Als der Mord nach Mesopotamien kam

Hortensienhecken, Dorfklatsch und High Tea bilden die Szenerie der Detektivgeschichten Agatha Christies, die weltweit millionenfach verkauft, die Vorstellungen über England prägen. Dabei sind viele dieser typisch englischen Stereotype und Szenerien im Nahen Osten entstanden. Von Christine Pfeilschifter

Von Christine Pfeilschifter

Als Agatha Christie 1928 in London den "Simpelton-Orient-Express" Richtung Bagdad bestieg, war sie in Großbritannien bereits eine gefeierte Schriftstellerin, deren Privatleben zunehmend in das Licht der Öffentlichkeit rückte. Nach einer Phase persönlicher Rückschläge wünschte sie sich nichts mehr, als neue Erfahrungen fernab der britischen Gesellschaft zu sammeln.

Ganz London schwärmte in jener Zeit von der irakischen Hauptstadt Bagdad. Erfahrene Reisende empfahlen Agatha Christie noch vor ihrer Abreise, wolle sie die fremde Kultur wirklich kennen lernen, solle sie sich von der britischen Gemeinde in Bagdad fern halten. Dies war selbstverständlich ganz in ihrem Sinne, doch wurde ihr Plan noch im Zug von überaus freundlichen Mitreisenden düpiert. Kaum angekommen, wurde sie in den kleinen Bagdader Vorort Alawiya entführt. Alawiya, damals Zentrum der britischen Gemeinde im Irak, hatte für viele von Agatha Christies Landsleuten den Vorteil, dass man ausschließlich mit Briten verkehrte - man traf sich zu Tennisnachmittagen, Bridgerunden, Kricketspielen und Picknicks. Eigentlich war es wie in Großbritannien, nur eben wärmer und das Personal war preiswerter.

Doch sie war in den Irak gereist, um genau dies zu vermeiden. Nun fühlte sie sich "im Land der Mem Sahibs" gefangen und suchte verzweifelt einen möglichst freundlichen Ausweg. Diese Chance bot sich ihr in der Person von Katherine Woolley.

Glückliche Zeiten

Die bisweilen exzentrische Ehefrau des Archäologen Leonard Woolley begleitete ihren Mann stets auf seinen Ausgrabungen nach Ur. Sie hatte die Romane Agatha Christies mit großem Enthusiasmus gelesen und war nun bemüht, die berühmte Schriftstellerin zu den Ausgrabungen zu locken. Agatha Christie war so begeistert von Ur und dem Leben auf dem Ausgrabungsgelände, dass sie im kommenden Jahr die Woollnys gleich noch einmal besuchte.

Bei dieser Gelegenheit lernte sie ihren zweiten Ehemann, den Archäologen Max Mallowan kennen, den sie noch im selben Jahr heiratete. Für eine Saison wechselte Max Mallowan zur "Reginal Campell Thompsons Ausgrabung" nach Ninive, bevor er sich bereit fühlte, eigene Ausgrabungen zu leiten.

Die britische Krimi-Autorin Agatha Christie (m.) fotografiert auf dem Gelände in der alten Assyrer-Stadt Nimrud im Irak eine kleine ausgegrabene Elfenbeinfigur; Foto: picture-alliance/dpa
Mit Max Mallowan in Mesopotamien unterwegs: Die britische Krimi-Autorin Agatha Christie (Mitte) fotografiert auf dem Gelände in der alten Assyrer-Stadt Nimrud im Irak eine kleine ausgegrabene Elfenbeinfigur. Als Ehefrau des Archäologen Max Mallowan hat Agatha Christie den Nahen Osten intensiv bereist und zeitweise dort gewohnt. So sind nicht nur viele Szenen des englischen Landlebens im Nordirak entstanden, sondern ebenso einige klassische Agatha Christie-Krimis mit orientalischem Flair.

Bei den Christie-Mallowans etablierte sich im Laufe der 1930er Jahre ein alljährlicher Rhythmus, bei dem man das halbe Jahr auf Ausgrabungen im Norden des Irak und vor allem in Nordsyrien verbrachte: Agatha Christie schreibend, Max Mallowan grabend, während man die zweite Hälfte des Jahres in London oder auf einem der Landsitze verbrachte. Dort wurden die Ergebnisse dann ausgewertet und publiziert.

Der Nahe Osten als Schauplatz britischer Kriminalgeschichten

Die Romane der 1930er Jahre gelten als Glanzzeit in Agatha Christies Schaffen. Es entstanden Klassiker der britischen Kriminalliteratur wie, "Und dann gab's keine mehr" oder auch "Mord im Pfarrhaus", bei dem Agatha Christie die beliebte Figur der Miss Marple einführte. Doch auch der Nahe Osten selbst wird zum Schauplatz einiger typisch britischer Detektivgeschichten.

Zwar spielt der berühmte "Mord im Orient Express" vorwiegend auf dem Balkan, doch spätestens mit "Mord in Mesopotamien" verlagert Christie das Geschehen vollständig in den Nahen Osten. Jedoch liefern der Irak, Palästina, Ägypten oder auch Marokko lediglich den Schauplatz für die Handlungen. Die agierenden Personen bleiben Europäer, die sich meist als Reisende in diesen Ländern aufhalten. Man erlebt die kulturellen Eigenheiten der Region immer durch den Filter der jeweiligen Person. Und nicht selten nutzt Agatha Christie die Reaktion einer ihrer Figuren auf das Fremde zur Charakterisierung dieser.

Im krassen Gegensatz zu den Detektivgeschichten ist "Erinnerung an glückliche Tage" ein autobiographischer Bericht, den Agatha Christie über ihre Zeit im Nahen Osten in den 1930er Jahren schrieb.

Der Zweite Weltkrieg hatte die Ausgrabungen Max Mallowans beendet und das Paar vorerst getrennt. Während Mallowan aufgrund seiner guten Arabisch-Kenntnisse in Kairo und Tripolis arbeitete, verrichtete Agatha Christie Kriegsdienst in einem Krankenhaus in London. Das Leben allein in dem kriegsgebeutelten London deprimierte sie derart, dass sie sich allabendlich mit der Schilderung der Erlebnisse in Archpahiya, Chagar Bazar und Tell Brak aufheiterte.

Der Orientexpress in Budapest 2010; Foto: Peter Kohalmi/AFP/Getty Images
In historischischer Kleidung des 19.-20. Jahrhunderts warten hier Fahrgäste2010 auf die Abfahrt des berühmten Orientexpress. Agatha Christie fuhr 1928 selbst mit ihm von London nach Baghdad und machte ihn später zum Ort des Geschehens in ihrem Klassiker „Mord im Orientexpress“.

Das Besondere an "Erinnerungen an glückliche Tage" ist, dass Agatha Christie anders als andere Reisende dieser Zeit keinerlei politische oder berufliche Intentionen hatte. Sie war schlicht die Gattin eines Archäologen, geboren mit einer bemerkenswerten Beobachtungsgabe und einem erzählerischen Talent, eine Frau, die viel Zeit im Nordirak und in Nordsyrien verbracht hatte. Die Beschreibung der Region, der Menschen und der kulturellen Unterschiede, seien es Araber, Kurden, Jesiden oder auch Armenier, die damals viel auf den Ausgrabungen arbeiteten, sind daher bemerkenswert differenziert und frei von orientalistischen Denkmustern jener Zeit.

Im Expeditionshaus "Bait Agatha"

Kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs begann Max Mallowan das größte Projekt seiner Laufbahn, die Ausgrabung der assyrischen Stadt Nimrud im Nordirak. Zehn Jahre lang, von 1949 bis 1959, wurde Nimrud damit zur "Heimat" Agatha Christies im Nahen Osten. Sie leistete sich zum ersten Mal einen eigenen kleinen Anbau an das Expeditionshaus - das sogenannte "Bait Agatha". Ausgestattet mit moderner irakischer Kunst diente es ihr als Arbeitszimmer. Hier begann sie damit, ihre Lebenserinnerungen zu verfassen, an denen sie über 20 Jahre lang schreiben sollte.

Die Ausgrabungen in Nimrud faszinierten jedoch nicht nur durch die ungewöhnlichen Funde Max Mallowans, vielmehr zog die Anwesenheit von Agatha Christie ganze Heerscharen von Besucher zu den Ausgrabungsstätten. Zudem galt Nimrud in archäologischen Kreisen als die komfortabelste Ausgrabung, nicht zuletzt, da Agatha Christie aus eigenen Mitteln einiges zur Bequemlichkeit beisteuerte.

Doch Agatha Christies Beteiligung an den Ausgrabungen ihres Mannes zeigt sich nicht nur an der Verbesserung der allgemeinen Lebensumstände auf der Expedition, sondern sie vertrieb sich bisweilen auch die Zeit mit der Säuberung und Katalogisierung der Funde ihres Mannes. Schon von Beginn ihrer schriftstellerischen Karriere an war Agatha Christie der Ansicht gewesen, man könne unmöglich den ganzen Tag schreiben, schließlich sei die wichtigste Aufgabe des Schriftstellers das Denken.

Noch zu Beginn ihrer schriftstellerischen Karriere war Christie noch jeden Nachmittag durch das herbstliche Dartmoor marschiert, nun machte sie sich mit Wattestäbchen, Tagescreme und Fotoapparat über die Funde ihres Mannes her. Man kann daher davon ausgehen, dass ein nicht unerheblicher Teil der Funde, die von Nimrud heute noch geblieben sind, einst von niemand geringeren als Großbritanniens berühmtester Schriftstellerin geputzt wurden.

Christine Pfeilschifter

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