Welche Unterstützung für die Protestbewegung?
Der Aufstand gegen das Regime von Baschar Al-Assad in Syrien hält seit mehr als einem halben Jahr an. Dies, nicht die Tatsache, dass die Menschen die diktatorische Herrschaft abschütteln wollen, ist die eigentlich überraschende Nachricht.
Das Regime war sicher, dass es mit dem Protest leicht fertig werden könne. Es setzte und setzt darauf, dass ein großer Teil der Bevölkerung einfach Angst haben würde: nicht nur vor der Brutalität des Sicherheitsapparats, sondern auch davor, dass ein Sturz des Regimes zu Chaos, zu konfessionellen Auseinandersetzungen, zu Bürgerkrieg oder zur Machtübernahme radikaler Kräfte führen könnte.
Syrien erlebt eine Art Abnutzungsaufstand, der sich langsam ausgebreitet hat. Wer die jungen Leute trifft, die die Revolte organisieren und tragen, kann nur beeindruckt sein: von ihrer Fähigkeit, sich trotz der Internet- und Telefonüberwachung durch das Regime quer durchs Land zu koordinieren, dabei auch Konsens über die Orte und das Motto der jeweils nächste Freitagsdemonstration herzustellen; davon wie unideologisch und kooperationsfähig diese Generation ist; und natürlich von ihrem Durchhaltevermögen.
Die syrische Revolution war bislang nicht stark genug, um das Regime zu stürzen, aber der Aufstand ist heute lebendiger und er reicht tiefer in die Gesellschaft als zu Beginn. Die Revolution habe, wie mir einer der Aktivisten sagte, "das Regime, die traditionelle Opposition und auch sich selbst überrascht."
Verspielte Legitimität
Das Regime kann nicht mehr gewinnen. Selbst wenn es ihm gelingen würde, die Proteste mit äußerster Gewalt niederzuschlagen, würde es gleichwohl verlieren: Es hat innen und außen jede Legitimität verspielt hat und würde isoliert bleiben. Assad kann allerdings den eignen Abgang blutig verzögern. Schon in den ersten sechs Monaten sind mindestens 2.600 Menschen erschossen oder auf andere Weise umgebracht worden.
Und je rücksichtsloser das Regime loyale Einheiten des Militärs und irreguläre Milizen gegen die Hochburgen des Aufstands einsetzt, desto mehr wird man sich darauf einstellen müssen, dass auch der bislang überwiegend friedliche Aufstand militanter wird.
Nach Berichten aus Oppositionskreisen, die sich allerdings nicht überprüfen lassen, haben bis zu 3.000 Soldaten "aktiv" die Seite gewechselt, sind also nicht einfach nicht mehr zum Dienst gegangen, sondern bereit, sich mit ihren Waffen auf die Seite des Aufstands zu stellen. In Homs etwa haben desertierte Militärs begonnen, die Demonstranten zu schützen; in Rastan kam es Anfang Oktober zu einer längeren militärischen Auseinandersetzung zwischen regime-loyalen Truppen und Deserteuren.
Der hohe Blutzoll hat mittlerweile auch bei der Protestbewegung den Ruf nach internationalem Schutz aufkommen lassen. Anfang September wurde der Protest erstmals unter das Motto "Freitag des internationalen Schutzes" gestellt. Dieser Ruf wird lauter werden.
Sanktionen bleiben richtig
Das lässt die internationale Gemeinschaft einigermaßen ratlos. Im Sicherheitsrat kommt nicht einmal eine Resolution zustande, die das Blutvergießen verurteilt. Da ist selbst die Arabische Liga weiter. Welche Möglichkeiten, jenseits von Appellen, verbleiben für Europa?
Sanktionen bleiben richtig. Allerdings sollte man sich von ihnen keinen unmittelbaren, vor allem keinen direkten Erfolg versprechen. Assad und seine Entourage werden nicht einfach ihre Politik ändern, weil die Europäer ihnen kein Öl mehr abkaufen oder Regime-Repräsentanten nicht mehr einreisen lassen.
Wichtiger ist hier das Signal an andere: an die noch sehr vielen Unentschiedenen in Regierung, Bürokratie und Militär, die sich nicht sicher sind, dass die USA und Europa nicht doch am Ende bereit sind, wieder mit Assad zu kooperieren. Sie müssen verstehen, dass das Regime international keine Akzeptanz mehr finden wird.
Sanktionen unterstreichen dies. Europäische Diplomatie kann auch darauf hinwirken, dass Staaten wie China, Indien oder Südafrika oder sich stillschweigend zumindest an einem Teil dieser Maßnahmen beteiligen – Syrien etwa keine Waffen verkaufen –, auch wenn sie sie offiziell nicht unterstützen wollen.
Es ist richtig, Repräsentanten des Regimes und Unterstützer auch aus der Wirtschaft zu "listen", also Einreiseverbote zu erhängen oder Konten einzufrieren. Gleichzeitig muss aber sehr deutlich gemacht werden, dass Personen, die sich vom Regime absetzen, auch schnell wieder von der Liste entfernt werden können. Solche Listen sind eine internationale Sanktion, kein Ersatz für eine Aufarbeitung der Vergangenheit, die nach einem Regimewechsel in Syrien stattfinden wird. Die EU kann und wird nicht an die Stelle syrischer Gerichte oder einer "Wahrheitskommission" treten.
Europäische und andere Staaten können auch deutlich machen, dass sie Vorbereitungen für den "Tag danach", für die Zeit unmittelbar nach einem Fall des Regimes unterstützen. Das heißt, mit diversen Oppositionsgruppen zusammen zu arbeiten, die sich im Ausland formieren – und mit Vertretern der Protestbewegung im Innern, ohne diese zu gefährden.
Dabei sollte man nicht auf die "Einheit" der Opposition warten. Es ist nur natürlich, dass in einer Phase des Übergangs verschiedene Gruppen und Koalitionen versuchen, sich in Stellung zu bringen. Das neue Syrien wird ohnehin pluralistischer sein, es schadet deshalb nicht, mit unterschiedlichen Gruppen zusammenzuarbeiten, so diese – und das lässt sich durchaus feststellen – glaubwürdig sind und einen relevanten Teil des politischen und gesellschaftlichen Spektrums repräsentieren.
Was tun, wenn das Morden weitergeht?
Die schwierigste Frage ist, was zu tun ist, wenn das Morden weitergeht. Die Botschaft, dass die internationale Gemeinschaft es dem Regime nicht durchgehen lässt, weiter Krieg gegen sein Volk zu führen, ist bislang noch nicht glaubwürdig gesandt worden.
Sicher, kein NATO-Staat will einen weiteren Krieg. Aber man sollte sehr vorsichtig sein, nicht durch ständige Erklärungen dazu, was die NATO nicht zu tun gedenkt, Assad das Gefühl zu geben, das er tun kann, was er will.
Die Mitglieder der syrischen Führungselite haben über lange Jahre gelernt, die Zeichensprache ihrer regionalen und internationalen Partner und Gegner zu lesen – nicht immer ganz korrekt, aber letztlich auch dort recht wirksam, wo nicht direkt und offen kommuniziert wurde. Die NATO - oder einzelne ihrer Mitgliedsstaaten - könnten deshalb zumindest durchblicken lassen, dass man sich mit Blick auf eine Region solch hoher strategischer Bedeutung natürlich auf alle Eventualitäten vorbereitet.
Der türkische Ministerpräsident Erdogan hat bereits einmal erklärt, dass die Türkei ein zweites "Hama", also ein Massaker wie das von 1982, bei dem, unterschiedlichen Angaben zufolge, zwischen 5.000 und 20.000 Menschen ums Leben kamen, nicht zulassen werde.
Zweifellos wird das NATO-Mitglied Türkei keine Invasion nach Syrien beginnen. Aber es wäre kein Fehler, wenn der türkische Generalstab oder die entsprechenden NATO-Stäbe deutlich machten, dass es Planspiele auch für militärische Aktionen – gezielte Luftschläge auf Militärflughäfen beispielsweise – weit unter diesem Niveau gibt.
Die Botschaft, die Assad und seine Leute verstehen sollten, muss heißen: So wenig die NATO und ihre Mitgliedstaaten entscheiden wollen, wer in Syrien regiert oder welchen außenpolitischen Kurs das Land einschlägt, so wenig können wir dulden, dass eine Regierung in unserem gemeinsamen europäisch-mediterranen Raum ihre Bevölkerung massakriert. Und deshalb ist bei aller Zurückhaltung keine Option ausgeschlossen.
Volker Perthes
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