Das Dilemma der Drogenbekämpfung
In Afghanistan hat sich für viele Bauern der Opiumanbau in Kriegs- und Notzeiten als Überlebensstrategie bewährt. Dass sie kein Unrechtsbewusstsein haben, erschwert politische Strategien, die Produktion zu unterbinden. Von Conrad Schetter
Der jüngst von den Vereinten Nationen vorgelegte Bericht über die Entwicklung des Opiumanbaus in Afghanistan ist alarmierend (UNODC, 2004). Im vergangenen Jahr wurden demnach 4.200 Tonnen produziert, was 87 Prozent des Weltmarktvolumens entspricht.
Besonders beunruhigend ist, dass seit der militärischen Intervention der Coalition against Terrorism im Herbst 2001 der Mohnanbau in Afghanistan kontinuierlich zunahm. Aufgrund des enormen Ausmaßes sehen die afghanische Regierung und die internationale Gemeinschaft in der Bekämpfung der Drogenwirtschaft gegenwärtig die höchste Priorität.
Jedoch verdeutlichen die Erfahrungen aus Kolumbien oder dem Goldenen Dreieck, dass dies ein zähes Unterfangen ist. Eine Vernichtungsstrategie, wie sie für Afghanistan anvisiert wird, dürfte eher zur weiteren Destabilisierung des Landes als zu schnellem und nachhaltigem Erfolg führen.
Anbau für den Export
Obgleich in einigen ostafghanischen Gebirgstälern Opium traditionell für den Eigenkonsum verwendet wird, wird die Droge nahezu ausschließlich für den Export angebaut. Mit Ausbruch des Afghanistankriegs gewann dies 1979 erstmals an Bedeutung, die Ausfuhr diente unter anderem der Finanzierung der Mudschaheddin.
Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen 1988 und der Zersplitterung des Landes in unzählige Kriegsfürstentümer erlebte der Opiumanbau einen rasanten Anstieg. In den 1990er Jahren wurden im jährlichen Mittel 2000 Tonnen Rohopium geerntet. Die Provinzen Hilmand, Nangarhar und Badakhshan wurden die wichtigsten Anbaugebiete.
Neben dem völligen Kontrollverlust des Zentralstaats gab die drastische Verringerung der Agrarflächen durch Kriegsschäden und Verminung den Ausschlag dafür, dass Bauern Schlafmohn anbauten. Sie mussten auf kleineren Flächen genug Einkommen erwirtschaften, um ihre Familien zu ernähren.
Unter den Taliban, die Ende der 1990er Jahre 90 Prozent des Landes kontrollierten, stieg die Produktion zunächst weiter an. 1999 wurde der Rekordwert von 4.600 Tonnen produziert. Während bis dahin Rohopium in den Nachbarländern (vor allem Pakistan) weiterverarbeitet worden war, entstanden unter den Taliban auch in Afghanistan Laboratorien, die Heroin herstellten.
Die völlige Kehrtwende, welche die Taliban 2000 mit dem Verbot des Schlafmohnanbaus vollzogen, bleibt rätselhaft. Möglicherweise handelte es sich um eine Verknappungsstrategie angesichts voller Lager, vielleicht ging es aber auch um die Umsetzung religiöser Dogmatik. Jedenfalls gelang es den Taliban 2001, dank ihrer religiösen Netzwerke und drakonischer Strafen, den Opiumanbau zu unterbinden.
Mit der Vertreibung der Taliban und der Installierung einer Übergangsregierung, die kaum in der Lage war, das Land zu kontrollieren, zog die Drogenökonomie wieder an. Innerhalb von nur drei Jahren verbreitete sich der Anbau von Opium auf alle Provinzen. Trotz Antidrogenprogrammen wuchs in den vergangenen zwei Jahren die Anbaufläche von 74.000 auf 131.000 Hektar.
Ökonomische Daten
Obgleich nicht einmal drei Prozent der landwirtschaftlichen Fläche mit Schlafmohn bebaut werden, stellt Opium den wichtigsten Wirtschaftsfaktor dar. Mohnerlöse machten zuletzt laut UNODC 38 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (inklusive Schattenökonomie) aus. Auf jeden Dollar Entwicklungshilfe kommen zwei Dollar aus der Drogenökonomie.
Veränderungen von Angebot und Nachfrage führen indessen zu starken Preisschwankungen. Während die Bauern 2003 am Opiumanbau rund 1,2 Milliarden Dollar verdienten, waren es 2004 wegen eines rapiden Preisverfalls nur noch 600 Millionen.
Die Erzeugerpreise fielen um fast zwei Drittel, während die Gewinne der Händler, deren Gesamtvolumen UNODC auf 2,2 Milliarden Dollar schätzt, um fast 70 Prozent stiegen. Trotz des Preisverfalls dürften die Bauern mit Opium aber immer noch rund zwölf Mal mehr verdient haben, als Getreide ihnen eingebracht hätte.
Die Drogenökonomie ist arbeitsintensiv. Der Anbau beschäftigt laut UN-Statistik 2,3 Millionen Menschen aus 356.000 Familien, was etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht. Als Händler agieren etwa 15.000 weitere Personen, deren Radius in der Regel lokal begrenzt ist, weil sie nur mit wenigen Bauern Geschäftsbeziehungen unterhalten.
Bisher keine Drogenkartelle
Obgleich sich in der Provinz Nangarhar Großhändlerstrukturen etabliert haben, gibt es bisher keine Drogenkartelle. Selbst der Aktionsradius der Großhändler endet meist hinter der afghanischen Grenze. So kommt der Gewinn einer großen Zahl von Kleinhändlern zugute, und die Bauern haben einen gewissen Spielraum bei Preisverhandlungen.
Letzteren bietet die Opiumproduktion auch Chancen, an informelle Kredite für das Saatgut zu gelangen. Der wesentliche Nachteil dabei ist, dass sie sich in schwer auflösbare Abhängigkeit von den Händlern begeben.
Milizen und Kriegsfürsten verdienen ebenfalls am Drogenhandel. So zahlen die Opiumbauern den Warlords eine zehnprozentige Abgabe und auch die Händler geben Kriegsfürsten Geld, um ungehindert in die Dörfer zu gelangen.
Kontraproduktive Nothilfe
Die internationale Gemeinschaft erhob bereits im Frühjahr 2002 den Kampf gegen die Drogenökonomie zu einer wesentlichen Aufgabe. Zunächst bewirkten jedoch Nothilfeprogramme eine Intensivierung des Drogenanbaus. So bedingte die Einfuhr von Weizen für die Not leidende Bevölkerung den Verfall der einheimischen Getreidepreise, woraufhin viele Bauern auf Schlafmohnanbau umstiegen.
Das 2002 unter britischer Federführung gestartete Drogenbekämpfungsprogramm setzte auf Ausgleichszahlungen und stellte Landwirten eine Kompensation in Höhe von 350 Dollar für die Vernichtung eines Hektars Mohnanbaufläche in Aussicht.
Die Bauern forderten dagegen 3.000 Dollar, da sie sich in Erwartung hoher Gewinne bereits hoch verschuldet hatten. Das Ergebnis war eine erneute Zunahme des Mohnanbaus. Viele Bauern strichen die Kompensation ein, legten aber in entlegenen Gebieten neue Drogenfelder an – nicht zuletzt um Verpflichtungen gegenüber den Händlern nachzukommen.
"Dschihad gegen den Drogenanbau"
Das Thema Drogenbekämpfung bleibt auf der internationalen Agenda weit oben. Auf der Berliner Geberkonferenz im vergangenen April rief Präsident Hamid Karsai den Dschihad gegen den Drogenanbau aus und betonte seitdem immer wieder, die Drogenökonomie sei das größte Entwicklungshemmnis.
Vor allem die USA fordern in jüngster Zeit ein radikaleres Vorgehen und stellen für das laufende Jahr 780 Millionen Dollar für die Drogenbekämpfung in Aussicht – allein 300 Millionen für Vernichtungsmaßnahmen. Die US-Regierung propagiert gegen den Willen Karsais, mit einer groß angelegten Pestizidbesprühung Schlafmohnfelder zu zerstören.
Dagegen wird von afghanischer und europäischer Seite eher eine „Zuckerbrot und Peitsche“-Politik befürwortet: Bewirken Kompensationen, Aufklärung und der Einsatz alternativer Feldfrüchte kein Umdenken der Bauern, sollen drakonische Maßnahmen folgen.
Drogenanbau bringt Wohlstand
Zu bedenken ist aber, dass die afghanische Bevölkerung die Auswirkungen des Opiumanbaus bislang als überwiegend positiv erlebt. Schlafmohn ist an die natürlichen Gegebenheiten des Landes ideal angepasst, die Pflanze ist sehr anspruchslos, braucht wenig Wasser und wächst nahezu überall.
Safran, Rosenöl oder Wildreis, die als Alternativen vorgeschlagen werden, sind weitaus anspruchsvoller – aber nicht einmal annähernd so profitabel. Badakhshan und Uruzgan, zwei Provinzen, die stets als besonders arm galten, hat der Drogenanbau einen bescheidenen, aber sichtbaren Wohlstand gebracht, der an neuen Häusern, Geländewagen und Mobiltelefonen zu erkennen ist.
Zudem klafft die Schere zwischen Arm und Reich nicht weit auf, da selbst landlose Bauern, die von Grundbesitzern Äcker pachten, an der Opiumwirtschaft verdienen. Die arbeitsintensive Produktion schafft Einkommen, wo es praktisch keine regulären Beschäftigungsmöglichkeiten gibt.
Drogen, Weizen, Reifen
Bislang ist es in Afghanistan nicht so, dass Kriegsfürsten oder Drogenbarone Bauern zum Drogenanbau zwingen. Offenbar ergreifen viele Bauern selbst die Initiative. Zudem konzentriert sich die Drogenökonomie nicht auf marginalisierte oder kriminalisierte Akteure, sondern durchwebt die gesamte Gesellschaft.
Geschäftsleute handeln gleichzeitig mit Drogen, Weizen, Autoreifen und Elektrogütern, während für viele Kleinbauern die Kultivierung von Schlafmohn einen wesentlichen Pfeiler in ihrer Überlebensstrategie neben dem Anbau von Weizen und Gerste darstellt. Auch verdienen staatliche Akteure an der Drogenökonomie. Hinter vorgehaltener Hand werden auch immer wieder Minister verdächtigt, in Drogengeschäfte involviert zu sein.
Bisher greift die westliche Vorstellung nicht, dass der Anbau von Schlafmohn illegal und unmoralisch sei. Das Gros der Afghanen nimmt den Staat, der im Januar 2002 ein generelles Anbauverbot von Rauschgift erließ, als fremd, wenn nicht gar feindlich wahr. Er gilt nicht als Ordnungsmacht, die befugt wäre, über legal und illegal zu entscheiden.
Am ehesten könnten religiöse Würdenträger oder Dorfälteste mit Verweisen auf Islam und Stammestradition Unrechtsbewusstsein schaffen. Jedoch sind es gerade diese Eliten, die seit dem Fall der Taliban zum Anbau von Opium aufriefen – manchmal sogar im Rahmen eines Dschihad gegen den Westen.
Erhöhte Anzahl von Drogenabhängigen in Nachbarstaaten
Entgegen der herkömmlichen Meinung schafft die Drogenwirtschaft in Afghanistan selbst bislang kaum Probleme. Für viele Menschen erscheint er eher als viel versprechende Branche in einem Land, das sonst kaum ökonomische Perspektiven bietet. Sicherlich wirkt sich der Drogenanbau auf die Nachbarstaaten negativ aus, in denen die Zahl der Rauschmittelabhängigen wächst.
Laut UNODC gibt es in Pakistan 500.000 Heroinabhängige und in Iran 3,7 Millionen Opiatkonsumenten. Diese Länder bleiben aber in erster Linie Transitländer, das heißt, das große Geld wird in Europa und in den USA verdient.
Der Gewinnanteil afghanischer Bauern am Endverbraucherpreis in reichen Nationen beträgt zwar nicht einmal ein Prozent, aber es ist diese Nachfrage, die den Produktionsanreiz schafft. Um den Anbau nachhaltig zu bekämpfen, müsste daher in erster Linie der Konsum in den Industrieländern gedrosselt werden.
Drogenbekämpfung gefährdet Wiederaufbau
In Afghanistan den Opiumanbau verschärft zu bekämpfen, birgt dagegen unschätzbare Risiken. Der labile Frieden und die zaghaften Schritte in Richtung Wiederaufbau würden gefährdet. Schnell könnte Unmut in der breiten Bevölkerung wachsen, der dann gegen jeden Ausländer – ob Entwicklungshelfer oder ISAF-Soldat – kanalisiert würde, da diese als Agenten der Drogenbekämpfung wahrgenommen würden.
Zudem würde ein solcherart verstandener War on Drugs ein organisiertes kriminelles Milieu schaffen. Denn viele Kleinbauern würden sich zur Absicherung ihres Lebensunterhalts bewusst für die Mohnkultivierung und gegen die Befolgung des Rechts entscheiden.
Die gewaltsame Bekämpfung des Handels ließe zudem Drogenkartelle entstehen, die dann Bauern zum Anbau von Schlafmohn zwingen könnten. Ein ökonomisches Dilemma ist zudem: Wenn es gelänge, die Produktion zu verringern, würden infolge des geringeren Angebots die Schwarzmarktpreise steigen und der Opiumanbau noch lukrativer werden.
Mutige Schritte gefordert
Im Fall Afghanistans sollte die internationale Gemeinschaft daher über innovative Ansätze nachdenken. Die Legalisierung des Anbaus von Schlafmohn sowie die Verstaatlichung des Vertriebes und der staatliche Aufkauf von Opium wären sicherlich mutige und umstrittene Schritte, könnten aber der drohenden Verbindung von organisierter Kriminalität und Drogenanbau zuvorkommen.
Hält die internationale Gemeinschaft an der Drogenbekämpfung fest, müssen aber zuvor unbedingt die traditionellen Eliten gewonnen werden. Sie allein verfügen über die Autorität, der Mohnwirtschaft die Legitimität zu entziehen und sie zu untersagen.
In dieser Hinsicht hat Karsai immerhin schon einen erfolgreichen ersten Schritt unternommen, als er die Stammesführer der Provinz Nangarhar davon überzeugte, unter Zusage von Entwicklungshilfe ein Verbot des Drogenanbaus auszusprechen. Allerdings ist Afghanistan von hoher regionaler Diversität geprägt: Was an einer Stelle gelingt, kann anderenorts scheitern.
Conrad Schetter
© Entwicklung und Zusammenarbeit 2/2005
Dr. Conrad Schetter arbeitet am Bonner Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF)