Zeitreise ins Bagdad der Kalifen

Die "Assassin's Creed"-Reihe gehört zu den beliebtesten Videospielserien, weil sie Spielenden erlaubt, durch vergangene Epochen zu wandeln. Der neueste Teil führt ins Bagdad des 9. Jahrhunderts.
Die "Assassin's Creed"-Reihe gehört zu den beliebtesten Videospielserien, weil sie Spielenden erlaubt, durch vergangene Epochen zu wandeln. Der neueste Teil führt ins Bagdad des 9. Jahrhunderts.

Die "Assassin's Creed"-Reihe gehört zu den beliebtesten Videospielserien, weil sie Spielenden erlaubt, durch vergangene Epochen zu wandeln. Der neueste Teil führt ins Bagdad des 9. Jahrhunderts. Von Kristina Reymann-Schneider

Von Kristina Reymann-Schneider

Die Spielereihe "Assassin's Creed" schickt Spielende seit 2007 zurück in die Vergangenheit. Im ersten Teil konnten sie ins 12. Jahrhundert reisen und Jerusalem erkunden, später schipperten sie auf imposanten Segelschiffen durch die Karibik, erlebten in Paris den gesellschaftlichen Umbruch durch die Französische Revolution, sahen Pyramiden im alten Ägypten, kämpften im antiken Griechenland gegen Athener und Spartaner und schlüpften zuletzt in die Rolle eines Wikingers - oder wahlweise einer Wikingerin -, um England zu erobern.

Stets wurden Städte, Regionen oder ganze Länder und Epochen ausgewählt, zu denen viele Menschen einen Bezug haben und die gleichzeitig räumlich und zeitlich weit weg sind.

Nun führt die Reihe an einen neuen Schauplatz, der in der Popkultur bisher eher eine Randerscheinung ist: Bagdad im 9. Jahrhundert. Die Stadt, die von ihren Bewohnern auch Madinat-al-Salam (Stadt des Friedens) genannte wurde, war damals eine florierende Metropole unter der Herrschaft des Abbasiden-Kalifats.

Sie war das Zentrum mächtiger weltlicher und religiöser Herrscher, zeitgenössischer Künstler, windiger Händler, eifriger Philosophen und neugieriger Wissenschaftler. Mindestens 500.000 Menschen verschiedener Glaubensrichtungen lebten damals in der Stadt am Tigris, die heute die Hauptstadt des Irak ist.

So ähnlich könnte die imposante Rundstadt Bagdads einst ausgesehen haben; Foto: Ubisoft
Die neue Reihe der Videospielserie "Assassin’s Creed“ führt an einen Schauplatz, der in der Popkultur bisher eher eine Randerscheinung ist: Bagdad im 9. Jahrhundert. Die Stadt, die von ihren Bewohnern auch Madinat-al-Salam (Stadt des Friedens) genannte wurde, war damals eine florierende Metropole unter der Herrschaft des Abbasiden-Kalifats. Sie war das Zentrum mächtiger weltlicher und religiöser Herrscher, zeitgenössischer Künstler, windiger Händler, eifriger Philosophen und neugieriger Wissenschaftler.

Zeitreise ins Goldene Zeitalter der Abbasiden

Bei der Erschaffung der historischen Welten legen die "Assassin's Creed"-Entwickler seit jeher viel Wert auf Authentizität. Die Spielenden werden in der Spielwelt auf besondere historische Orte hingewiesen, bekommen nebenbei Alltagsgeschichte vermittelt und lernen historische Persönlichkeiten kennen. In "Assassin's Creed Mirage" treffen sie zum Beispiel auf den Gelehrten Ali ibn Muhammad, einen Widersacher der herrschenden Abbasiden, oder die Banu-Musa-Brüder, drei begabte Wissenschaftler und Tüftler.

Dennoch seien die Spiele historisch nicht zu 100 Prozent genau, das müssten sie aber auch gar nicht sein, betont der Historiker Dr. Lucas Haasis im Interview mit der Deutschen Welle (DW). Er forscht zum Thema Games und Geschichte an der Universität Oldenburg und bringt Videospiele in Universitäten und an Schulen. Entscheidend sei für das Spielgefühl, dass sie glaubhaft wirken.

"Man bekommt einen Eindruck von einer Epoche, den man auf eine andere Art und Weise nicht bekommt. Das schafft kein anderes Medium. Man bekommt ein Gefühl für eine Epoche, kann in eine Atmosphäre eintauchen; und das führt dazu, dass man ein Interesse entwickelt, das man sonst vielleicht nicht entwickelt hätte."

Haasis berichtet von zahlreichen Studierenden, die heute im Fach Geschichte eingeschrieben sind, weil sie "Assassin's Creed" gespielt hätten und danach mehr über die Vergangenheit wissen wollten. Spiele böten zudem die Möglichkeit, neueste Forschungsergebnisse zu integrieren und dadurch die Erinnerungskultur zu beeinflussen. Denn die Vergangenheit sei viel bunter gewesen, als wir sie uns das heute oft vorstellen würden.

Historiker unterstützen Spieleentwickler

In die Entwicklung der "Assassin's Creed"-Spiele waren stets auch Historikerinnen und Historiker involviert. Renommierte Wissenschaftlerinnen wie Glaire Anderson von der University of Edinburgh, die zu islamischer Kunst und Architektur im Zeitalter der Kalifen (650-1250) forscht, oder Vanessa van Renterghem, deren Fachgebiet die Sozial- und Stadtgeschichte Bagdads ist, haben ihre Expertise bei "Assassin's Creed Mirage" einfließen lassen.

Hauptfigur Basim im Videospiel Assassin's Creed; Foto: Ubisoft
Protagonist Basim ist kein Haudrauf, sondern muss aus dem Schatten - oder konkreter aus einem Heuhaufen oder Gebüsch heraus - agieren, um ungesehen in Paläste oder feindliche Gebiete eindringen zu können. Wird er doch entdeckt, ist die Flucht die beste Option. Im Parkour bewegt er sich agil über die Dächer der Stadt, nutzt die unzähligen Mauervorsprünge, Holzbalken, Flaschenzüge, gestapelten Kisten und gespannten Seile, um schnell das Weite zu suchen. Die dichte Bebauung eignet sich hervorragend für Parkour-Einlagen.



Zudem arbeitete das Studio eng mit Museen zusammen. "Ich finde es sehr wichtig, dass sich immer mehr Historiker gegenüber Games öffnen", sagt Lucas Haasis. "Denn Spiele sind da, Spiele bleiben und sie werden immer wichtiger."

Gerade für junge Menschen gehörten Spiele zur Lebenswirklichkeit einfach dazu. Daher sieht er in Spielen, die sich mit der Historie auseinandersetzen, eine große Chance. "Dass sich junge Leute für Geschichte interessieren, sollten wir fördern. Gleichzeitig sollten wir den kritischen Blick schulen." Schüler und Studierende müssten lernen, kompetent und medienkritisch mit den Spielen umzugehen, damit sie erkennen, wo die Fantasie mit den Entwicklern durchgegangen ist und wo die Grenzen der digitalen Erfahrung liegen.

Denn: "Das, was im Spiel präsentiert wird, ist ja letztlich eine gewollte Illusion von Zeitreisen, aber dennoch eine Rekonstruktion der Entwicklerinnen und Entwickler", stellt Lucas Haasis klar.

Von der ursprünglichen Stadt Bagdad, die am 30. Juli 762 gegründet wurde und innerhalb weniger Jahrzehnte aus dem Wüstensand erwuchs, ist fast nichts mehr übrig. Sie war kreisförmig angelegt und beherbergte im Zentrum den Palast des Kalifen. Für das Spiel bietet die dünne Quellenlage den Vorteil, dass die Entwickler beim Nachbau der Stadt kreativer zu Werke gehen konnten. Das Buch des englischen Gelehrten Guy Le Strange (1854-1933) über Bagdad während des Abbasiden-Kalifats hat ihnen ebenso als Inspiration gedient, wie zeitgenössische Reiseberichte und archäologische Funde.

Spielerisch die Geschichte Bagdads erkunden

Den Spielenden steht es nun frei, diese prächtige Stadt zu Fuß, zu Pferd oder auf dem Kamel zu erkunden, durch die schattigen und belebten Gassen zu rennen, die Moscheen zu bestaunen, deren türkise Kuppeln in der Sonne glänzen und anhand von im Spielverlauf gesammelten Fundstücken und historischen Orten mehr über die Geschichte Bagdads zu erfahren.

Die teils wirre Story in den "Assassin's Creed"-Spielen dreht sich stets um den Konflikt zwischen Templern und Assassinen beziehungsweise deren Vorgängerorganisationen, dem Orden der Ältesten und den Verborgenen. Das ist auch bei "Assassin's Creed Mirage" nicht anders. Spielerisch sind die Games stets solide, aber nicht außergewöhnlich. Vieles spricht also dafür, dass die "Assassin's Creed"-Serie gerade wegen ihrer historischen Settings so beliebt ist und Ubisoft zufolge weltweit 155 Millionen Fans hat.

Szene aus Assassin's Creed; Foto: Ubisoft
Die teils wirre Story in den "Assassin's Creed"-Spielen dreht sich stets um den Konflikt zwischen Templern und Assassinen beziehungsweise deren Vorgängerorganisationen, dem Orden der Ältesten und den Verborgenen. Das ist auch bei "Assassin's Creed Mirage" nicht anders. Spielerisch sind die Games stets solide, aber nicht außergewöhnlich.



Doch was ist das Faszinierende an Zeitreisen? Historiker Lucas Haasis hat darauf folgende Antwort: "Es gibt, glaube ich, eine Art Grundinteresse in uns Menschen, darüber nachzudenken, wo wir herkommen und gleichzeitig reizt uns an Geschichte immer auch das Fremde der vergangenen Epoche - es ist quasi ein andauerndes Wechselspiel zwischen Nähe und Fremde.

Zeitreisen in einem Videospiel verbinden beide Ebenen und gleichzeitig passieren diese virtuellen Reisen natürlich im geschützten Raum, man hat nichts zu befürchten. Das macht das Eintauchen in die Vergangenheit in Spielen so reizvoll."

Heimliches Vorgehen ist der Schlüssel zum Erfolg

Wer - wie die Autorin dieser Zeilen - jeden Teil gespielt hat, fühlt sich von "Assassin's Creed Mirage", das am 5. Oktober für alle Plattformen erschienen ist, sofort abgeholt und findet sich schnell zurecht. Basim, der schon als Nebencharakter in "Assassin's Creed Valhalla" (2020) auftauchte, übernimmt diesmal die Hauptrolle.

Viele Aufgaben und Spielmechaniken aus den Anfängen der Serie wurden implementiert, etwa Figuren zu folgen oder zu belauschen, Laufwege der Wachen zu beobachten oder das nützliche Adlerauge, das Gegner und Schatztruhen hervorhebt. Bei drohender Gefahr empfiehlt es sich, unterzutauchen oder Fahndungsplakate von den Wänden zu reißen.

Protagonist Basim ist kein Haudrauf, sondern muss aus dem Schatten - oder konkreter aus einem Heuhaufen oder Gebüsch heraus - agieren, um ungesehen in Paläste oder feindliche Gebiete eindringen zu können. Wird er doch entdeckt, ist die Flucht die beste Option. Im Parkour bewegt er sich agil über die Dächer der Stadt, nutzt die unzähligen Mauervorsprünge, Holzbalken, Flaschenzüge, gestapelten Kisten und gespannten Seile, um schnell das Weite zu suchen. Die dichte Bebauung eignet sich hervorragend für Parkour-Einlagen.

Die Story dreht sich typischerweise um den ewigen Konflikt zwischen mächtigen Geheimbünden und die Jagd nach "Edensplittern": Das sind mächtige Artefakte, die Menschen ihren freien Willen rauben können. Für mich ist diese Jagd jedoch eher Nebensache. Viel aufregender ist es, bequem von der Couch aus in eine andere Zeit einzutauchen und sich durch eine wuselige und grafisch opulente Stadt treiben zu lassen, die in den schönsten Farben erstrahlt.

Kristina Reymann-Schneider

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