Zunehmende Politisierung
Wissenschaftler, die an britischen Universitäten im Rahmen der Nahost- oder Islamwissenschaften arbeiten, mögen die diesjährigen Sommerferien weniger entspannt erlebt haben als in anderen Jahren; die politische Diskussion über ihr Fach jedenfalls legt dies nahe.
Druck macht insbesondere der Minister für Höhere Bildung, Bill Rammell, der am 4. Juni ankündigte, dass die Islamwissenschaften fortan als "strategisch wichtiges Fach" eingestuft werden würden. Er verband damit die Hoffnung, dass dadurch gewalttätigem Extremismus vorgebeugt werden könne; auch einen stärkeren Zusammenhalt auf Gemeindeebene hält er dadurch für möglich.
Die Ankündigung Rammells war die Antwort auf einen am gleichen Tag veröffentlichten Bericht zum Thema "Der Islam und die Universitäten in England: Deckung des Bedarfs und Investition in die Zukunft". Rammell selbst hatte den Report bei Ataullah Siddiqui, dem Direktor des Markfield Institute of Higher Education, in Auftrag gegeben.
"Der Bericht Dr. Siddiquis, wie auch andere Berichte und Konferenzen zum Thema 'Islam an den Universitäten', zeigen uns, dass die Islaminstitute ihren Fokus zu sehr auf den Nahen Osten richten und die multi-kulturelle Realität im heutigen Großbritannien außer Acht lassen", sagte Rammell. "Damit riskiert man, sich auf 'überholte und irrelevante Fragen' zu konzentrieren."
Zehn Empfehlungen
Rammell kündigte ferner an, dass das Ministerium für Innovation, Hochschulen und Weiterbildung (Department for Innovation, Universities and Skills) zusammen mit dem Higher Education Funding Council for England (HEFCE) und den Universitäten ein Langzeitprojekt auf den Weg bringen werde, das sich den "Lücken in Lehre und Forschung der Islamwissenschaften" widmen soll. Der HEFCE leistet mit einer Million Pfund die Anschubfinanzierung des Projekts.
Der Bericht Dr. Siddiquis gibt zehn Empfehlungen. Die erste bezieht sich auf die größer werdende Zahl der Muslime in Großbritannien, was eine Erweiterung der von den Islamwissenschaften behandelten Themen notwendig mache: Philologie, klassische Texte und Regionalforschung mit dem Schwerpunkt auf den Nahen Osten allein seien nicht mehr zeitgemäß.
Die Förderung der Islamwissenschaften sollte gekoppelt werden an Jobangebote, und die Lehrpläne sollten sich auf die theologischen und kulturellen Aspekte des Islam mit Bezug zur modernen Glaubenspraxis konzentrieren. Solche Lehrveranstaltungen würden bei Nicht-Muslimen zu einem besseren Verständnis von wichtigen, aktuellen Fragen des islamischen Glaubensverständnisses beitragen.
Außerdem sollten die Hochschulen islamwissenschaftliche Zusatzmodule für Studenten anderer Fächer anbieten. Damit erhielten die Studenten die Gelegenheit, von kompetenten, traditionell geschulten Islamwissenschaftlern zu lernen, zumindest in den Teilen des Lehrplans, die über den Glaubensalltag des Islam informieren.
Alle Hochschulen sollten erwägen, muslimische Geistliche oder Berater anzustellen. Der Ausbildungsstandard solcher Geistlicher sei jedoch zu verbessern. Den Hochschulangestellten sollte zudem Beratung in wichtigen Fragen der islamischen Glaubenspraxis geboten werden, also etwa in Bezug auf die Gebetszeiten, die Bedeutung des Freitagsgebets, islamische Ernährungsvorschriften und den Fastenmonat Ramadan.
"Islamisierung ist nicht mein Ziel"
Dr. Siddiqui meint, dass einige Medienorgane seinen Bericht unzutreffend wiedergegeben hätten, etwa wenn sie behaupteten, dass die eine Million Pfund für die Ausbildung von Imamen verwendet werden solle, dabei sei von Imamen im Bericht keine Rede gewesen.
Gegenüber Qantara erklärte er, dass die Hochschulinstitute für Nahost- und arabische Studien mit islamwissenschaftlichem Anteil sich auch stärker um die Rolle des Islam in Ländern außerhalb des Nahen Ostens kümmern sollten, also etwa Südasien, Südostasien und Afrika. Auch dies schließlich sei von großer Relevanz für Muslime in Europa.
Siddiqui wehrt sich gegen Angriffe von verschiedenen Seiten (darunter neokonservative und anti-muslimische Kommentatoren), die seinem Report vorwerfen, das Universitätssystem islamisieren zu wollen. "Islamisierung ist nicht mein Ziel; es geht mir vielmehr um ein besseres Verständnis für die Islamwissenschaften."
Professor Drummond Bone, Präsident von Universities UK, einer Organisation der Universitäts-Vizekanzler, sagte, dass es "Sache der davon betroffenen akademischen Öffentlichkeit sei, über mögliche Veränderungen bei der islamwissenschaftlichen Lehre zu entscheiden (...) Es ist wichtig, dass sich alle akademischen Fächer einer Qualitätssicherung stellen, die kritische intellektuelle Strenge und Offenheit garantiert."
In einem Brief an die Zeitung Independent schrieb Professor Robert Gleave, Lehrstuhlinhaber des Instituts für Arabische und Islamische Studien an der Universität von Exeter, die vordringliche Aufgabe der in der Universitätslehre beschäftigten Islamwissenschaftler sei "Bildung, und nicht soziale Kontrolle. Der Versuch, über den Weg eines akademischen Faches britische Muslime dazu zu bringen, eine 'akzeptable' Version des Islam zu übernehmen, könne sich als sehr riskante Politik herausstellen."
Und er fügte hinzu, dass es unweigerlich zu "einer Beeinträchtigung der Forschungsleistungen und der Lehre" führen würde.
Politisierung der Islamwissenschaften?
Im Mai 2006 hatte Rammell entschieden, die Lehre des Islam an den britischen Universitäten einer grundlegenden Überprüfung zu unterziehen, um den "Extremismus auszumerzen". Er war zu dem Schluss gekommen, dass "die Qualität der Islamlehre an unseren Universitäten verbessert werden muss."
Bei der Konferenz "Islam auf dem Campus", die im letzten Dezember in Edinburgh abgehalten wurde, waren sich Professoren und Dozenten von Universitäten und anderen Institutionen der höheren Bildung jedoch in einem einig: Es gibt keine Verbindung zwischen Islamwissenschaften und Extremismus an den Universitäten. Auch widersprachen sie Rammells Behauptung, dass die Islamlehre an den Universitäten verbessert werden müsse.
Sie protestierten zudem gegen die zunehmende Politisierung der Islamwissenschaften. Viele von ihnen berichteten von wachsendem Druck durch politische Interessengruppen und von der Einschüchterung von Wissenschaftlern und Institutionen.
Sie warnten davor, dass die Atmosphäre der Selbstzensur, die durch das gegenwärtige politische Klima gefördert und durch die jüngsten Gesetzesmaßnahmen der Regierung verstärkt worden sei, de facto dazu führe, dass wichtige und wertvolle Forschung zu bestimmten Bewegungen und Gruppen nicht betrieben werden könne.
Susannah Tarbush
© Qantara.de 2007
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