frage von Moral und Werten, nicht aber als eine Frage von persönlicher Freiheit und sozialer Ungerechtigkeit.

Homosexualität dagegen wird entweder als offene Bedrohung der Männlichkeit der arabischen Einwanderer und als häufiges negatives Attribut des "Anderen" (so allein in drei Szenen in "Hello America") gesehen oder als ein erotisches Element in "The City", wo sie als zu Kairo gehörig abgebildet wird und nach der Auswanderung einfach verschwindet. Im Leben der Auswanderer nimmt sie allerdings in keinem Fall einen breiten Raum ein.

"Wir sind Ägypter und Araber"

Die Frage individueller und kollektiver Identität in der Emigration spielt bei allen Filmen eine sehr große Rolle. Die kollektiven ägyptischen und arabischen Identitäten reichen weit über die Familien hinaus und bilden einen starken Identifikationsfaktor innerhalb der Gruppe wie Abgrenzungsfaktor gegenüber dem "Anderen". "Wir sind Ägypter und Araber", lautet die Antwort, die man einem Rumänen auf die Frage nach ihrer Nationalität gibt.

Die Palästinenserfrage spielt innerhalb der arabischen Identität eine zentrale Rolle: Bei einem Phantasietreffen zwischen dem Präsidenten der USA und einem ägyptischen Einwanderer (gespielt vom ägyptischen Filmstar Adel Imam), fordert letzterer den Präsidenten auf, Jerusalem und die Palästinenser zu befreien.

Auch zwischen Hammam und seinem israelischen Kollegen in Amsterdam steht die Palästinenserfrage im Kern ihres Konflikts. In "The City" leiden die Palästinenser mehr als die anderen illegalen Einwanderer, weil sie kein Heimatland haben, in das sie zurückkehren könnten. Die Filme zeigen, dass das Araber-Sein und/oder -Werden zur Migration in den "Westen" dazugehört, weil sie vom "Anderen" eben immer als solche identifiziert werden.

Die individuelle Identität wird in der Emigration auf eine harte Probe gestellt. Nur Said Hamid gibt seinem Protagonisten die Chance auf Erfolg und die Möglichkeit, sich eine Existenz aufzubauen, glücklich zu sein und zu bleiben. Die anderen drei Regisseure schicken ihre "Helden" zurück nach Hause, nachdem sie im Westen unangenehme Erfahrungen machen mussten.

Verlust des Gedächtnisses als Metapher

Youssri Nassrallah lässt seine wichtigste Figur seine Identität gleich ganz einbüßen: Er leidet in Paris unter Gedächtnisverlust und hat all seine Papiere verloren. Erst als er nach Ägypten zurückkehrt, kommt seine Erinnerung zurück. Der totale Verlust seiner Erinnerungen symbolisiert gleichzeitig den Verlust von Vergangenheit, Gegenwart und Identität.

Der Einwanderer steht vor der Wahl, als "Niemand" in Frankreich zu bleiben oder heimzukehren, um sich selbst wieder zu finden. Diese extreme Negativeinstellung gegenüber der Migration gründet sich auf ein Verständnis von Freiheit und Selbstverwirklichung, das in dem Satz "Paris ist genau wie Kairo" ausgedrückt wird: Entscheidend ist weder die Geografie noch die Ökonomie, vielmehr geht es um eine rein persönliche Frage.

Und doch fährt Nasrallahs Figur fort: "Aber die Menschen können hier [in Paris] frei ihre Meinung sagen, sie demonstrieren, ohne Angst, dabei verprügelt zu werden." Könnte es sein, dass persönliche und kollektive Freiheiten bei der Entscheidung auszuwandern doch eine wichtige Rolle spielen? Und wohl auch nicht nur im Kino.

Ala Al-Hamarneh

© Qantara.de 2005

Dr. Ala Al-Hamarneh ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centre for Research on the Arab World, Institut für Geografie an der Universität Mainz.

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