Assoziierungsabkommen mit Algerien ratifiziert

Mitte März 2005 wurde das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Algerien ratifiziert. Es schreibt eine weitgehende "Liberalisierung" der algerischen Ökonomie und eine Marktöffnung vor. Hintergründe von Bernhard Schmid

Mitte März 2005 wurde das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Algerien in Algier ratifiziert. Es schreibt eine weitgehende "Liberalisierung" der algerischen Ökonomie und eine Marktöffnung vor. Außerdem sieht es eine Liberalisierung des Energiesektors vor. Hintergründe von Bernhard Schmid

In Algier wurde das Assoziierungsabkommen zwischen Algerien und der EU ratifiziert, Foto: AP
In Algier wurde das Assoziierungsabkommen zwischen Algerien und der EU ratifiziert

​​Der Assoziierungsvertrag mit der EU wurde im April 2002 im spanischen Valencia unterzeichnet. Inzwischen ist er durch Algerien und 14 von 15 damaligen EU-Mitgliedern auf parlamentarischem Wege ratifiziert worden. Damit er tatsächlich in Kraft tritt, müssen nur noch die Niederlande ratifizieren.

Das Abkommen sieht die vollständige Liberalisierung des algerischen Marktes bei Ein- und Ausfuhren sowie eine beschränkte Öffnung der EU für algerische Exporte vor. Der Abbau von Handels- und Konkurrenzhemmnissen sowie Zollschranken soll in zwei Jahren beginnen.

Dialog oder Suche nach Absatzmärkten?

Natürlich ist bei so etwas immer viel die Rede von Völkerverständigung, Dialog der Kulturen und gegenseitigem Nutzen. Und natürlich darf auch die Beschwörung der Menschenrechte nicht zu kurz kommen. Aber die Fakten sprechen eine andere Sprache: es geht um "Absatzmärkte" und "Marktbeherrschung".

Das Abkommen gehorcht der Logik bilateraler Verträge zwischen der EU als Block und jeweils einem nordafrikanischen oder nahöstlichen Staat, von denen seit 1995 bereits mehrere im Rahmen des so genannten "Barcelona-Prozesses" geschlossen wurden.

Beispiele Marokko und Tunesien

Schon 1996 wurden die ersten Einzelverträge mit Marokko und Tunesien abgeschlossen. Ziel war die Errichtung einer Freihandelszone zwischen der EU und diesen Ländern bis zum Jahr 2010. Dazu sollen Handels- und Konkurrenzhindernisse beseitigt und die Märkte geöffnet werden.

Damit ist jedoch keinerlei "Süd-Süd-Integration" im Sinne einer gegenseitigen Durchdringung der Ökonomien im Maghreb verbunden, sondern eine einseitige Orientierung auf die Märkte im Norden. Viele Beobachter befürchten deshalb auf die Dauer eine verstärkte Abhängigkeit dieser Länder.

Tunesien wickelt derzeit 70 Prozent seines Außenhandels mit der EU ab und, nach offiziellen Zahlen, nur 2 Prozent mit seinem größten unmittelbaren Nachbarn Algerien.

Auf vielen Sektoren wird sich die vorhandene Industrie dieser Länder als nicht konkurrenzfähig erweisen und von der Bildfläche verschwinden, während eine Konzentration der verbleibenden Wirtschaftskraft dieser Staaten auf einige "Nischen" stattfinden wird. Also auf Produkte oder Dienstleistungen, für die - vorübergehend? - ein Bedarf auf den europäischen Märkten besteht.

Derzeit sagt selbst die Weltbank Tunesien den Verlust von mindestens 100.000 Arbeitsplätzen in den kommenden Jahren voraus. Doch die Öffnung des tunesischen Binnenmarkts hat derzeit erst begonnen und soll bis 2010 verwirklicht werden.

"Autobahn ohne Ausfahrt"

Ähnlich sieht auch der bilaterale Vertrag zwischen der EU und Algerien die vollständige Liberalisierung des algerischen Marktes bei Ein- und Ausfuhren, sowie eine beschränkte Öffnung der EU für algerische Exporte vor. Der Abbau von Handels- und Konkurrenzhemmnissen sowie Zollschranken soll in zwei Jahren beginnen. Bis 2017 soll der Zugang zum algerischen Markt vollkommen frei sein.

Die Tageszeitung La Tribune zitiert den EU-Botschafter in Algier, Lucio Guerrato, mit den Worten: "Die algerischen Wirtschaftsakteure werden damit (neben den europäischen) auf eine Autobahn gesetzt, von der es keine Ausfahrt gibt."

Privatisierung des Öl- und Gassektors

Kurz nach Ratifizierung des Assoziierungsabkommens hob das algerische Parlament nach 34 Jahren die Nationalisierung des Erdöl- und Erdgassektors auf. Fast alle Parteien stimmten der Regierungsvorlage zu, mit Ausnahme der zwanzig Abgeordneten der linkspopulistischen und ursprünglich trotzkistischen Arbeiterpartei (PT). Die Parlamentarier der moderat-islamistischen Partei Islah (Reform) enthielten sich der Stimme.

Der Gesetzestext sieht vor, dass ausländische Unternehmen nicht mehr nur Minderheitsbeteiligungen an Förderstätten und -anlagen erwerben dürfen, sondern bis zu 70 Prozent. Unter bestimmten Bedingungen können westliche Firmen auch hundertprozentige Eigentümer einer Lagerstätte werden.

Welch einschneidende Veränderung die Öffnung des Erdölsektors für westliches Privatkapital bedeutet, ergibt erst die historische Rückschau. Die Nationalisierung der Öl- und Gasindustrie im Februar 1971 hatte ursprünglich das Herzstück eines autozentrierten Entwicklungsmodells gebildet: Die vom Staat abgeschöpfte "Ölrente" sollte in den Aufbau einer diversifizierten Industrie investiert werden.

So sollte die strukturelle Unterentwicklung der ehemaligen Kolonie, deren Wirtschaft früher auf die Bedürfnisse der "Metropole" Frankreich zugeschnitten worden war, überwunden werden. Dieses Vorhaben war aber bereits in den achtziger Jahren gescheitert.

Hohe Abhängigkeit von Importen

Dazu trug das Technikdiktat westlicher Konzerne bei, die dem nordafrikanischen Land veraltete, überdimensionierte oder den örtlichen Bedingungen nicht angepasste Anlagen verkauften oder die Algerier in Abhängigkeit von Ersatzteilen und Wartungsarbeiten durch eigene westliche "Experten" hielten.

Aber auch die Korruption der einheimischen Eliten, die mitunter Schrott einkauften, sofern sie nur selber saftige Kommissionen kassieren konnten, gehörte zu den Ursachen.

Heute ist Algerien auf den meisten Gebieten extrem importabhängig. Finanzieren kann es seine Bedürfnisse überhaupt nur dank des mächtigen "Motors" seiner Ökonomie, der Öl- und Gasförderung, die über 97 Prozent der Deviseneinnahmen des Landes einbringt.

Doch selbstverständlich wuchsen die europäischen und nordamerikanischen Begehrlichkeiten, einen Fuß auch in diesen Sektor zu bekommen. Ein Teil der ehemals staatssozialistischen Eliten Algeriens leistete noch bis vor kurzem heftige Widerstände dagegen, und im März 2001 und im Februar 2003 legten Generalstreiks gegen die Öffnung der Ölindustrie die allermeisten Wirtschaftszweige des Landes lahm.

WTO-Mitgliedschaft und Wasserprivatisierung

Doch der Druck der westlichen Gläubigerstaaten und "Wirtschaftspartner" war letztendlich stärker. Algerien will in den kommenden Monaten der Welthandelsorganisation (WTO) beitreten, wofür es die Unterstützung westlicher Wirtschaftsmächte benötigt und insbesondere der USA, die in dem Ausschuss von 40 WTO-Mitgliedsländern, der mit Algerien verhandelt, Ton angebend sind.

Ende März beginnt in Algerien zudem noch die Debatte über die Privatisierung des Trinkwassers. Der französische Vivendi-Konzern steht bereits in den Startlöchern, um sich in den Sektor einzukaufen. Was von der Souveränität des Landes letztendlich übrig bleiben wird, ist derzeit eine offene Frage.

Bernhard Schmid

© Qantara.de 2005

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Erläuterungen zum Barcelona-Prozess auf der Website der Bundesregierung

EU-Mittelmeerpolitik/Barcelona-Prozess auf der Website des Auswärtigen Amtes

The Euro - Mediterranean Partnership auf der Website der Europäischen Union (engl.)