"Der Islam hat seine Reformation noch vor sich"
Nein, wie ein Kirchenmann sieht der EKD-Ratsvorsitzenden nicht gerade aus. Würde Bischof Wolfgang Huber nicht ein kleines Kreuz am Revers tragen und meist in schwarz auftreten - man könnte ihn auch für einen Politiker oder Manager halten.
Mit agilem Schritt geht er auf seine Gesprächspartner zu, Fragen beantwortet er mit der Verve des geschulten Rhetorikers, und auch beim nervösen Blick auf die Uhr kann man ihn bisweilen ertappen.
Keine Frage: Bischof Huber möchte etwas bewegen; und wenn nötig, dann auch durch Provokation - auch wenn er selbst, ganz Kirchen-Diplomat, da erst einmal abwiegelt:
"Ich glaube, das Gespräch zwischen erwachsenen Menschen setzt voraus, dass man ehrlich miteinander umgeht, und dazu gehört, dass man beides versucht: das Gemeinsame zu stärken und mit Unterschieden offen umzugehen. Alles andere würde ich als ein Ausweichen vor der Realität ansehen."
Staat muss sich neutral verhalten
Man hat das auch schon anders von ihm gehört. Die Zeit der naiven Multireligiosität sei vorbei, verkündet er immer wieder; denn der Islam habe eine wichtige Erkenntnis noch nicht nachvollzogen, die im Westen, nach den blutigen Religionskriegen im Gefolge der Reformation, zum gesellschaftlichen Grundkonsens geworden sei: dass sich der Staat neutral gegenüber seinen Bürgern und deren Glauben zu verhalten habe.
In den meisten muslimischen Staaten gelte jedoch das genaue Gegenteil. Bestes Beispiel sei die Scharia, bei der die islamische Rechtsauffassung auch durch den Staat unmittelbar zur Geltung und zur Durchsetzung gebracht werden müsse. "Und das ist etwas", so Huber, "was mit der Unterscheidung von Staat und Religion in unserem Denken schlechterdings unvereinbar ist."
Kritiker wenden jedoch ein: Auch in Deutschland würden nicht alle Religionen von der Politik gleichrangig und damit neutral behandelt. Warum seien beispielsweise christliche Kruzifixe in Klassenräumen erlaubt, während muslimische Lehrerinnen vor dem Unterricht ihr Kopftuch ablegen müssten?
"Es gibt muslimische Frauen, die sagen, sie empfinden das Kopftuch als ein Zeichen der Unterdrückung der Frau", kontert der Bischof. "Und damit kommt ein Aspekt herein, der gar nichts mit dem Islam als Religion zu tun hat, sondern mit der politischen Botschaft, die mit dem Kopftuch verbunden ist. Es geht nicht darum, christliche Symbole zu privilegieren und muslimische zu diskriminieren, sondern es geht darum, sich klarzumachen, dass ein Kopftuch etwas anderes ist als ein religiöses Symbol."
Ansonsten, meint Huber, habe er gegen eine starke öffentliche Präsenz der muslimischen Religion nichts einzuwenden; den eigenen Glauben allein im Privaten auszuleben, wie es ein strikter Laizismus etwa französischer Prägung fordert, hält er für fehlgeleitet: Denn jeder demokratische Staat lebe von Voraussetzungen und Werten, die er selbst nicht schaffen könne.
Keine muslimischen Verhandlungspartner
Trotzdem habe man bei den Christen hierzulande oft den Eindruck, sie würden sich ihres Glaubens eher schämen. Und der Zug zur Säkularisierung in Deutschland würde bewirken, dass die Muslime Schwierigkeiten hätten, "uns in unserem Glauben ernst zu nehmen, weil der Islam ja nun auch in einer besonderen Weise eine den Alltag prägende religiöse Haltung ist. Und da können wir von den Muslimen eine ganze Menge lernen."
Huber möchte deswegen die deutschen Muslime stärker in die öffentliche Religionsförderung einbinden. Nichts spräche dagegen, dass es an Schulen auch islamischen Religionsunterricht geben könne; nur fehle auf muslimischer Seite dafür der Verhandlungspartner.
Anders als die beiden christlichen Kirchen haben die muslimischen Gemeinden nämlich keinen gemeinsamen Dachverband. Aber das kann ja noch kommen: Denn die so genannte "Neutralität, die gleichzeitig fördert", so die paradoxe Formel für das Verhältnis von Staat und Kirche in Deutschland, solle schließlich, meint Bischof Huber, auch den hier lebenden Muslimen zugute kommen.
Kerstin Hilt
© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005