Ägypten rechnet mit Al-Dschasira ab
Auf dem Schreibtisch des Anwalts Ahmed Ezzat liegt ein dicker Stapel Papier: die offizielle Anklageschrift gegen 20 Journalisten des Nachrichtensenders Al-Dschasira, denen seit Donnerstag (20.02.2014) in Kairo der Prozess gemacht wird. Viele schwere Vorwürfe sind darin aufgelistet, von "Verbreitung falscher Nachrichten" bis hin zu "Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation". Nach Hinweisen auf konkrete Beweise für diese Anschuldigungen suche man in dem Schreiben jedoch vergebens, sagt Ezzat.
Der Vorsitzende der Rechtsabteilung bei der ägyptischen Organisation für Gedanken- und Meinungsfreiheit hält das Verfahren für politisiert. Der Regierung wirft er vor, gegen die Pressefreiheit des Landes mobil zu machen: "Sie wollen alles kontrollieren und die Ordnung auf der Straße wiederherstellen. Und um das zu erreichen, versuchen sie, alle unbequemen Stimmen zum Schweigen zu bringen."
Zunehmende Repression
Der Prozess gegen die Al-Dschasira-Mitarbeiter ist nicht das einzige Gerichtsverfahren gegen Journalisten in Ägypten. Mindestens elf weitere Reporter und Kameraleute sitzen derzeit wegen ähnlicher Anschuldigungen in Haft. Das hohe Maß an Aufmerksamkeit im Verfahren gegen Al-Dschasira liegt auch daran, dass sich unter den Angeklagten vier Ausländer befinden: Ein Australier, eine Niederländerin und zwei Briten.
Drei von ihnen sind außer Landes, einzig der preisgekrönte australische Reporter Peter Greste sitzt in einem Hochsicherheitsgefängnis in Kairo. Ausländische Journalisten sind seit dem Sturz des Präsidenten Mohammed Mursi durch die Armee zunehmend ins Visier der ägyptischen Behörden geraten. "Die Sicherheitskräfte nehmen sie nicht nur fest, schlagen sie und zerstören ihre Kameras", so Ezzat. "Sie hetzen auch die Bevölkerung gegen sie auf." Im vergangenen Monat wurden mehrere ausländische Journalisten von Armeeanhängern brutal zusammengeschlagen, darunter auch zwei Mitarbeiter der deutschen ARD.
Ahmed Ezzat bezeichnet das derzeitige Vorgehen der Machthaber als "schizophren": Einerseits setzten diese alles daran, im Westen das Bild einer demokratischen Regierung abzugeben. Der repressive Kurs gegen die Presse im Inland sowie zunehmend auch gegen ausländische Journalisten zeichne jedoch ein anderes Bild.
Fehlende Bewilligungen
Unter ägyptischen Journalisten wird die Anklage gegen die Al-Dschasira-Mitarbeiter kontrovers diskutiert. Die staatlichen Zeitungen und Fernsehkanäle stehen ganz auf Seiten der Regierung und beschuldigen ausländische Journalisten einer Vielzahl von Verbrechen. Al-Dschasira führt dabei die Liste der meistgehassten Nachrichtenkanäle am Nil an.
Das Emirat Qatar, wo Al-Dschasira beheimatet ist, pflegt enge Beziehungen zur islamistischen Muslimbruderschaft, aus deren Reihen auch der gestürzte Präsident Mohammed Mursi kommt. Bereits im Sommer 2013 ließ die Regierung in Kairo lokale Mitarbeiter des Senders verhaften. Wenig später verlor Al-Dschasira seine Sendelizenz, Mitarbeiter mussten illegal operieren.
Ein Journalist der privaten Tageszeitung Al-Masry Al-Youm, der anonym bleiben möchte, vermutet, dies sei das einzige Vergehen, dass man den Angeklagten nachweisen könne: "Ich denke, das ist ein Fehler von beiden Seiten. Die Journalisten von Al-Dschasira hatten keine Arbeitsbewilligung. Das ist aber auch auf ein Versagen der Regierung zurückzuführen." Zahlreiche andere ausländische Reporter arbeiten derzeit ebenfalls ohne Genehmigung, da die Behörden Anträge oft nicht oder nur mit viel Verspätung bearbeiten.
Kritik an politisierter Justiz
Der Mitarbeiter von Al-Masry Al-Youm macht keinen Hehl daraus, dass er keinerlei Sympathie für Al-Dschasira empfindet. Doch das Vorgehen der Regierung hält er für gefährlich: "Die Pressefreiheit in Ägypten geht durch eine schwierige Phase. Es ist sehr heikel geworden, eine abweichende Meinung zu vertreten, ob als Einzelperson oder als Zeitung."
Anwalt Ahmed Ezzat sagt, der Al-Dschasira-Prozess ziele darauf ab, ausländischen wie auch ägyptischen Journalisten Angst einzujagen. Er erinnert daran, dass mehrere der Angeklagten wie Terroristen in Einzelhaft gehalten werden. Einem von ihnen, Mohammed Fahmi, wurde trotz gebrochener Schulter über Wochen hinweg medizinische Hilfe verweigert.
Ezzat warnt, dass die Regierung versuchen könne, ein Exempel zu statuieren. In den vergangenen Monaten seien bereits in anderen Prozessen Urteile ohne glaubhafte Beweise gefällt worden: "Das ist sehr gefährlich. In der Vergangenheit haben die Leute der Justiz vertraut, sie wurde als letzte Bastion gegen die Unterdrückung des Regimes gesehen." Doch dies sei nicht mehr der Fall.
Markus Symank
© Qantara.de 2014
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de