Assad zeigt sein wahres Gesicht

Syriens Präsident Baschar al-Assad war lange beim Volk beliebt. Jetzt bekämpft er es mit brutaler Gewalt. Kann er sich an der Macht halten? Ein Kommentar von Michel Thumann

Von Michael Thumann

Als der damalige syrische Präsident Hafis al-Assad 1982 in der Stadt Hama über zehntausend Menschen niederschießen ließ, war sein Sohn Baschar sechzehn Jahre alt und fern von aller Politik. Auf eine Rebellion gab es damals in Syrien nur eine Antwort: niederwalzen. Ohne Internet, ohne Satellitensender, bei geschlossenen Grenzen. Von Hama blieb nur eine Ahnung des Grauens.

Heute ist Baschar al-Assad selbst syrischer Präsident, im Jahr 2000 war er als Nachfolger seines Vaters an die Macht gekommen. Beim politischen Überlebenskampf des jüngeren Assad schaut in diesen Tagen die ganze Welt zu.

Handykameras filmen Panzer in Daraa, Todesschüsse in Dschableh, Soldaten mit durchgeladenen Gewehren in den Vororten von Damaskus. Allein am vergangenen Wochenende starben weit über hundert Menschen, Hunderte von Demokratie-Aktivisten sollen verhaftet worden sein, Hunderte werden vermisst.

Die Demonstrationen gegen die Diktatur gehen weiter. Der Staatschef steht vor der Entscheidung: nachgeben oder alles plattmachen? Die dritte Möglichkeit, einen mutigen, zügigen Reformprozess einzuleiten, scheint er sich verbaut zu haben. Wird Baschar al-Assad diese Krise überleben?

Zu späte und kleinliche Zugeständnisse

Panzer in Daraa, der Hochburg der Aufständischen gegen das Assad-Regime; Foto: dapd
Panzer in Daraa, Todesschüsse in Dschableh: Assad versucht mit Gewalt die Aufstände zu unterdrücken. Laut Angaben von Menschenrechtsaktivisten sollen bereits fast 600 Menschen getötet worden sein.

​​Er hat in den vergangenen Wochen viele Fehler gemacht. Zu viele. Er wollte irgendwie Veränderung zulassen und dennoch unterdrücken. Er kündigte ein Ende des Ausnahmezustands an und ließ die Polizei knüppeln. Er versprach Reformen ("zum richtigen und angemessenen Zeitpunkt") und schickte doch die Soldaten los. Er ließ sich im Puppenparlament von Damaskus als weiser Herrscher feiern. Das war arrogant. Mehr Demonstranten gingen auf die Straßen.

Nach wochenlangen Protesten rang sich Assad am vergangenen Freitag (22.4.) endlich zu politischen Zugeständnissen durch. Er hob den Ausnahmezustand auf und schaffte den berüchtigten Sondergerichtshof ab. Aber danach folgte ein rücksichtsloser Einsatz der Armee – Blut auf den Straßen von Daraa und Damaskus, eine beispiellose Repression der Proteste. Was soll man diesem Mann noch glauben? Wie ernst muss man ihn nehmen?

Baschar al-Assad hatte seit Januar eigentlich genügend Zeit, sich alle Fehler im Detail anzusehen, die die Präsidenten Ben Ali in Tunesien und Mubarak in Ägypten gemacht haben. Er konnte auch beobachten, wie die Herrscher von Saudi-Arabien konsequent jeden Protest schon im Keim erstickten.

Die Lehre aus Riad: Wenn man hart bleiben will, dann sollte man gleich den ersten Demonstranten von der Straße holen, ein generelles Protestverbot verhängen und der Bevölkerung einen warmen Geldregen bescheren. Die Lehre aus Ägypten und Tunesien: Wer nachgeben will, sollte rasch ernsthafte Zugeständnisse machen, sonst läuft er den Protestforderungen nur hinterher.

Assads Defensivtaktik ähnelt in puncto Zugeständnissen der Zögerlichkeit von Ben Ali und Mubarak: zu wenig, zu kleinlich, zu spät. Das scheint in den arabischen Herrschergenen zu liegen. Aber vielleicht auch an Baschar al-Assad selbst. Bisher gelang ihm nämlich fast alles. War er doch lange – anders als Mubarak – durchaus beliebt beim Volk wegen seiner harten Haltung gegen Israel und seiner Distanz zu Amerika. Warum sollte er ausgerechnet diesmal Pech haben?

Die Macht in den Schoß gelegt

Der 45-Jährige wurde von seinen nahöstlichen Herrscherkollegen lange Zeit beneidet. Baschar al-Assad war nie ein Mann, der um die Macht kämpfen musste. Sie wurde ihm in den Schoß gelegt. Als sein Vater in Hama die Armee auf die aufständischen Muslimbrüder hetzte, ging der junge Assad auf das arabisch-französische Gymnasium in Damaskus. Später studierte er ganz bürgerlich Medizin, erst in Syrien, dann in London; er wurde Augenarzt.

​​Für die Nachfolge an der Staatsspitze hatte Vater Hafis gar nicht ihn vorgesehen, sondern seinen Bruder Basil. Doch der starb 1994 bei einem Autounfall. Da begann der Aufstieg des Politikers Baschar al-Assad. Als sein Vater sechs Jahre später starb, war schon alles geregelt. Wo sonst in der Region oft Intrigen oder gezielte Pistolenschüsse nötig sind, drückte dieser Nachfolgekandidat einfach die Büroklinke und nahm lächelnd im Chefsessel Platz.

Er war jung und populär. Ihm schienen die Brutalität und die Bauernschläue abzugehen, mit denen sich sein Vater so lange an der Macht gehalten hatte. Auf Besucher, auch aus dem Westen, wirkte er pragmatisch und sympathisch. Und für Veränderungen aufgeschlossen. Baschar al-Assad kündigte im Jahr 2000 politische Reformen an, versprach den Kampf gegen die Korruption. Demokratiehungrige Syrer glaubten ihm und wagten sich nach Jahrzehnten unter der Stahlglocke mit einer eigenen Meinung hervor. Unabhängige Diskussionsforen entstanden.

Restauration und Modernisierung

Doch der Damaszener Frühling währte nur kurz. Schon 2001 wurden Oppositionelle wieder verhaftet, Menschenrechtler verurteilt. Die Baath-Partei blieb die einzige erlaubte politische Kraft im Land. Baschar al-Assad entpuppte sich nicht als Reformer, sondern, wie Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, es beschrieb, nur als Modernisierer – ein Mann technokratischer Neuerungen, bloßer Effizienzverbesserungen, die das Herrschaftssystem nicht infrage stellten und kein Mehr an Freiheit brachten.

Demonstration gegen das Baath-Regime in Banias; Foto: dapd
Baschar im Glück – das war einmal. Assad verliert in der syrischen Rebellion seine Aura als "guter" Diktator, schreibt Thumann.

​​Baschar al-Assad zog aus, die Bürokratie auf Computer umzustellen, die Wirtschaft mit Bankenwesen und solider Rechnungsführung bekannt zu machen, die Sicherheitsdienste technologisch auf den neuesten Stand zu bringen. Er modernisierte die Fundamente seiner Herrschaft und die Wirtschaft.

Ganz ähnlich wie Mubarak in Ägypten. Nur dass Assad das Glück hatte, dass viele Syrer damit lange Zeit zufrieden waren, während Mubarak und vor allem sein Sohn Gamal für die ökonomische Auffrischung inklusive räuberischer Privatisierung gehasst wurden.

Glück hatte Assad auch in der Außenpolitik. Eng sah es zwar für ihn aus, als 2005 im Libanon der Ex-Premier Rafik Hariri ermordet wurde und die ersten Spuren nach Damaskus wiesen. Assad wand sich unter der scharfen Kritik vieler Araber und den Sanktionen von Franzosen und Amerikanern. Musste seine Truppen aus dem Libanon abziehen. Stand mit dem Rücken zur Wand, nur noch Iran hielt zu ihm.

Wenige Jahre später aber wendete sich sein Schicksal. Seine Intimfeinde Jacques Chirac und George W. Bush waren in den Ruhestand gegangen. Die Ermittlungen gegen Syrien versandeten, wurden eingestellt. Assad konnte in Damaskus wieder ausländische Staatsgäste empfangen: Türken, Saudis, Deutsche, Franzosen.

Die Amerikaner schickten im Januar dieses Jahres erstmals wieder einen Botschafter nach Damaskus. Im Libanon nahm der syrische Einfluss wieder zu. Assad lächelte. Er hatte allem Druck von außen erfolgreich widerstanden, fühlte sich sicher wie nie. Doch dann kam der Arabische Frühling, die revolutionäre Welle, und sie erfasste auch Syrien.

Kampf mit dem Diktator ums Überleben

Nun bleiben dem Präsidenten Geheimdienste, Präsidialgarde, Polizisten, Armee, Gewehre, Panzer, Helikopter. Syrien ist anders als Ägypten und Tunesien: Hier stehen die Soldaten nicht zum Volk, sondern zum Herrscher. Sie stützen das Minderheitenregime des Alawiten Baschar al-Assad in einem mehrheitlich sunnitischen Land. Sie kämpfen gemeinsam mit dem Diktator ums Überleben.

Assad-Gegner formt Victory-Zeichen vor syrischer Botschaft in Amman; Foto: dapd
Rebellion der Entmündigten: Syrische Oppositionelle der Facebook-Gruppe "Syrische Revolution 2011" hatten am vergangenen Samstag zu einer "Woche zur Aufhebung der Belagerung" aufgerufen.

​​Während die Soldaten immer mehr Blut vergießen, senden Assads Propagandisten gezielt Botschaften der Angst aus. Eine Revolution in Syrien, streuen sie, wäre kein Freudenfest wie auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Revolution in Syrien wäre Bürgerkrieg wie im Irak, wäre das Werk von al-Qaida, wäre der Sieg fundamentalistischer Sunniten. Aber die Angst schreckt die Demonstranten von Daraa nicht mehr ab.

In dieser Stadt im Süden versuchte das Regime zum Wochenbeginn einen Rückgriff auf Hama 1982: Telefone wurden gekappt, Mobilnetze lahmgelegt, die Grenze zu Jordanien und die Einfahrten in die Stadt abgeriegelt, dann rollten die Panzer ein. Die Nachrichten über die Brutalität der Unterdrückung erreichten trotzdem die Weltöffentlichkeit.

Lautlose Repression ist im Zeitalter des Internets unmöglich geworden. Die Modernisierung, für die auch der computerbegeisterte Assad steht, begrenzt seine Optionen in der Krise. Er kann nicht Woche für Woche Syrer erschießen lassen und der bleiben, der er war.

Baschar im Glück – das war einmal. Assad verliert in der syrischen Rebellion seine Aura als "guter" Diktator. Noch ist das Hama-Szenario in Operationsgröße und Opferzahl fern.

Doch manche Helfer aus den Sicherheitsapparaten raten dem Präsidenten, richtig dreinzuschlagen, um zu überleben. Von allen gefürchtet, ja, der meistgehasste Syrer zu werden. Ob er diese Rolle wirklich ausfüllen kann, weiß Baschar al-Assad wahrscheinlich selbst noch nicht.

Michel Thumann

© Die ZEIT 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de