Die doppelte Giftmaschine
Irgendwann würde sich Erschöpfung einstellen. Die israelische Regierung würde erkennen, dass ein "totaler Sieg", wie von Premierminister Benjamin Netanjahu propagiert, nicht erreichbar ist. Die Hamas würde einsehen, dass sie ihre Machtposition im Gazastreifen räumen muss. Israelis und Palästinenser können endlich ernsthaft über jene Zweistaatenlösung verhandeln, die von der gesamten internationalen Gemeinschaft, zumal von Deutschland, empfohlen wird.
Dann würde der Nahostkrieg, trotz all seiner Schrecken, Gräueltaten und Opfer doch noch sein Gutes hervorbringen. Denn er würde die Unmöglichkeit einer militärischen Lösung aufgezeigt und der politischen Beilegung des Konflikts den Weg geebnet haben.
So oder so ähnlich spricht der geschäftsmäßige Optimismus aus den Regierungszentralen in aller Welt, wenn es um den Krieg im Nahen Osten geht. Wer so spricht und denkt, hat sich erfolgreich hypnotisiert. Weder Kriegsmüdigkeit noch körperlich-seelische Erschöpfung werden - den langen Monaten exzessiver Gewalt zum Trotz - die Politik der Kriegsparteien bestimmen.
Auf beiden Seiten dominiert vielmehr das Bewusstsein, dass der Kampf um das Land zwischen Mittelmeer und Jordan an Schärfe zunehmen wird. Unter Israelis wie Palästinensern sind ehrgeizige und tonangebende Kräfte geradezu beschwingt von der Überzeugung, dass man auf dem besten Wege sei, dem Feind den Todesstoß zu versetzen.
Das bedeutet im Kontext des Nahostkonflikts, den Feind aus dem Land zu drängen. In dieser Logik hat der 7. Oktober 2023 ungeahnte Möglichkeiten erschaffen und neue Siegeshorizonte eröffnet.
Wovon hier nun die Rede sein soll, ist nicht leicht zu vermitteln. Es soll eine Vorstellung davon gegeben werden, welche Rolle arabische und israelische Medien bei der Etablierung jener Radikallogik in der Öffentlichkeit spielen. Indem diese Kanäle Narrative des Hasses verbreiten, hämmern sie dem jeweiligen Zielpublikum die Unausweichlichkeit kommender Kämpfe ein.
Den politischen Führungsanspruch im jeweils eigenen Lager weisen diese Medien denjenigen Kräften zu, die aus ihrer Sicht geeignet sind, den Kampf gegen den Feind mit der größten Unerbittlichkeit zu führen.
Das Massaker als Heldentat
Der arabische Fernsehsender Al-Jazeera hat sich seit dem 7. Oktober der Hamas verschrieben. Der Angriff auf Israel wurde als Heldentat gepriesen, als militärisches Meisterstück, das "Lehrstoff in künftigen Kriegshandbüchern" sein werde, wie der pensionierte jordanische General Fayiz ad-Duweiri, Dauergast im Studio von Al-Jazeera, erklärte.
Videos von Attacken auf israelische Soldaten, die von Hamaskämpfern aufgezeichnet werden, sendet Al-Jazeera ebenso regelmäßig wie die Ansprachen der politischen Führer der nationalreligiösen Palästinensergruppe. Die Tatsache, dass die Hamas die Bewohner von Gaza nicht nach deren Einverständnis für diesen Krieg gefragt, sondern diese dem erwartbaren Vergeltungsschlag der Israelis ausgeliefert hat, wird im Programm von Al-Jazeera nicht thematisiert.
Die Frage, inwiefern es Palästinenser in Gaza gibt, die mit dem Handeln der Hamas nicht einverstanden sind, wird unter den Teppich gekehrt. Die kollektive Unterstützung der palästinensischen Bevölkerung für die nationalistisch-islamistische Organisation wird vom Sender schlicht vorausgesetzt.
"In Gaza leben mehr als zwei Millionen Terroristen"
Das israelische Gegenstück zu Al-Jazeera ist, wenn auch nicht in allen Einzelheiten so doch dem Wesenskern nach, der Fernsehsender Channel 14 (hebr.: ʿaruts arbaʿ ʿesre). Er ist das einflussreichste Propagandaorgan der jüdisch-nationalistischen Regierung unter Benjamin Netanjahu seit ihrer Amtseinführung am 29. Dezember 2022 (zuvor warb der Sender eifrig für die Bildung genau dieser Regierung).
Im laufenden Krieg machen sich Moderatoren und Panelisten des Senders beharrlich für die Vertreibung der Palästinenser aus dem Gazastreifen und die Wiedererrichtung israelischer Siedlungen in dem Gebiet stark. Am 25. Februar 2024 wollte der Studiogast Eliahu Yosian verdeutlichen, dass 100 getötete Terroristen pro Tag - diese Zahl hatte der Armeesprecher an diesem Tag gemeldet - zu wenig seien. "In Gaza leben mehr als zwei Millionen Terroristen", sagte Yosian.
Jeden Tag plädiert Channel 14 für die Fortsetzung des Feldzuges in Gaza und gegen Neuwahlen. Der Sender setzt sich unverblümt für den Machterhalt von Benjamin Netanjahu ein. Einer seiner Schlüsselakteure, der zum politischen Analysten mutierte Geschäftsmann Jaʿkov Bardugo, ist ein Vertrauter von Netanjahus Ehefrau.
Channel 14 ist ein Motor der nationalistischen Selbstverstärkung. Die Zuschauer im Studio (die es bei Al-Jazeera nicht gibt) applaudieren stets den radikalsten Äußerungen. Israelische Regierungskritiker fassen den Charakter des Netanjahu-Senders mit einem Wort zusammen: "Giftmaschine".
Die Narrative der Machtzentren
Aus ihrer jeweiligen Medienlandschaft stechen Al-Jazeera und Channel 14 hervor. Sie sind buchstäblich kein Medium wie die anderen. Im Krieg haben sie einen Sonderstatus erlangt. Sie sind eng mit dem jeweiligen politischen Machtzentrum der beiden Kriegsparteien verbunden, Al-Jazeera mit der Hamas und Channel 14 mit der Regierung Netanjahu. Beide Sender dienen ihrem jeweiligen politischen Bezugspunkt als populistische Legitimationsquelle. Ihr Tun entfaltet eine hohe politische Wirksamkeit.
Dass die beiden Sender in einen Sinnzusammenhang gehören, lässt sich sogar an einigen Elementen des äußeren Stils beobachten. So haben sich die Moderatorinnen hier wie dort ein recht einheitliches Erscheinungsbild zugelegt. Ein Witzbold könnte auf die Idee kommen, dass sie zum selben plastischen Chirurgen gegangen sind. Vielleicht gibt es in Dubai oder Abu Dhabi eine "abrahamitische Klinik des Friedens", von der niemand etwas weiß.
Wie dem auch sei, inhaltlich feiern beide Sender den Krieg als idealen Modus, in dem die Auseinandersetzung mit dem Feind zu führen sei. Hier nähern wir uns ihrer wichtigsten Gemeinsamkeit. In ihrem Diskurs vom Krieg schwanken sowohl Channel 14 als auch Al-Jazeera nervös zwischen dem Gestus des Opfers und dem des Helden.
Ein deutscher Kriegsdiskurs
Wie über die Gewalteskalation in Israel und im Gazastreifen gesprochen wird, folgt in vielerlei Hinsicht einer bekannten strukturellen Dynamik von Diskursen in Kriegszeiten.
Israels heroischer Rachefeldzug
Israel war das wehrlose Opfer am 7. Oktober. Danach führt es einen heroischen Rachefeldzug. Das Sprengen ziviler Infrastruktur, etwa der Universität in Gaza, und das Aufhalten von Lastwagen mit Hilfsgütern an den Grenzübergängen in den abgeriegelten Küstenstreifen werden auf Channel 14 als Akte des starken Mannes zelebriert. Im Ramadan dürften die Muslime nicht auf Rücksicht hoffen, erklärte Studiogast Yotam Zimri.
Schließlich hätten die Muslime ja die religiösen Gefühle der Juden verletzt, indem sie einen jüdischen Feiertag, Simhat Torah, zum Datum ihres Terrorangriffs gewählt hätten. Die Juden würden in ihrem eigenen Land, zumal auf dem Tempelberg in Jerusalem, an der Ausübung ihrer Religion gehindert, so die Analyse.
Mitte Februar tauchte ein Video der nach Gaza entführten israelischen Familie Bibas auf. Man sieht, wie die Mutter mit ihrem kleinen Kind im Arm von Bewaffneten in einem Vorgarten gegängelt und geschupst wird. Channel 14 zeigte die Szene wieder und wieder. Analyst Itamar Fleischmann kommentierte: "Alle Nachbarn, die das gesehen und nicht eingegriffen haben, haben den Tod verdient. Die Armee muss das gesamte Viertel dem Erdboden gleich machen."
Mordende Hamas-Angreifer als mutige Helden
Al-Jazeera stilisierte die mordenden Hamas-Angreifer vom 7. Oktober zu mutigen Helden. An Tag drei des Krieges wurde aus dem heroischen "Al-Aqsa-Sturm" der ungerechte "Krieg gegen Gaza", in dem gefragt werden muss, wo denn die Menschlichkeit geblieben sei. Bilder von Opfern der Bombardierungen wechseln schnell mit im Vibrato der Begeisterung vorgetragenen Meldungen von getöteten oder verletzten israelischen Soldaten. Diese Verluste entstehen natürlich nicht von selbst, sondern durch heroische Akte der Qassam-Brigaden.
Das plötzliche, unvermittelte Changieren zwischen Opfer- und Siegerrolle ist ein Merkmal der faschistischen Sprache. Man muss es so deutlich sagen. Im Nahostkrieg agieren die Fernsehsender Channel 14 und Al-Jazeera als Sprechorgane des Faschismus. Das Beunruhigende liegt darin, dass beide Sender in ihrer jeweiligen politischen Öffentlichkeit keine Randerscheinungen sind. Im Gegenteil, sie stehen im Zentrum des politischen Geschehens.
Das Thema hat viele relevante Aspekte und Details, für die der Platz hier nicht reicht. Angesichts der enormen Tragweite müssten ausführliche, systematische Studien in Angriff genommen werden. Tut das jemand in Deutschland oder Europa? Ob Joe Biden und Olaf Scholz eine Vorstellung davon haben, welch gewaltiges Hindernis diese beiden Propagandaorgane für eine "Zweistaatenlösung" bedeuten?
Das Gift, das sie in die Meinungsbildungsprozesse der hebräisch- und der arabischsprachigen Öffentlichkeit streuen, wird kaum leichter zu entsorgen sein als die Minen, Munition und Trümmer in Gaza.
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Der Autor ist als Fernsehjournalist für das ARD-Politikmagazin Panorama tätig.