Gelassenheit statt Angst und Schrecken
Trauer, Mitgefühl, Entsetzen. Wo soll das hinführen? Das fragen wir uns nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt. Für Terroristen ist die Antwort klar: zu Angst und Schrecken. Zu falschen Reaktionen. Zu einer Spaltung unserer Gesellschaft, die die Rekrutierung neuer Terroristen unter den Ausgegrenzten erleichtert. Zu Veränderungen, die unserer Gesellschaft das Liebens- und Lebenswerte rauben: unsere Freiheiten, unseren Zusammenhalt und unser Gefühl, in Sicherheit für Leib und Leben zu sein.
Wir befänden uns im "KRIEG" gegen den Terrorismus, sagen jetzt manche. Das halte ich für eine falsche Etikettierung, auch wenn sie aus dem Schrecken über die Tat erfolgt. Weil aus dieser Etikettierung falsche Maßnahmen folgen können, geht es nicht nur um einen Streit um den richtigen Begriff.
"War against terror" war schon das Motto von Bush. Mit guten Gründen wurde seinerzeit kritisiert, in diesem Zusammenhang von Krieg zu sprechen: Wann ist er zu Ende? Befinden wir uns jetzt in einem immer währenden Kriegszustand, weil Terroranschläge nie ein für alle mal ausgeschlossen werden können? Sollen Terroristen als Kriegspartei anerkannt werden, obwohl sie Verbrecher sind? Doch wohl nicht. Wenn man von Krieg spricht, folgt daraus eine Fokussierung aufs Militärische statt auf umfassende Terrorismus-Bekämpfung.
KAMPF gegen den Terrorismus - das ist die richtige Bezeichnung. Darum geht es: mit polizeilichen, geheimdienstlichen und - wo erforderlich (gegen "Daesh") – auch mit militärischen Mitteln den Terrorismus zu bekämpfen. Und mit einer klugen Politik.
Die Verbreitung von Angst und Schrecken wird begünstigt, wenn es den Terroristen gelingt, generelles Misstrauen in unserer Gesellschaft zu erzeugen: Misstrauen gegenüber den Sicherheitsbehörden; Misstrauen gegenüber unserem Staat; Misstrauen gegenüber den Medien; Misstrauen gegenüber allen, die anders sind als wir; Misstrauen gegenüber Minderheiten.
[embed:render:embedded:node:26096]Besonders gut gedeiht Misstrauen in einem Mistbeet von Verdächtigungen und Gerüchten, so dass am Ende alles für möglich gehalten wird. Es kommt deshalb noch mehr als sonst darauf an, öffentliche Spekulationen zu unterlassen, die auch die Arbeit der Sicherheitsbehörden erschweren, wie diese immer wieder warnen.
Wie können wir uns schützen?
Bei dieser Frage geht es nicht nur um Sicherheit vor Anschlägen, sondern auch um Schutz vor Angst. Unsere Sicherheitsbehörden haben bisher bereits etliche Anschläge verhindert und sie arbeiten daran, den Schutz der Bevölkerung weiter zu verbessern: Durch internationale Zusammenarbeit, geheimdienstliche und kriminalpolizeiliche Aufklärung. Ihren Verhaltenshinweisen zur Vorbeugung und Wachsamkeit sollten wir folgen. Alle diese Sicherheitsmaßnahmen führen nicht zu hundertprozentiger, aber doch zu sehr weitgehender Sicherheit, nicht selbst Opfer eines Terroranschlags zu werden.
Trotzdem bleibt die Angst. Wie können wir uns vor dieser Angst schützen? Ich glaube nicht, dass es dafür ein Patentrezept gibt. Aber es könnte helfen, sich klar zu machen, was Terroristen erreichen wollen - und sich exakt gegenteilig zu verhalten. Wir sollten unseren Sicherheitsbehörden und unserem Staat vertrauen, dass das Mögliche für unsere Sicherheit getan wird und dass man ständig bemüht ist, Terroranschläge zu verhindern.
Wir sollten uns aus seriösen Medien informieren, nicht aus obskuren Blogs, und nicht jedem Gerücht auf den Leim gehen, nur weil es auf Facebook schneeballartig verbreitet wird. Auch unsere Presse verdient Vertrauen.
AfD & Co. - auf einer Welle der Angst an die Macht
Normalerweise freuen wir uns, wenn jemand unsere Gefühle erkennt. Denn dann fühlen wir uns verstanden. Aber wir sollten erkennen: Es gibt Gruppen oder Parteien wie die AfD, die sprechen Ängste an, nicht um ihnen zu begegnen und sie zu vermindern, sondern um sie zu schüren und zu steigern. Denn auf einer Welle der Angst wollen sie an die Macht, ohne dass ihre Rezepte uns helfen könnten.
Es ist die Stärke unserer offenen, freiheitlichen und pluralistischen Gesellschaft, dass wir als "mannigfaltig Verschiedene" (Amartya Sen) friedlich miteinander zusammenleben können. Grundlage dafür ist das gegenseitige Vertrauen, bis zum Beweis des Gegenteils vom anderen nichts Schlechtes anzunehmen. Deshalb dürfen wir nicht Minderheiten oder Gruppen, die mit Anschlägen weder kollektiv noch individuell etwas zu tun haben, in Mithaftung nehmen, wenn ein Terrorist auch dieser Minderheit oder Gruppe angehört. Flüchtlinge können genau so viel oder wenig für einen Terroranschlag, den irgendein Flüchtling begeht, wie Du oder ich.
Terroristen wollen, dass wir anders leben. Dass wir ängstlich nicht mehr auf Weihnachtsmärkte oder ins Fußballstadion gehen, dass wir Menschenansammlungen und Massenverkehrsmittel meiden, dass wir misstrauisch werden und niemandem mehr vertrauen. Wir sollten exakt das Gegenteil davon tun und so gelassen bleiben, wie möglich. Es ist der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, der am besten gegen die Schrecken des Terrorismus hilft.
Ruprecht Polenz
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