Die Kraft menschlicher Begegnung
Herr Micksch, wie ist die Idee zu den Abrahamischen Teams entstanden?
Jürgen Miksch: Im Jahr 2001 wollte mich eine Lehrerin an einer katholischen Schule in Hanau als Referenten zum Thema Islam einladen. Das war nach den Anschlägen vom 11. September. Ich habe ihr stattdessen einen muslimischen Referenten vorgeschlagen. Ihre Reaktion war: Das kommt nicht in Frage. Unsere Schüler haben Angst vor dem Islam. So war damals die Stimmung. Dann schlug ich vor, in Begleitung einer jüdischen und einer muslimischen Person zu kommen. Ich habe von der Frau nie wieder etwas gehört, aber so ist die Idee entstanden, Abrahamische Teams aus Juden, Christen und Muslimen an die Schulen zu schicken. Der erste Einsatz fand im November 2001 an einer katholischen Schule in Mainz statt. Danach ist das Projekt an Schulen, in Museen, bei der Polizei und in Kirchengemeinden ins Laufen gekommen. Inzwischen haben wir über 500 solcher Veranstaltungen durchgeführt und was anfangs unmöglich erschien, ist inzwischen selbstverständlich geworden.
Wie bilden Sie die Teams?
Miksch: Wir haben einen Pool von über 200 Persönlichkeiten jüdischen, christlichen und muslimischen Glaubens aus ganz Deutschland, die mitmachen. Wenn die Anfrage zum Beispiel aus einer Schule kommt, dann stellen wir je nach gewünschtem Thema ein Team für die Veranstaltung zusammen. Die Team-Mitglieder haben in der Regel eine theologische Ausbildung. Sie sind Lehrer, Professorinnen, Imame, Rabbis, Pfarrer oder Expertinnen für eine der drei Religionen und kommen aus dem gesamten Bundesgebiet. Es ist manchmal schwierig, geeignete Personen zu finden, zum Beispiel in Ostdeutschland, wo insgesamt eher weniger Veranstaltungen stattfinden.
Bitte nennen Sie ein paar Beispiele für Veranstaltungen.
Miksch: Die Veranstaltungen sind sehr vielfältig. Wir haben Frauenteams, die über das Frauenverständnis in den Religionen sprechen. Schulen laden die Teams zum Beispiel ein, wenn es Konflikte mit Schülern unterschiedlicher Religion oder Fälle von sexueller Belästigung gibt. Die Polizei lädt Abrahamische Teams ein, um sich zu informieren, wie sie bei Menschen verschiedener Religion angemessen Mitteilungen über einen Todesfall überbringen können. Daneben gibt es auch Anfragen zu leichteren Themen wie gemeinsames Kochen. Es sind alle Themen vertreten. Von Abraham als biblischem Stammvater aller drei monotheistischen Religionen bis hin zu politischen Fragen nach dem Nahostkonflikt, aber Politik ist nicht der Hauptschwerpunkt unserer Arbeit.
Was kommen für Fragen?
Miksch: Schüler sollen ausdrücklich alles fragen dürfen, was sie bewegt, und das tun sie auch. Was immer wieder kommt, sind Fragen zur Gewaltthematik, zur Stellung von Frauen, warum muslimische Frauen Kopftuch tragen. In den Schulen begegnen Lehrer und Schüler oft zum ersten Mal einer jüdischen Person und dieses persönliche Erleben des Anderen ist zentral.
Die Arbeit wurde auch schon mehrfach evaluiert. Dabei ist herausgekommen, dass das wichtige bei den Teams gar nicht so sehr die Veranstaltungen, sondern die Freundschaften sind, die innerhalb der Teams entstehen. Diese Freundschaften sind sehr stabil und haben eine sehr starke Ausstrahlung. Und das wirkt sich auch auf die Schüler aus. Einmal kam die jüdische Vertreterin eines Teams zu spät zu einer Veranstaltung in eine Schulklasse. Der Imam war schon da. Er stand dann auf und umarmte die Frau. Bei den Schülern hat das großen Eindruck gemacht: Ein Muslim versteht sich so gut mit einer Jüdin, dass er sie umarmt. Solche Bilder bleiben haften.
Spielt die neue Debatte über Antisemitismus bei den Abrahamischen Teams eine Rolle?
Miksch: Auf jeden Fall. Aufgrund dieser Thematik haben wir die Kooperationen der Abrahamischen Teams ausgeweitet. Aber man muss auch sagen, dass es zum Antisemitismus unter Geflüchteten keine gesicherten Quellen gibt. Bei den syrischen Flüchtlingen hatte ich aufgrund der Politik in Syrien einen starken Antisemitismus erwartet. Doch in all meinen Befragungen konnte ich das nicht verifizieren. Aber wir haben diese Debatte und es gibt Behauptungen und viele Ängste. Deshalb haben wir jetzt angefangen, in Zusammenarbeit mit den Internationalen Wochen gegen Rassismus jüdische Persönlichkeiten zu den Freitagsgebeten in Moscheen einzuladen. Sie sollen dort zu den versammelten Gläubigen sprechen.
Und das funktioniert?
Miksch: Im letzten Jahr haben wir das zum ersten Mal im hessischen Raunheim ausprobiert. Das war für den jüdischen Partner eine große Herausforderung, aber es hat wunderbar geklappt. Alle großen islamischen Verbände haben dieses Vorhaben befürwortet. In diesem Jahr gibt es diese jüdisch-muslimischen Begegnungen an elf Orten in Deutschland.
Wie ist dieses Vorhaben zustande gekommen?
Miksch: Wir sind auf die Moscheegemeinden zugegangen und haben angeregt, Menschen aus der Nachbarschaft zu Freitagsgebeten während der UN-Wochen gegen Rassismus einzuladen. Dann hatten wir die Idee, dass Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben, zum Beispiel Bürgermeister in die Moscheegemeinden eingeladen werden. Das wurde sehr gut angenommen. Es gab im März 2018 im Rahmen der Wochen gegen Rassismus 1.700 Veranstaltungen in Moscheen und an zahlreichen Orten nahmen auch Oberbürgermeister teil. Wegen der Antisemitismus-Problematik sind wir auf die Idee gekommen, dass Muslime überhaupt mal Juden kennenlernen sollten. Denn Muslime in den Moscheegemeinden haben in der Regel noch nie einen Juden in ihrem Leben getroffen. Wir haben die muslimischen Verbände angesprochen und sind hier auf offene Ohren gestoßen. Alle waren sofort bereit mitzumachen. Bei der Vorbereitung hat sich keine der angesprochenen Moscheegemeinden quergestellt.
Worüber sprechen die jüdischen Persönlichkeiten in der Moschee?
Miksch: Das ist den einzelnen natürlich freigestellt, aber in der Regel äußern sie sich zum Thema Rassismus, zum Problem des Antisemitismus und sie sprechen über eigene Erfahrungen mit Anfeindungen. Sie werden auch darüber reden, was man gemeinsam tun kann, um diese Probleme zu überwinden. In ihren Freitagspredigten greifen die Imame dann das Thema auf. Wir haben in Deutschland sowohl Antisemitismus und als auch anti-muslimischen Rassismus. Wir sehen unsere Aufgabe darin, solche Vorurteile durch direkte menschliche Kontakte abzubauen.
Sehen Sie denn Fortschritte bei den interreligiösen Begegnungen?
Miksch: An der Basis hat sich vieles ausgesprochen positiv entwickelt, auch wenn das in der Öffentlichkeit nicht so bekannt ist. Als wir 2001 mit den Abrahamischen Teams anfingen, hieß es manchmal bei katholischen Pfarrern oder evangelischen Kirchenvorständen: In unsere Gemeinde kommt kein Muslim. Es war in der Anfangsphase oft schwierig, die Kirchengemeinden überhaupt für Veranstaltungen zu gewinnen. Das ist heute nicht mehr so. Wir haben heute Veranstaltungen in Synagogen, anfangs unvorstellbar, in Moscheen und Kirchengemeinden. In den Kirchen kommen die meisten Anfragen von evangelischen Gemeinden. Natürlich gibt es aber neben engagierten Gemeinden noch eine Vielzahl ohne jeden Kontakt zu Menschen anderer Religion. Da gibt es noch viel zu tun.
Erleben die Teams auch Anfeindungen bei ihrer Arbeit?
Miksch: Seit Jahren gibt es kaum mehr Probleme mit Anfeindungen bei unseren Veranstaltungen. Es handelt sich nur noch um Einzelfälle. So hat etwa vor einiger Zeit in Norddeutschland ein Bundeswehroffizier einen Juden aus einem Abrahamischen Team antisemitisch beleidigt. Wir haben das gleich bei einer weiteren Veranstaltung intensiv diskutiert. Solche Vorfälle sind extrem selten geworden. Anfangs haben wir manchmal keine Räumlichkeiten für Veranstaltungen bekommen, weil man uns nicht unterstützen wollte, aber das kommt nicht mehr vor. Die Abrahamischen Teams sind heute allgemein akzeptiert.
Das Interview führte Claudia Mende.
Qantara.de 2019