Warlords und Fundamentalisten sind die Wahlsieger

Noch wurden die Ergebnisse der Wahlen in Afghanistan nicht amtlich bekannt gegeben, doch klar ist, dass mächtige Kriegsherren und lokale Kommandanten mit Verbindungen zu Drogenbanden die Gewinner sind.

Von Ratbil Shamel

Die Verlierer und Gewinner der Parlaments- und Provinzwahlen stehen nun fest: Die einflussreichen Kriegsherren und Fundamentalisten sind die eindeutigen Sieger, und die so genannten Intellektuellen, die reformorientierten und modernen Kräfte haben auf der ganzen Linie enttäuscht.

Sie haben es nicht geschafft, ihre Wähler zu mobilisieren, hatten aber auch nicht die finanziellen Mittel zur Verfügung, die ein Warlord wie Abdur Rab Rasul Sayaf oder Rabbani für ihre Kampagne ausgeben konnten. Mehrere Millionen Dollar sollen sie für ihre Propaganda und Geschenke von Handys bis hin zu Milchkühen bezahlt haben.

Nur wenige unabhängige und reformorientierte Kandidaten, wie der ehemalige Planungsminister Ramazan Baschardost oder die Bürgerrechtlerin Malalai Joja, haben es geschafft, das Vertrauen der Wähler zu gewinnen.

Einflussreiche Geistliche und Technokraten

Der bekannte afghanische Politikwissenschaftler Dr. Akram Osman zeigt sich vom Ergebnis der Wahlen wenig überrascht und zeichnet die vorhandene Struktur der afghanischen Gesellschaft dafür verantwortlich: "Wir dürfen nicht vergessen, dass die Einflussreichen in der afghanischen Gesellschaft zum größten Teil aus Geistlichen und Technokraten bestehen."

Diese Kräfte seien in Afghanistan traditionell immer die bestimmenden Faktoren gewesen und sind es - wie es aussieht - noch heute. Den demokratischen Kräften sei es nicht gelungen, das Volk von ihren Ideen zu überzeugen.

Zudem haben die Afghanen zu den "Krawattenträgern" kein Vertrauen. Sie seien, so die Meinung vieler einfacher Afghanen, für den Putsch gegen den König 1973 und die Kollaboration mit der Roten Armee 1979 und damit für das Elend des Landes verantwortlich. Auch deshalb, meint der Politologe Osman, habe Karsai bislang keine Krawatte getragen – nicht einmal auf seinen Auslandsreisen.

Ein weiteres Problem, das die demokratischen Kräfte zusätzlich schwäche, sei ihre Unfähigkeit, volksnah zu sein und mit vereinten Kräften vorzugehen. Es fehle ihnen an für das Volk verständlich formulierten klaren Zielen. Zu pauschal und realitätsfremd würden diese Kräfte ihre Parolen verkünden.

Niederlage selbst verschuldet

Statt zu den Menschen zu gehen, würden sie von den Leuten erwarten, zu ihnen zu kommen. Daher, so Osman, sollten die demokratischen Kräfte, die sich in über 80 Parteien zersplittert haben, jetzt nicht anfangen zu jammern. Ihre Niederlage sei zum größten Teil selbst verschuldet.

"Fakt ist, dass die afghanischen demokratischen Kräfte es noch nicht geschafft haben, ein politisches Programm zu entwickeln, das sie auch praktisch umsetzen könnten", meint Osman. "Es ist aber unsere Pflicht, gemäß unseren Möglichkeiten und Fähigkeiten, ein Programm zusammenzustellen, das vom Volk akzeptiert wird."

Viele, die nun verloren haben, geben sich mit den Ergebnissen der Wahlen nicht zufrieden. Sie erklärten, die Stimmenauszählung nicht anzuerkennen und riefen zu Demonstrationen auf.

Auch bei den Präsidentschaftswahlen hatten fast alle Gegenkandidaten Hamid Karsais ihre Niederlage nicht akzeptiert und der Regierung Fälschungen der Ergebnisse vorgeworfen.

Wahlfälschung soll es auch diesmal gegeben haben, dennoch halten die internationalen Beobachter die Parlaments- und Provinzwahlen für frei und demokratisch.

Doch das Ergebnis der Wahlen scheint wenige in Afghanistan zufrieden zu stellen. Viele Afghanen und Menschrechtsorganisationen fragen sich, was mit den künftigen Abgeordneten geschehen solle, die als mutmaßliche Kriegsverbrecher gelten.

Karsai vermeidet Konfrontation

Präsident Karsai sieht sich nicht in der Pflicht, den beschuldigten Volksvertretern einen Prozess zu machen. "Wenn sie von den Bewohnern der Städte und Provinzen in freien und geheimen Wahlen gewählt worden sind, dann sind sie ihre rechtmäßigen Vertreter, ganz gleich wer sie sind", verkündete er.

Präsident Karsai will offenbar keine Konfrontation mit den mächtigen Kriegsherren und lokalen Kommandanten, denen auch Beteiligung am lukrativen Drogengeschäft des Landes vorgeworfen wird. Er spricht von nationaler Versöhnung und versucht mit dieser Politik die Zahl seiner bewaffneten Gegner so gering wie möglich zu halten.

Der Krieg gegen die Taliban- und Al-Kaida-Gruppierungen hat für die afghanische Regierung Vorrang. Kann aber ein Parlament, das von Warlords und fundamentalistischen Kräften beherrscht wird, dem Demokratisierungsprozess des Landes dienlich sein? "Natürlich nicht", glaubt der Politologe Osman.

Das neue Parlament mit 249 Sitzen bestehe nun aus Kräften, die in erster Linie großes Geld verdienen wollten. Sie werden für jedes Gesetz, dass sie verabschieden, eine hübsche Summe von der Regierung verlangen. Wer die Bazar-Mentalität am besten beherrscht, wird im kommenden afghanischen Parlament erfolgreich sein, so Osman.

Seiner Ansicht nach werde ein gefährliches Spiel mit der Demokratie in Afghanistan gespielt, das garantiert viele enttäuschen wird. Nutznießer dieser Entwicklung sind dann nur die Gegner des Friedens in Afghanistan.

Ratbil Shamel

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005