So denken Millionen von Muslimen auf der Welt!
Für den TV-Sender Al-Dschasira und seine Website ist die Verleihung der Ritterwürde an den indischstämmigen britischen Schriftsteller Salman Rushdie, mit dem sein Gesamtwerk gewürdigt wird, keine literarische oder kulturelle Nachricht, sondern vor allem eine politische. Ein Kommentar von Fidel Sbeity
Al-Dschasira berichtete von Demonstrationen und Ausschreitungen, durch die gegen die Ehrung des Schriftstellers Rushdies protestiert wurde und zeigte dabei besonderes Interesse für die Aktionen einiger bärtiger Männer in Pakistan, die wahlweise britische Fahnen oder Porträts von Salman Rushdie verbrannten sowie für Kundgebungen extremistischer iranischer Studenten, von denen die meisten auf der Gehaltsliste des Teheraner Regimes oder konservativer Gruppierungen standen und die lauthals die Umsetzung der Fatwa ihres verstorbenen Revolutionsführers Khomeini aus dem Jahr 1989 – und somit die Hinrichtung Rushdies - forderten.
Diese Berichterstattung wiederholte sich täglich, wobei Al-Dschasira die Meldungen nachdrücklich aufbauschte und sie so präsentierte, als fänden die Proteste in der gesamten islamischen Welt statt, obgleich sie nur auf ein paar Regionen in Iran und Pakistan beschränkt waren.
Es ging dem Sender darum, die Verleihung der Ritterwürde als einen schändlichen Akt darzustellen, mit dem der Islam und die Muslime der Welt beleidigt würden, und der Queen vorzuwerfen, sie provoziere deren Gefühle. Und stets fand sich ein arabischer "Intellektueller", der diese Ansicht in einer Liveschaltung wiederholte. So münzt man Kulturnachrichten zu politischen um.
Schon bei der ursprünglichen Meldung betonte Al-Dschasira in den Nachrichtensendungen und gleichermaßen auf der eigenen Website die "negative" Seite in Rushdies Biografie, ohne sein literarisches Werk zu erwähnen, durch das er unter anderem auf das Leid asiatischer Flüchtlinge in Großbritannien aufmerksam gemacht hat.
Es schien beinahe so, als sei die offizielle Haltung des Senders zur Person Salman Rushdie deckungsgleich mit der Pakistans und Irans, somit also radikalislamisch, ohne dass selbst andere islamische Positionen einbezogen wurden.
Die Berichterstattung von Al-Dschasira richtete sich an Zuschauer, die die "Satanischen Verse" nie gelesen haben, da dieser Roman in deren Ländern ohnehin verboten ist. Umso leichter konnte der Sender Unwissen nutzen, um Zorn zu schüren.
Wörtlich lautete die Meldung bei Al-Dschasira [am 16. Juni 2007, d. Übers.]: "Das britische Königshaus gab heute bekannt, dass dem in Indien geborenen britischen Autor Salman Rushdie, dessen Roman "Satanische Verse" breite Proteste in der islamischen Welt hervorgerufen hat, der Titel eines "Ritters" verliehen worden ist. Dieselbe Würde wurde einem russischen Agenten, der für Großbritannien gearbeitet hat, einem ehemaligen britischen Kricketspieler sowie einem australischen Komiker zuteil."
Diese Meldung, von Al-Dschasira vielfach wiederholt, bringt gleich mehrfach zum Ausdruck, dass es dem Sender nicht um eine Kulturmeldung ging. Zum einen wird Rushdie nicht als indischstämmig, sondern als ein in Indien geborener Brite bezeichnet, womit unterstellt wird, dass er in Indien nur geboren wurde, selbst aber kein Inder oder Muslim sei.
Zum anderen stellt die Meldung die Ehrung durch das Königshaus als weniger wichtig dar als die in Erinnerung gerufene Biografie Rushdies, denn die Verleihung des Rittertitels wird erst erwähnt, nachdem man die durch seinen Roman in der islamischen Welt hervorgerufenen Proteste angesprochen hat. Anschließend verweist Al-Dschasira darauf, dass die Ehrung zusätzlich einem Agenten, einem Kricketspieler und einem Komiker verliehen worden sei.
Hier offenbart sich, wie abwertend der Sender die Ehrung darstellt: Al-Dschasira will uns glauben machen, die Auszeichnung sei ganz unbedeutend, denn die drei Letztgenannten gehören ja wohl nicht zu dem Kreis von Menschen, die normalerweise eine Ehrung verdienen.
Die Formulierung des Satzes sowie die Nennung der Tätigkeiten der Personen ohne deren Namen unterstellen dies. Ein russischer "Agent" [im Arabischen gleichbedeutend mit "Spion", d.Ü.], der für das britische Königreich gearbeitet hat, kann für die Verfasser der Meldung wie auch für das Publikum von Al-Dschasira nur ein Verräter sein. Der Kricketspieler wird als Sportler mit einem Preis ausgezeichnet, den Al-Dschasira unbedingt zu einem politischen machen und ihn damit entwerten will, worin ihr ihre geneigten Zuschauer überall in der islamischen Welt folgen.
Ein australischer Komiker ist im Zeitalter islamistischer Düsterkeit und der damit verbundenen medialen Politik von Al-Dschasira nur ein weiterer Beweis für die Minderwertigkeit der Auszeichnung. Preise und Auszeichnungen gehören nur Ernsten, Gestrengen und Eiferern verliehen, denn im Verständnis von Al-Dschasira und des radikalen Islam gilt der Glaubenssatz: "Lachen tötet das Herz".
Es scheint einem zudem, wenn man die Berichterstattung über die Ehrung Salman Rushdies und die wütenden Reaktionen darauf bei Al-Dschasira und auf ihrer Website verfolgt, dass das Publikum entweder genauso denkt wie sein Sender, dass der Sender seinem Publikum genau das präsentiert, was es gerne hört oder liest, oder aber dass Al-Dschasira den radikalislamischen Standpunkt in dieser Frage teilt.
Zuschauer und Leser taten per Telefon und E-Mail ihre Meinung zur Auszeichnung und zum Schriftsteller kund. Es ist anzunehmen, dass sie alle von den "Satanischen Versen" lediglich den Buchtitel kennen (wie ja auch Imam Khomeini das Buch nicht gekannt haben soll, als er seine Fatwa verkündete) und auch die islamischen Quellen nicht kennen, derer sich Rushdie für seinen Roman bedient hat.
Ebenso wenig dürften sie die Bücher des Syrers Sadiq Jalal Al-Azm ("Die Mentalität des Verbots") gelesen haben, in denen er Rushdies Roman und die gegen diesen gerichtete Fatwa analysiert und Teile des Romans in arabischer Übersetzung wiedergibt.
Die meisten dieser Zuschauer und Leser hängen einem rückwärtsgewandten Religionsverständnis an, das keine Religionsfreiheit anerkennt, wie es sie beispielsweise im islamischen Reich der Abbasiden noch gab, und sie bilden sich ihre Meinung lediglich anhand von Medien wie Al-Dschasira oder durch Hörensagen. Meist haben solche Meinungen ihren Ursprung in Religionsschulen in Pakistan und Iran.
Aufgebrachte Al-Dschasira-Zuschauer und Internetleser kritisierten die britische Königin und drohten dem anglo-indischen Schriftsteller Böses an. Manche analysierten die Angelegenheit so, dass die "Kreuzfahrer" danach trachteten, den Islam zu vernichten und deshalb jene auszeichneten, die sich eben daran beteiligten, und dass die Ehrung Teil einer christlich-zionistischen Verschwörung gegen die islamische Welt sei.
Manche gaben ihrer Hoffnung Ausdruck, dass auch Großbritannien "in scha Allah" bald ein islamisches Emirat werden wird. Al-Dschasira wählte zudem die Leserzuschriften an ihre Website in Sachen Ritterehrung für Rushdie offenbar so aus, dass nur die radikalsten Standpunkte veröffentlicht wurden, denn die Webmaster entscheiden, was publiziert wird.
So hieß es in einer Mail: "Diejenigen, die die Notstandsregierung unter Salam Fayyad [in der Westbank, d. Ü.] unterstützen, sind dieselben, die dem Ketzer Salman Rushdie diesen Ehrentitel verliehen haben. Wie wohlgesinnt sind sie wohl dem Islam und den Muslimen ?????!!"
Eine weitere, willkürlich aus tausenden von Zuschriften von der Al-Dschasira-Website ausgewählte Mail lautete:
"Die Fatwa des Imam bleibt bestehen und kann nicht rückgängig gemacht werden! Eine Fatwa wird nicht mit dem Tod ihres Verfassers hinfällig, und niemand kann sie für ungültig erklären. Der Imam hat richtig gezielt, und seine Gewehrkugel wird ihr Ziel früher oder später erreichen."
In der islamischen Welt wetteifern dieser Tage die Zuschauer und ihr Sender Al-Dschasira um die extremsten Standpunkte. Eine Nachricht auf Al-Dschasira ermöglicht es uns, die Gedanken von Millionen Muslimen zu lesen, so wie umgekehrt deren Gedankenwelt die Nachrichten auf Al-Dschasira erklärt. Erschreckende Aussichten!
Fidel Sbeity
Übersetzung aus dem Arabischen von Günther Orth
© Qantara.de 2007
Qantara.de
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