Anti-Globalisierung – kein einfaches Vorhaben
Ammar Abboud sitzt in der Lobby einer internationalen Hotelkette. Es ist Pause, und er trinkt kolumbianischen Kaffee. Dann geht er in den Konferenzsaal zurück. Vertreter aus fünfzig verschiedenen Ländern sind nach Beirut gereist, um dem Jahrestreffen von Social Watch, einer internationalen Organisation, beizuwohnen. Auch im Libanon ist Social Watch vertreten. Wenn die Konferenz zu Ende ist, wird Abboud eine E-Mail in die ganze Welt verschicken, um Freunde und Bekannte über die Ergebnisse zu informieren.
"Wir Globalisierungsgegner sind diejenigen, die am meisten globalisiert sind", meint der junge Aktivist. Dass er seinen Kaffee nicht mehr in Starbucks trinkt oder keine McDonald´s Burger mehr isst, das ist für ihn schon lange klar. "Doch Anti-Globalisierung ist kein Lebensstil", meint er, "es ist ein Bewusstsein."
Der Aktivist ist Anfang dreißig, hat in Beirut Politikwissenschaften und Internationale Beziehungen studiert. Während des Studiums war er Studentenführer, nach seiner Graduierung arbeitete er bei dem Netzwerk für Nichtregierungsorganisationen (ANND) im Libanon.
2001 organisierte er als Sekretär in Beirut das Weltforum gegen Globalisierung, welches zeitgleich mit dem Treffen der Welthandelsorganisation (WHO) stattfand. Jetzt arbeitet er freiberuflich als Berater für Nichtregierungsorganisationen. Außerdem ist er der Sekretär des Vereins für demokratische Wahlen im Libanon.
Boykott von amerikanischen Produkten
"Die Beiruter Konferenz hat uns geholfen, eine Basisbewegung zu schaffen und Jugendliche zu mobilisieren", erinnert sich Abboud. Die Intifada, die Besatzung des Regierungssitzes von Arafat durch die Israelis und der Irakkrieg – es waren die politischen Themen, für die sich die Anti-Globalisierungsgegner am meisten engagierten. Es gab Sit-ins, Demonstrationen und eine Boykottkampagne von amerikanischen Produkten.
"Im Nahen Osten ist die Globalisierung nicht nur wirtschaftlicher Natur", erklärt der Experte. "Sie hat einen stark militärischen Charakter. Im Westen ist das Globalisierungssymbol McDonald´s, im Nahen Osten ist es McDouglas, der Fabrikant der F-16 Flieger."
Die Anti-Globalisierungsbewegung im Libanon sei trotzdem nicht nur politisch. Viele Aktivisten arbeiten in Nichtregierungsorganisationen, die sich mit internationalem Handel oder zum Beispiel dem Wasserproblem beschäftigen.
Hoffnung auf die 'richtige' Sozialbewegung
"Viele von uns sind in mehreren NROs aktiv", meint Abboud. "Wenn wir uns treffen, wie beim Social Watch Forum, dann repräsentieren wir automatisch mehrere Organisationen."
Aus den ehrenamtlichen Studenten sind zum Teil hauptberufliche Mitarbeiter bei NROs geworden, und der Aktivist hofft, dass aus dem Heer der Freiwilligen einmal eine richtige Sozialbewegung wächst.
Abbouds internationale Beteiligung an der Antiglobalisierungsbewegung ist beinahe noch intensiver als seine Aktivitäten auf lokaler Ebene. 2002 ging er zum Weltsozialforum nach Sao Paolo:
"Es war das Mekka der Antiglobalisierungsbewegung, 50 000 Leute! Ich habe sehr viele Menschen kennen gelernt, bin mit mehreren hundert privat vernetzt und in E-Mailkontakt." Besonders freute ihn, dass 60 Aktivisten aus den arabischen Ländern anwesend waren – so viele wie noch bei keiner anderen Veranstaltung dieser Art.
Raus aus der Hauptstadt
Auf nationaler Ebene gestaltet sich die Antiglobalisierung schon schwieriger. "Diejenigen, die am meisten von der Globalisierung betroffen sein werden, wissen am wenigsten darüber", bedauert Abboud und meint damit insbesondere Bauern und arbeitslose, ungebildete Jugendliche aus den ärmeren Vororten Beiruts. Da sei noch sehr viel Aufklärungsarbeit zu leisten, und die sei nicht immer frei von Vorurteilen.
"Wenn wir zum Beispiel mit einer islamischen NRO aus dem südlichen Beirut zu tun haben, dann kritisieren sie uns, weil wir gepiercte Ohren haben, unsere Haare lang tragen und besser Englisch sprechen als Arabisch – also westlich sind." Das ist ein Problem.
Die Globalisierungsgegner wollen trotzdem raus aus Beirut und verstärkt in den Vororten oder in den ländlichen Gebieten aktiv werden. Aufklärungsarbeit über die Gefahren der Globalisierung reicht nicht, das weiß er. Die Betroffenen wollen konkrete Ergebnisse sehen.
"Wenn wir für die Bauern Kooperativen schaffen könnten, die sich nicht nur um die Produktion, sondern auch um den Vertrieb ihrer Produkte kümmern, dann wäre der erste Stein ins Rollen gebracht." Ähnliche Projekte zur Selbsthilfe für arbeitslose Jugendliche kann er sich auch vorstellen.
"Wir müssen versuchen, diese Leute zu organisieren. Denn wenn du Druck ausüben willst, dann musst du auch die Leute mobilisieren können, eine soziale Bewegung schaffen." Kein einfaches Vorhaben. Abboud und seine Mitstreiter haben noch viel vor sich.
Christina Förch
© Qantara.de 2003
Social Watch
Netzwerk der arabischen NGOs
Lebanese Association for Democratic Elections