Konfession statt Revolution
Oppositionelle in Bahrain trinken lieber Costa- als Starbucks-Kaffee. Genauer gesagt: Schiitische Oppositionelle besuchen lieber ein Costa-Café als die Konkurrenz von Starbucks. Eine schiitische Familie betreibt in Bahrain die Costa-Filialen, eine sunnitische dagegen hat die Lizenz für Starbucks.
Macht der historische Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten selbst vor der globalen Pop-Kultur nicht Halt? Teilt dieser jahrhundertealte Streit die Muslime noch heute in zwei unversöhnliche Lager?
Dieser Auffassung widerspricht der in Cambridge forschende Politologe Toby Matthiesen. Die bahrainische Kaffeekultur gehört zu den eher nebensächlichen Themen in seinem neuen Buch "Sectarian Gulf". Sein Interesse gilt den Massenprotesten in den Golf-Monarchien, an denen der Arabische Frühling keinesfalls spurlos vorbeigegangen ist.
Repression und Konfessionalismus
Anhand der Aufstände in Bahrain, Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten zeigt er, dass nicht etwa jahrhundertealter Hass den Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten zugrunde liegt. Vielmehr, so Matthiesens zentrale These, hätten die Regierungen die beiden Gruppen gezielt gegeneinander ausgespielt. Die Machthaber am Golf "reagierten auf den Arabischen Frühling mit Repression und Konfessionalismus, der die Gesellschaften in ein sunnitisches und ein schiitisches Lager spaltete, wobei sie im wahrsten Sinne des Wortes einen sectarian gulf schufen".
Das Herzstück des nur 130 Seiten langen Buches sind die Kapitel zu Bahrain. Jeder vierte Bahrainer sei bei den größten Kundgebungen 2011 auf die Straße gegangen. Anders jedoch als in Tunesien, Ägypten oder Libyen konnte das Regime seine Macht letztlich sichern.
"Bahrain im Jahr 2011", schreibt Matthiesen, der zufällig mit Beginn der massiven Proteste in der Hauptstadt Manama eintraf, "war für mich und viele andere ein Schnellkurs in Machtpolitik."
Teile und herrsche! Was schon die Römer konnten, diente auch den sunnitischen Machthabern in Bahrain. Es gelang ihnen, die anfangs konfessionsübergreifende Protestbewegung zu spalten. Mit konfessioneller Rhetorik und fragwürdigen historischen Parallelen diskreditierten sie den Aufstand als schiitisches, vom Iran und der libanesischen Hisbollah gesteuertes Komplott.
Der "Golf der Konfessionen"
Ein reines Hirngespinst aber, das den Bürgerinnen und Bürgern von ihren Regierungen eingepflanzt worden ist, sei der neue Konfessionalimus am Golf dennoch nicht. Einmal in die Welt gesetzt, gedeihe der „Golf der Konfessionen“ und bringe auch in der Bevölkerung seine Profiteure hervor. Sectarian identity entrepreneurs nennt Matthiesen sie. Auf dem Perlenplatz in Manama konnten sich mit der Zeit immer stärker die gut organisierten schiitischen Oppositionsgruppen durchsetzen.
Matthiesen, der streckenweise zwar sehr detailreich die Geschehnisse nacherzählt, sie aber immer wieder mit persönlichen Anekdoten aufhübscht, berichtet von einer jungen Sunnitin, die er zu Beginn des Aufstands auf dem Perlenplatz trifft. Der Zufall will es, dass er ihr drei Monate später erneut begegnet – nun allerdings im Kreise von Regime-Unterstützern.
Enttäuscht vom zunehmend schiitischen Charakter der Proteste habe sie sich von den Regimekritikern abgewandt und sich sogar mit ihren schiitischen Freunden überworfen, mit denen sie anfangs gemeinsam protestiert hatte. Der "Golf der Konfessionen" war Wirklichkeit geworden.
Wenige Tage nach den ersten Protesten in Bahrain erhoben sich auch die Schiiten im benachbarten Saudi-Arabien. Allerdings, schreibt Matthiesen, waren die Solidaritäts-Kundgebungen in der saudischen Ost-Provinz aus bahrainischer Perspektive kontraproduktiv. Sie hätten die Führung in Riad nur darin bestärkt, den bahrainischen Aufstand aus eigenem Interesse niederzuschlagen. Im März 2011 rollten saudische Panzer über die Brücke nach Bahrain. Einen Präzedenzfall, eine Revolution in einem Golf-Königreich, hieß es für die Saudis mit allen Mitteln zu verhindern.
Wer profitiert von den konfessionellen Spannungen?
So wertvoll die Protokollierung der nur wenig beachteten Proteste in den Golfstaaten auch ist, für den Leser ist die in großen Teilen deskriptive Erzählweise streckenweise langatmig. Nach Bahrain und Saudi-Arabien, handelt Matthiesen auch Kuweit und die restlichen Monarchien der Arabischen Halbinsel ab. Die Seiten zu Oman, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Qatar lesen sich durchaus interessant, wirklich neue Erkenntnisse bringen sie aber kaum.
Stattdessen würde man gern mehr erfahren über Matthiesens theoretischen Ansatz. Sein durch den libanesischen Kontext inspiriertes Konzept des sectarian identity entrepreneurs lässt den Leser ratlos zurück: Wer sind diese Menschen, deren gesellschaftliche "Position von der gekonnten Manipulierung der konfessionellen Grenzen abhängt." Wie profitieren sie von den konfessionellen Spannungen?
Auch methodisch stellt sich eine Frage: Zwar führt der Autor immer wieder Beispiele für die zunehmend konfessionelle Rhetorik von Regierungen und Medien an. Offen bleibt aber, wie er die Zunahme misst und seine These belegt, dass Konfessionalismus in der Region nie zuvor eine so wichtige Rolle gespielt habe wie heute.
Dennoch: "Sectarian Gulf" ist ein äußerst sorgsam recherchierter Beitrag zu den Umwälzungen in den Golfstaaten – die, so der Autor, noch lange nicht vorbei seien: "Dieser staatsbürgerliche Aktivismus wurde verdrängt, wird aber nicht für immer verblassen."
Konfessionalismus, Repression und großzügige Geldgeschenke, schreibt Matthiesen, würden als Antwort langfristig nicht ausreichen. An eine 'monarchische Ausnahme', die Immunität der arabischen Königreiche gegen revolutionäre Protestbewegungen, glaubt er nicht. Ob der Wandel aber durch Revolutionen oder Reformen kommen wird, darauf legt er sich nicht fest.
Jannis Hagmann
© Qantara.de 2014
Toby Matthiesen: "Sectarian Gulf: Bahrain, Saudi Arabia, and the Arab Spring That Wasn't", Stanford University Press, 2013
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de