Differenzierte Sicht statt selektive Momentaufnahme
Vermehrt wird arabischen Satellitensendern vorgeworfen, ihrer Öffentlichkeit ein einseitiges und antiwestliches Bild zu vermitteln. Bashar Humeid ist der Frage nachgegangen, inwiefern dieser Vorwurf nur zum Teil der Realität in der arabischen TV-Landschaft entspricht.
Betrachtet man die Sendungen des arabischen Satellitenkanals al-Jazeera, der derzeit die größte Reichweite im arabischsprachigen Raum besitzt, zeichnen sich vor allem zwei Tendenzen ab: Einerseits spielt der Sender eine wichtige Rolle in der öffentlichen pluralistischen Diskussion.
Andererseits konnte man im Verlauf des Streits um die dänischen Mohammedkarikaturen auf der Website von al-Jazeera unter einem Foto mit randalierenden muslimischen Jungendlichen, die westliche Botschaften angriffen, lesen: "So erheben sich Muslime, um ihren erhabenen Prophet zu verteidigen". Auch lassen Redakteure von al-Jazeera oft Zuschauer oder Talk-Show-Gäste zu Wort kommen, die gegen "Kreuzfahrer" und "Ungläubige" im Westen polemisieren.
Neben diesen populistischen Darstellungen lassen sich bei al-Jazeera aber auch andere Tendenzen beobachten: So versucht der Sender seiner Leitidee gerecht zu werden, "Meinung und Gegenmeinung" abzubilden und ein Forum der offenen Diskussion zu sein.
Für eine differenzierte Sicht des Westens
Während in Schlagzeilen oder Zuschauerkommentaren Feindbilder und Klischees auftauchen, finden in Talkshows, Interviews und Presseschauen kontroverse Diskussionen statt, deren hohes Niveau im klaren Widerspruch zu der reißerischen Ausrichtung anderer Formate des Senders stehen.
Dabei werden undifferenzierte Sichtweisen gegenüber "dem Westen" kritisiert und Klischees in Frage gestellt. So lässt der Sender Intellektuelle, wie den islamischen Schriftsteller, Motaz El Khatib, zu Wort kommen, die zu einem differenzierten Umgang mit "dem Westen" aufrufen.
Bei al-Jazeeras größtem Konkurrenten, dem Sender al-Arabiya, ist diese Tendenz zur differenzierten Berichterstattung noch augenfälliger. Dort werden regelmäßig amerikanische Journalisten oder auch Jugendliche aus Europa eingeladen, um über gesellschaftliche und politische Entwicklungen in westlichen Ländern zu diskutieren.
Die Sendungen tragen Namen wie "Trans-Atlantik" (abr al-muheet) und "Trans-Mediterran" (abr al-mutawasset). Hinzu kommen Interviews mit Journalisten aus aller Welt und täglich eine Presseschau, in denen die Kommentare der internationalen Medien vorgestellt werden.
Durch die regelmäßig ausgestrahlte Presseschau, die auch bei al-Jazeera nicht fehlt, wird dem Zuschauer ermöglicht, die politischen Prozesse innerhalb Europas und Amerikas besser einschätzen zu können. Statt einer selektiven Momentaufnahme der Stimmung im Westen wird vielmehr die dort herrschende Dynamik politischer und medialer Entwicklungen sowie Zusammenhänge aufgezeigt.
Skandaljournalismus und Bildungsprogramm
Die Kombination von Skandaljournalismus und Bildungskanal bei al-Jazeera erklärt sich aus der Geschichte des Senders. Seit seiner Gründung (1996) wollte er ein Aufklärungsmedium sein und ein Forum für eine pluralistische Diskussion bieten.
Dieses Ziel war geradezu revolutionär, weil es in vielen arabischen Ländern keine – oder nicht funktionierende Volksvertretungen gibt. Al-Jazeera war der erste überregionale Sender, der ein Forum für alle Stimmen in der arabischen Welt bot.
Dies war ein wichtiger Schritt zu mehr Pluralität in der arabischen Medienlandschaft und er bleibt bis heute eine wichtige Voraussetzung für eine angemessene Auseinandersetzung der arabischen Gesellschafen mit den westlichen Ländern.
Die Monopolstellung, die al-Jazeera als arabischsprachiger Satellitensender mit globaler Verbreitung einst hatte, ist heute inzwischen nicht mehr existent. Der Sender steht unter enormen Konkurrenzdruck und muss um die Gunst des arabischen Publikums kämpfen.
Während al-Arabiya diese Aufmerksamkeit durch Veröffentlichungen von innerarabischen und gesellschaftlichen Skandalen erlangt, setzt al-Jazeera vor allem auf nationale und religiöse Befindlichkeiten der arabischen Völker.
Um über das Bild des Westens in den arabischen Medien ein Urteil fällen zu können, muss man die Entwicklung der arabischen Medienlandschaft vor dem Hintergrund der jeweiligen Berichterstattung sehen. Es ist daher falsch, über die arabischen Medien basierend auf Momentaufnahmen von Sendungen oder einzelner Formate zu urteilen.
Außenpolitik entscheidend für das mediale Europabild
Im Vorfeld des Irakkriegs im Jahr 2003, wurde die kritische Haltung der meisten europäischen Regierungen gegenüber einem Militärschlag mit großem Interesse wahrgenommen. Europäische Kriegsgegner wurden zu beliebten Talk-Show-Gästen bei al-Jazeera. Ende 2005 wurde sogar eine neue Sendung mit den Titel "Freunde der Araber" (asdiqa al-arab) ins Leben gerufen.
Zu Beginn des Irakkrieges entstand deshalb in den arabischen Medien der Eindruck, Europa und die arabische Welt stünden zusammen in ihrer Ablehnung des Krieges. Dieses positive Bild wurde jedoch auch durch Mitteilungen einer "Verwicklung deutscher Behörden im Irakkrieg" getrübt.
Hinzu kamen innenpolitische Entwicklungen in europäischen Staaten, wie z.B. Integration und Einwanderung in Frankreich oder Deutschland, die insbesondere die dort lebenden muslimischen und arabischen Minderheiten betrafen. Die arabischen Medien rückten daher die Situation dieser Minderheiten zunehmend ins Bewusstsein der arabischen Zuschauer.
Allein die Berichterstattung über diese kontrovers diskutierten Themen verstärkt das Gefühl, vom Westen missverstanden und bedroht zu werden. Auch der Konflikt um das iranische Atomprogramm und ein möglicher Krieg gegen den Iran fördert diese Wahrnehmung noch weiter. Bei vielen arabischen Zuschauern drängt sich der Eindruck auf, dass in der westlichen Politik oft mit zweierlei Maß gemessen wird.
Bashar Humeid
© Qantara.de 2006
Qantara.de
Satelliten-TV in der islamischen Welt
Begrenzte demokratische Reichweiten
Das Satellitenfernsehen hat die Medienlandschaft im islamischen Raum bereichert und die staatlichen Informationsmonopole gebrochen. Doch welche Rolle spielen die Medien bei der Demokratisierung der Region? Ein Interview mit dem Kommunikationswissenschaftler Shir Mohammad Rawan
Digitale Medien in der islamischen Welt
Cyber-Islam und Demokratisierung
Der Golfkrieg hat gezeigt, dass die Ausbreitung digitaler Medien in der islamischen Welt weiter fortgeschritten ist, als noch vor wenigen Jahren. Doch fördert dieser Informationszuwachs gleichzeitig auch Demokratie und zivilgesellschaftlichen Wandel in der Region? Von Arian Fariborz