MBS und die Premier League: Mehr als ein Spiel
Als die englische Fußballliga Premier League am 7. Oktober bestätigte, was seit 18 Monaten verhandelt worden war, brachen ein Sturm der Entrüstung, aber auch eine Welle der Euphorie los: Der saudische Investitionsfonds (Public Investment Fund, PIF) hatte nach Prüfung durch die Premier League 80 Prozent des englischen Traditionsvereins und Erstligisten Newcastle United (NUFC) übernommen – ein Paukenschlag im englischen Fußballgeschäft.
Durch die Übernahme stieg Newcastle United quasi über Nacht zu einem der „Big Player“ im Weltfußball auf: Immerhin liegt der Investitionsfonds PIF mit einem geschätzten Vermögen von 400 Milliarden US-Dollar auf Platz 8 der finanzstärksten Staatsfonds der Welt, hat bereits in mehrere internationale Unternehmen wie EA Sports oder Uber investiert und finanziert unzählige Giga-Projekte innerhalb Saudi-Arabiens, um die wirtschaftliche Transformation des Königreichs voranzutreiben.
Insbesondere in Teilen der Fanszene Newcastles spielten sich nach Verkündung der Übernahme teils skurrile Szenen ab: 5.000 Unterstützer, manche mit dem traditionellen saudischen Gewand, dem Thawb, bekleidet, feierten den Verkauf an PIF frenetisch als Aufbruch in eine neue Ära – insbesondere nachdem die 14 Jahre unter dem bisherigen Besitzer Mike Ashley als bleierne Zeit der Niedergangs wahrgenommen worden waren. Ein Fanvertreter sprach gar von einer Zustimmungsrate von 95 Prozent für den Deal.
Auf der anderen Seite wurde die Übernahme massiv kritisiert: Immerhin wird PIF von niemand geringerem als dem umstrittenen saudischen Kronprinzen Muhammad bin Salman (MbS) geführt, der in den letzten Jahren aufgrund der militärischen Intervention im Jemen oder seiner vermeintlichen Verwicklung in die Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi massiv ins Abseits geraten war. Somit dient die Investitionspolitik des PIF auch zur Herrschaftskonsolidierung des mächtigen Kronprinzen.
Aus dem Schatten der Rivalen treten
Vor diesem Hintergrund ist die Übernahme für MbS ein persönlicher sowie ein strategischer Erfolg: Sie zeigt, dass Saudi-Arabien unter seiner Führung in der Lage ist, sportpolitisch im Konzert der Großen mitzuspielen. Schon lange versucht das Königreich, sich als international anerkannter Akteur im Fußballgeschäft zu profilieren – bisher allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Mit der Übernahme von Newcastle United möchte sich MbS auch aus dem Schatten der etablierten Rivalen im Fußballgeschäft treten.
Dazu zählen vor allem die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE): 2008 begann die Abu Dhabi United Group, geleitet vom stellvertretenden Premierminister der VAE, Prinz Mansour bin Zayed Al Nahyan, einem hochrangigen Mitglied der Herrscherfamilie, ihr finanzielles Engagement bei Manchester City. Seitdem haben die Besitzer den Club aus den Niederungen der Tabelle geholt und zu einem internationalen Topverein hochgejazzt.
Dieses Ziel verfolgt auch Saudi-Arabien mit Newcastle. Das Königreich versucht in vielen wirtschaftlichen Bereichen, die strategische Vorgehensweise der VAE zu kopieren und zu perfektionieren, was zu einer intensivierten Konkurrenz zwischen beiden Staaten geführt hat. Investitionen wie in Newcastle zeigen damit wie unter einem Brennglas, mit welcher Wucht MbS sein Königreich als unumstrittenen Wirtschaftsstandort Nummer Eins im Mittleren Osten etablieren möchte. Dafür werden Milliarden in den Umbau der Wirtschaft, den nationalen Tourismussektor und das Unterhaltungsgeschäft gepumpt – und Fußball ist Teil dieser All-In-Strategie.
Darüber hinaus soll der Kauf eines renommierten Traditionsvereins das eigene Renommee aufpolieren. "Sportswashing“ hat mittlerweile Konjunktur in den Golfstaaten, wie die Ausrichtung der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar im kommenden Jahr eindrucksvoll zeigt. Auch Saudi-Arabien erhofft sich durch die Übernahme einen Imageschub. Doch trotz der Sympathiebekundungen der NUFC-Anhänger für Saudi-Arabien bleibt diese Kalkulation ein riskantes Spiel: Menschenrechtsorganisationen, Anhänger von gegnerischen Fangruppierungen und weite Teile der englischen und internationalen Medien nutzen die Übernahme, um erneut auf die Menschenrechtsverletzungen im Königreich und den Khashoggi-Mord hinzuweisen.
Es wird zudem massiv kritisiert, dass der Kronprinz auch den Staatsfonds PIF leitet, obwohl die Premier League zugesichert hatte, dass der saudische Staat keinen Einfluss auf die Vereinspolitik nehmen würde – eine Farce, wie die meisten Beobachter kommentieren. Diese Kritik schadet der saudischen PR-Kampagne: Anstatt sich ins rechte Licht zur setzen, rücken die Verfehlungen des Königreichs wieder in den Fokus der Öffentlichkeit.
Der Kauf als Mittel saudischer Identitätspolitik
In Saudi-Arabien sieht man diese Anfeindungen jedoch gelassen. Es wird argumentiert, dass der Einstieg der emiratischen Investoren bei City oder des katarischen Investitionsfonds bei Paris St. Germain mit ähnlichen Anfeindungen begleitet worden war, doch mittlerweile habe sich der Staub gelegt. Dies erwartet man auch im Fall von Newcastle. Darüber hinaus bewerten viele in Saudi-Arabien die Übernahme als glanzvollen Erfolg ihres Kronprinzen. Der Kauf nutzt somit seinem Image als Modernisierer, dem es gelingt, das in seinen überkommenen Traditionen verhaftete Königreich in eine neue Ära zu führen, zu öffnen und zu modernisieren.
Das Investment in den Verein NUFC fungiert somit auch als wirkmächtiges Instrument der saudischen Identitätspolitik: Newcastle soll als Symbol für das "neue Saudi-Arabien“ betrachtet werden, das sich aus alten Konventionen befreit. MbS übernimmt hierbei die Rolle als "Landesvater“, der diesen Wandel ermöglicht, und dafür Sport als nationalistische Allzweckwaffe instrumentalisiert, um den Rückhalt bei der mehrheitlich jungen saudischen Bevölkerung zu manifestieren.
Weiterhin muss die Übernahme auch als knallharte Investitionspolitik bewertet werden, die die wirtschaftliche Diversifizierung des Landes vorantreibt. Ganz nach Vorbild der Rivalen aus den VAE soll der Kauf von Newcastle United den Weg bereiten für eine umfassende Investitionsoffensive in England. Dabei hilft zum einen die Partnerschaft mit Reuben Brothers, einem britischen Immobilienunternehmen, welches als Mitglied des Konsortiums 10 Prozent von NUFC übernommen hat.
PIF erhofft sich durch diese Kooperation, renditesteigernde Immobilien in Newcastle zu erwerben, um das eigene Investitionsportfolio breiter aufzustellen. Eine ähnliche Strategie verfolgten auch die VAE in Manchester. Newcastles geographisch günstige Lage im Norden Englands am Fluss Tyne bietet außerdem die Möglichkeit für PIF, sich möglicherweise in lokale Containerhäfen einzukaufen, um die maritime Präsenz in Europa zu stärken. Saudi-Arabien investiert bereits in andere Häfen, um sich besser auf den europäischen und internationalen Seewegen zu vernetzen.
Auch in diesem Sektor folgt das Königreich dem emiratischen Vorbild, das mit seinem Logistikunternehmen DP World bereits ein internationales Imperium im maritimen Logistikgeschäft aufgebaut hat. Außerdem möchte man Newcastle als breitenwirksame Werbeplattform nutzen: Saudi-Arabien plant den Aufbau einer neuen Fluglinie, die als Trikotsponsor für NUFC fungieren könnte. So verfuhren bereits die emiratischen Besitzer von Manchester City, die das Logo der staatseigenen Etihad Airways auf den Jerseys platzierten.
Widerstand bei den englischen Top-Clubs
Doch gegen solche Pläne regt sich Widerstand: Andere englische Top-Clubs wie der FC Liverpool, Manchester United oder der FC Chelsea, die alle von ausländischen Besitzern geführt werden, betrachten die saudische Übernahme von Newcastle als Kampfansage.
Genau aus diesem Grund riefen sie eine Notfallsitzung mit der Premier League ein, um sich gegen die mögliche Vormachtstellung des neureichen Clubs aus Nordengland zu wehren und solche Formen des indirekten Sponsorings in Zukunft zu verhindern. 18 der 20 Premier-League-Vereine stimmten dieser Forderung zu, während Newcastle sie wenig überraschend ablehnte.
Trotz dieser Widrigkeiten munkelt man in Saudi-Arabien, dass die Übernahme Newcastles nur der Beginn einer großangelegten Investitionsoffensive des PIF im Sport sein könnte. Es ist verbrieft, dass Saudi-Arabien in den vergangenen Jahren auch Interesse daran zeigte, den italienischen Top-Club Inter Mailand zu erwerben. Außerdem wird über einen Einstieg bei Olympique Marseille in Frankreich spekuliert, was aber bislang vom Klub dementiert wurde.
Dahinter könnte die Absicht stecken, ein weltweites Franchise-Unternehmen aufzubauen, das wirtschaftliche Ziele erreichen, aber auch als Talenteschmiede für saudische Nachwuchsspieler dienen soll, die bei Partnerclubs ausgebildet werden könnten. Immerhin möchte Saudi-Arabien in naher Zukunft nicht nur in ausländische Fußballclubs investieren, sondern auch die eigene Liga attraktiver gestalten und die Nachwuchsarbeit professionalisieren, damit die Nationalmannschaft erfolgreicher bei zukünftigen Weltmeisterschaften abschneidet. Und damit sich Saudi-Arabien irgendwann einen großen Traum erfüllen kann: Selbst eine WM auszurichten – wie Katar im kommenden Jahr.
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Sebastian Sons ist Wissenschaftler und Experte für die arabischen Golfstaaten beim Bonner Forschungsinstitut CARPO. Er promovierte zu pakistanischer Arbeitsmigration nach Saudi-Arabien und ist Autor des Sachbuchs "Auf Sand gebaut. Saudi-Arabien – Ein problematischer Verbündeter“.