Eine Zäsur für den Nahen Osten?
Nach sieben Jahren politischer Entfremdung haben der Iran und Saudi-Arabien vereinbart, wieder diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Diese Vereinbarung enthält zwei Überraschungen: Das ist zum einen die Rolle Chinas als Vermittler und zum anderen der Zeitpunkt des Abkommens. Erstmals überhaupt hat sich Peking derart deutlich im Nahen Osten diplomatisch engagiert. Chinas Engagement kam zu einem Zeitpunkt, als die Vereinigten Staaten gerade versuchten, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Israel zu vermitteln, um den Druck auf den Iran zu erhöhen.
Das Abkommen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran kam für viele unerwartet, war aber tatsächlich seit mindestens zwei Jahren in Vorbereitung. Ursprünglich hat der ehemalige irakische Premierminister Mustafa al-Kadhimi zwischen den Parteien vermittelt. Einige Treffen fanden zudem im Oman statt. Beide Länder hatten die diplomatischen Beziehungen im Jahr 2016 abgebrochen, nachdem Randalierer während einer Demonstration gegen die Hinrichtung des schiitischen Geistlichen Nimr-al-Nimr in Saudi-Arabien die saudische Botschaft in Teheran in Brand gesetzt hatten. Seither hatte sich die Lage kontinuierlich verschlechtert. So beschuldigte Saudi-Arabien den Iran, für die Drohnenangriffe auf eine Ölanlage des saudischen Staatskonzerns Aramco in Abqaiq im September 2019 verantwortlich zu sein.
In der gemeinsamen Erklärung bekräftigten China, Iran und Saudi-Arabien ihren "Respekt für die Souveränität der Staaten und für den Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten“. Einige Beobachter gehen allerdings davon aus, dass es geheime Zusatzsklauseln über Sicherheitsfragen gibt. Dazu gehört wohl auch die Vereinbarung, die von den Saudis und den Huthi-Rebellen getroffenen Abmachungen über den Jemen in direkten Verhandlungen weiterzuverfolgen.
Die saudische Seite soll sich zudem dazu verpflichtet haben, keine Medien mehr zu finanzieren, die den Iran destabilisieren wollen. Beide Seiten sollen von Aktivitäten absehen, die die jeweils andere Seite unterwandern. Die Länder wollen ihre diplomatischen Vertretungen innerhalb von zwei Monaten wieder eröffnen und ein Abkommen über die sicherheitspolitische Zusammenarbeit sowie ein weiteres Abkommen über die Zusammenarbeit in verschiedenen anderen Bereichen wieder aufnehmen.
Handfeste Vorteile für die Saudis
Das Abkommen verspricht Saudi-Arabien handfeste Vorteile. Die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen eröffnet dem Königreich Verhandlungsmöglichkeiten in Bereichen, die für seine nationale Sicherheit von entscheidender Bedeutung sind, vor allem mit Blick auf den Jemen.
Indem Saudi-Arabien den Chinesen diesen diplomatischen Erfolg ermöglichte, hat das Königreich seine Beziehungen zu Peking als seinem größten Handelspartner weiter intensiviert. In den letzten zehn Jahren übertraf der Handel Saudi-Arabiens mit China das gesamte Handelsvolumen des Landes mit den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union. So konnte China seine Beziehungen zur Region im Allgemeinen weiter festigen, insbesondere nach dem erfolgreichen Besuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping im saudischen Königreich im Dezember 2022.
Das Abkommen ermöglicht es den Saudis, ihre Sicherheits- und Wirtschaftspartnerschaften weiter zu diversifizieren, zumal sich die Welt langsam auf die Abkehr von fossilen Brennstoffen vorbereitet. Berichten zufolge unterstützt China Saudi-Arabien beim Bau einer Raketenfabrik und beim Ausbau seiner militärischer Fähigkeiten. Ein Abbau von Spannungen zwischen beiden Ländern wird es dem Königreich erlauben, sich stärker auf die Innenpolitik zu konzentrieren und sein Programm Vision 2030 zu verfolgen. Damit soll das Land zu einem regionalen und internationalen Finanz-, Wirtschafts- und Tourismuszentrum werden – abgesehen von anderen grundlegenden internen sozioökonomischen Veränderungen.
Nach Berichten des Wall Street Journal und der New York Times haben sich die Vereinigten Staaten seit neuestem um ein Abkommen zwischen Saudi-Arabien und Israel zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen bemüht. Die Saudis erwarten unter anderem US-Sicherheitsgarantien, Hilfe aus Washington bei der Entwicklung eines zivilen Kernenergieprogramms und eine Lockerung der Beschränkungen von US-Waffenverkäufen.
Auf der letzten Münchner Sicherheitskonferenz brachte der saudische Außenminister Prinz Faisal bin Farhan das Scheitern des Atomabkommens mit dem Iran mit dem Wunsch Saudi-Arabiens in Verbindung, sein eigenes Nuklearprogramm auf die Beine zu stellen. Das Übereinkommen zwischen Riad und Teheran würde das Königreich auch vor den regionalen Auswirkungen eines israelischen Angriffs auf iranische Atomanlagen schützen.
Willkommene Ablenkung für Iran
Der Iran wiederum hätte sich auch keinen günstigeren Zeitpunkt für das Abkommen mit Saudi-Arabien wünschen können. Angesichts der desolaten wirtschaftlichen Lage des Landes und des zunehmenden internationalen Drucks – insbesondere nach dem Scheitern des Atomabkommens und den fortgesetzten Bemühungen zur Urananreicherung – dürfte Teheran ein Abflauen der Spannungen mit Saudi-Arabien begrüßen. Dies wiegt umso schwerer, als das Land seit Monaten mit Protesten im Inneren zu kämpfen hat.
This is one of at least 275 attacks that @FDD documented across the Islamic Republic in our visual map: https://t.co/lKARp1ZH6e pic.twitter.com/OihMZ0PbPG— Mark Dubowitz (@mdubowitz) April 4, 2023
Wenig überraschend hat sich die iranische Währung nach der Bekanntgabe der Vereinbarung zwischen den beiden Ländern um rund 21 Prozent erholt. Außerdem stehen die Pilgerfahrten nach Mekka wieder an, mit größerer iranischer Beteiligung. Auch Teheran dürfte den diplomatischen Erfolg Chinas mit Blick auf die eigenen Anstrengungen begrüßen, den Einfluss Washingtons in der Region zu verringern, zumal Peking dem Iran dabei hilft, die Wirtschaftssanktionen der USA zu umgehen.
In den Vereinigten Staaten und in Israel dürfte das Abkommen trotz gegenteiliger Beteuerungen Washingtons für Beunruhigung gesorgt haben. Der Vorstoß Chinas ist für die Regierung Biden eine Blamage. Gleichzeitig untergräbt es die israelischen Bemühungen, eine regionale Allianz gegen den Iran zu schmieden.
Kritisch ist dies vor allem angesichts des erklärten israelischen Ziels, ein Friedensabkommen mit Saudi-Arabien zu unterzeichnen, obgleich der saudische Außenminister deutlich gemacht hat, dass dies nicht ohne eine Lösung der Palästinafrage auf der Grundlage der arabischen Friedensinitiative von 2002 gelingen könne. Israel hatte sich eng mit den Vereinigten Staaten über eine mögliche Reaktion auf einen atomar bewaffneten Iran abgestimmt. Beide Länder führten kürzlich gemeinsame Militärübungen durch.
Schlappe für die USA und Israel
In einer Zeit, in der sich im Nahen Osten kaum etwas zu bewegen schien, hat China einen diplomatischen Coup gelandet. Dadurch behauptet sich China als globaler Akteur und signalisiert, dass es sich politisch engagieren werde, wenn es dies für strategisch sinnvoll hält. Gleichzeitig nimmt China so Druck von seinem Verbündeten Iran.
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Unklar ist, ob Peking Garantien für den Fall anbieten wird, dass eine der beiden Parteien gegen die Bedingungen des Abkommens verstößt. Dies gilt insbesondere für die Selbstverpflichtung des Iran, von einer weiteren Einmischung in die inneren Angelegenheiten arabischer Staaten abzusehen. Mit Stellvertretermilizen im Irak, in Syrien, im Jemen und im Libanon ist eine derartige Einmischung an der Tagesordnung. Eine gewisse Gewähr dürfte bisher lediglich die Tatsache bieten, dass keine der beiden Parteien China in dieser kritischen Phase vor den Kopf stoßen will.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob diese Annäherung zu weiteren deeskalierenden Vereinbarungen in der Region führen wird. Wird das Abkommen neben den Gesprächen zwischen Saudis und Huthis zu direkten Verhandlungen zwischen dem saudischen Königreich und anderen pro-iranischen nichtstaatlichen Akteuren führen, wie beispielsweise der Hisbollah im Libanon, wie in einigen Presseberichten zu lesen war?
Was bedeutet das Abkommen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran für die Atomverhandlungen? Was bedeutet es für den Libanon? Wird das Abkommen dazu beitragen, dort die Wahl eines dem Iran wohlgesinnten Präsidenten zu begünstigen, oder wird es zu einem Kompromiss zwischen Saudis und Iranern kommen? Und wie steht es mit Syrien? Wird Assad zum anstehenden Treffen der Arabischen Liga nach Riad eingeladen werden? Und falls ja, unter welchen Bedingungen? Der saudische Außenminister Prinz Faisal bin Farhan war in der Zwischenzeit in Damaskus, was ein wichtiger Schritt zur Beendigung der Isolation Syriens in der Region darstellt.
Das saudisch-iranische Abkommen markiert nicht nur den schwindenden Einfluss der USA im Nahen Osten, sondern auch eine tiefgreifende Veränderung der regionalen Geopolitik. Es ist auch Ausdruck einer allgemeinen Konfliktmüdigkeit in der Region und des Bestrebens der regionalen Akteure, die Zukunft des Nahen Ostens selbst in die Hand zu nehmen. Noch ist offen, wohin diese Entwicklungen führen werden. Doch erstmals seit vielen Jahren scheint sich ein Wandel anzukündigen.
Maha Yahya
© Malcolm H. Kerr Carnegie Middle East Center 2023
Maha Yahya ist Leiterin des Malcolm H. Kerr Carnegie Middle East Center mit Forschungsschwerpunkt Staatsbürgerschaft, Pluralismus und soziale Gerechtigkeit nach den arabischen Aufständen.
Aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt von Gaby Lammers