In der inneren Emigration

How has the war in Syria affected the attitudes and perspectives of Syrian teenagers growing up during this tough time? Now 25, Jenan Aljundi was 13 when things turned violent. In this personal essay she provides insight into the alienation felt by a young woman remaining in Syria, while friends and family emigrated
How has the war in Syria affected the attitudes and perspectives of Syrian teenagers growing up during this tough time? Now 25, Jenan Aljundi was 13 when things turned violent. In this personal essay she provides insight into the alienation felt by a young woman remaining in Syria, while friends and family emigrated

Die heute 25-jährige Jenan Aljundi war 13 Jahre alt, als der syrische Bürgerkrieg ausbrach. In ihrem Essay beschreibt sie die existentielle Entfremdung, die sie als junge Frau empfindet, die in Syrien geblieben ist, während Freunde und Familie emigriert sind.

Von Jenan Aljundi

Zu Beginn jedes Schuljahres fragten uns die Lehrer in Syrien nach unseren Träumen und was wir einmal machen wollten. So wollten sie eine persönliche Atmosphäre schaffen. Die Antworten waren vorhersehbar. 

Einige von uns wollten Arzt werden. Ärzte genießen auch in Syrien ein hohes Ansehen. Der soziale Status und das gute Einkommen sind nicht zu verachten. Andere wollten Ingenieur, Schreiner oder Schmied werden. Manche träumten sogar davon, in einem Schönheitssalon zu arbeiten. Reisen war überhaupt kein Thema. Das Bildungssystem in Syrien bereitet die Schülerinnen und Schüler auf einen Beruf im eigenen Land vor, nicht im Ausland. 

Fremdsprachen, IT-Kenntnisse oder Naturwissenschaften, also Fähigkeiten, die junge Menschen auf den Arbeitsmarkt vorbereiten könnten, spielen keine große Rolle. Im Gegenteil: Das Bildungssystem zielt darauf ab, dass die Menschen in Syrien bleiben und in Verwaltung und Behörden unterschiedliche Aufgaben übernehmen. Reisen war weder eine Option noch vorgesehen. Denn die Realität, in der wir lebten, ließ das nicht zu



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Zu Beginn der syrischen Revolution war der Anteil der Arbeiter und Studenten an den Demonstrationen hoch. Sie bildeten damals sogar die überwältigende Mehrheit. Viele gingen auf die Straße und forderten Freiheit, Würde und ein menschenwürdiges Leben. Es war ein Versuch, unsere Seelen vor Erniedrigung und Elend zu schützen. 

"Ich fühle mich einsam, fremd und weit weg"

Ich war damals noch ein Kind und doch war ich jeden Tag Zeugin der Ereignisse. Wir erlebten, wie die Dinge immer schlimmer wurden. Um uns herum gab es Gewalt, Überfälle, Verhaftungen, Wirtschaftssanktionen und viele andere Probleme. Diese Erfahrungen beherrschten das, was von unseren Träumen noch übrig geblieben war. 

Damals hörte ich auch von Menschen, die in andere Länder ausgewandert waren, in der Hoffnung, dort aufgenommen zu werden. Damit begannen für uns die Verlusterfahrungen: Der Abschied von geliebten Menschen wurde zur Gewohnheit, zur Normalität. Wann immer wir erfuhren, dass ein Verwandter auswandern wollte, klammerten wir uns voller Angst an ihn und baten ihn, uns fern der Heimat nicht zu vergessen.



Wir taten uns zusammen und brachten kleine Geschenke für die gefährliche Reise mit. Mit diesen Geschenken schrieben wir uns in die Herzen und Köpfe der Reisenden ein: "Wir sind immer noch hier. Wir leiden immer noch, aber in unseren Köpfen ist immer noch Platz für Träume.“ 

 

— UNICEF (@UNICEF) February 3, 2016

 

Heute, zwölf Jahre nach dem Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs, fühlen wir uns noch mehr als Exilanten als unsere Freunde und Verwandten, die das Land verlassen haben. Wenn in Syrien die Sonne aufgeht, werde ich schmerzlich daran erinnert, dass die Menschen, mit denen ich die Morgenstunden verbracht habe, nicht mehr da sind – und ich weine. Wenn ich durch die Straßen meiner Heimatstadt gehe, die ich einst wie meine Westentasche kannte, erkenne ich niemanden mehr. Ich fühle mich einsam, fremd und weit weg. 

Ich kann mit niemandem über die Probleme sprechen, die sich mir in den Weg stellen. Im Krieg zu leben und mit allem, was um einen herum passiert, allein zurechtkommen zu müssen, ist wohl das Schlimmste, was ein Mensch erfahren kann. Das damit verbundene Gefühl der Ausgrenzung und Entfremdung ist geradezu körperlich spürbar.

Von allen Träumen abgeschnitten

Man fühlt sich von seiner Umgebung abgeschnitten. Man glaubt, die Einzige zu sein, die solche Gedanken quälen. Immer wieder wird man von diesem Wahnsinn überwältigt. Und dann wird einem wieder bewusst, dass solche Gefühle inmitten dieser verrückten und schrecklichen Verhältnisse normal sind. 

Unsere Verhältnisse: Sie dürften tatsächlich das Schwierigste sein, womit die Menschen umgehen müssen, die in Syrien festsitzen. Wir verlieren uns in Diskussionen über unsere finanzielle Misere, ärgern uns über die Hochschulen, die uns regelmäßig loswerden wollen, oder über das syrische Gesundheitssystem, das unsere Lebenszeit verkürzt, weil es nicht in der Lage ist, die Infektionskrankheiten zu bekämpfen, die sich während des Krieges ausgebreitet haben: Cholera, Tuberkulose oder Brucellose. 



 

 

Jeden Tag sterben wir tausendfach, bevor wir erschöpft in unsere Betten fallen und uns wünschen, dass alles einfach aufhören möge. Verstrickt in unsere alltäglichen Probleme und angesichts der Schwierigkeit, unsere menschlichen Grundbedürfnisse zu befriedigen, vergessen wir, über unsere erschöpften Seelen und unser seelisches Leid zu sprechen, das von Verlust, Armut und Demütigung geprägt ist. Bittere Gefühle stauen sich auf. Sie bemächtigen sich unserer Gedanken und lassen den traurigen Rest von unserem Selbst erschöpft zurück. 

Jeden Tag suchen wir nach Möglichkeiten, ins Ausland zu fliehen. Das wäre unsere einzige Chance, diesem Massengrab zu entkommen. In dieser Hinsicht sind die syrischen Jugendlichen alle gleich. Ob über Facebook-Gruppen oder durch Anrufe bei Freunden im Ausland: Ich suche ständig nach Fluchten aus dem trostlosen Alltag.



Das versuche ich sogar über Kontakte zu Reisebüros, obwohl ich nur zu gut weiß, dass sie sich nur den Traum vom Reisen bezahlen lassen und stattdessen Illusionen und Fake News verkaufen. Aber wir können nicht anders: Fortgehen wäre für uns die einzige Möglichkeit, ein normales Leben zu führen, wie andere Menschen auch. 

Auswanderung – die einzige Perspektive 

Es gibt noch weitere Aspekte der Auswanderung, die ich nicht unerwähnt lassen möchte. Ich freue mich, wenn ich höre, dass eine Freundin ausgewandert ist. Dass sie sich jetzt auf das konzentrieren kann, was sie liebt und wovon sie immer geträumt hat. Jeden Tag schreibt ein junger Syrer – ein Mann oder eine Frau – Geschichte, indem er oder sie alle Hindernisse überwindet und sich auf den Weg macht, um das ersehnte Ziel zu erreichen. 

Das Wichtigste, was diese Migration unter den jungen Menschen bewirkt hat, ist sicherlich die Solidarität. Ein Schutzraum ist entstanden, den die Länder, die uns fallen gelassen haben, nicht bieten können. Es ist ein Raum, der nicht durch Grenzen definiert ist. Wir haben viele verschlungene Wege gefunden, um der schwierigen wirtschaftlichen Situation zu entkommen, die unser Leben Tag für Tag bedroht.



So wurden beispielsweise Gruppen gegründet, die Gelder beschaffen und von Syrern geleitet werden. Diese Freunde sammeln wöchentlich Spenden, die sie dann ins Land schicken, um uns aus dem Teufelskreis von Hunger und Angst zu befreien. 

Gleichzeitig leisten sie die nötige geistige und spirituelle Unterstützung, die uns hilft, die enorme innere Emigration zu überwinden, die wir gegenüber unserem eigenen Land empfinden. Die Syrer im Ausland wissen, wovon wir träumen und sie sind davon überzeugt, dass die Ausreise bis auf weiteres die einzige Option ist. 

Auf ihren Facebook-Seiten beantworten sie unsere Fragen zur Ausreise. Sie bieten uns jede erdenkliche Hilfe an. Sei es bei der Familienzusammenführung, damit Syrer im Ausland ihre Familien nachholen können, oder bei der Organisation von Patenschaften für Menschen, die Syrien gerade erst verlassen haben. 

Ich glaube, dass die Solidarität, die aus der Migration erwächst, einzigartig ist. Sie wird das Wertefundament unserer Revolution bilden. Dieser Zusammenhalt ist ein starker Beweis dafür, dass wir Seite an Seite stehen, dass wir trotz aller Unterschiede zur selben Gemeinschaft gehören und dass unsere Solidarität unser wahrer Retter ist. 

Obwohl wir heute über die ganze Welt verstreut sind, lausche ich dem Lied von Rasha Rizq, in dem es heißt: "Eure Stimmen füllen den Raum... mit eurem Lachen, Debattieren und Plaudern“.  Ich erinnere mich an unsere gemeinsame Vergangenheit, an die Erinnerungen, die wir in jedem Winkel der Stadt geschaffen haben, und ich vermisse jeden Moment, den wir gemeinsam erlebt haben. Deshalb glaube ich, dass die Auswanderung zwar ein Weg zum persönlichen Überleben ist. Aber die einzige Lösung für unsere Krise ist das Streben nach dem, wovon wir einst geträumt haben: Freiheit und Würde für das syrische Volk. 

Jenan Aljundi 

© Goethe-Institut/Ruya 2023 

Übersetzt aus dem Englischen von Gaby Lammers