Melancholische Gottsucher
Christoph Peters' Helden sind keine unerfahrenen Neulinge in der muslimischen Welt. Sie besitzen Bildung und Vorwissen und bewegen sich nicht wie Touristen durch die Metropolen, sondern erinnern auf ihren Streifzügen eher an den klassischen Typus des Forschungsreisenden. Ihr Interesse gilt neben der Kunst und Architektur des Landes den Sufimeistern und weisen Sheikhs. Sie sind Gastdozenten an Kunsthochschulen oder Vortragsreisende, die Einladungen von Stiftungen folgen, Liebhaber und Sammler arabischer und türkischer Antiquitäten.
Egal mit welcher Geschichte man beginnt, sofort nimmt einen die Genauigkeit der Beobachtung gefangen. Alle beschriebenen Details wirken authentisch und absolut glaubwürdig, als handelte es sich um autobiographische Erlebnisse. Tatsächlich ist Peters ein versierter Kenner nicht nur der orientalischen Philosophie, er hat auch selbst über Jahre häufig den Orient bereist. Wie er auf dem diesjährigen Internationalen Literaturfestival in Berlin nicht ohne schalkhaften Humor sagte, könne er selbst nicht mehr genau sagen, welche seiner Geschichten autobiographisch und welche fiktiv seien.
So führt die in Kairo zur Zeit des sogenannten "Arabischen Frühlings" spielende Episode ganz dicht heran an die damals herrschende euphorische Aufbruchstimmung unter den ägyptischen Intellektuellen. In den Räumen des Emad Gamal Verlags haben sich um den Verleger ein paar Aktivisten versammelt, um eine Protestresolution zu verfassen. Mitten unter ihnen befindet sich ein Deutscher, der Ich-Erzähler, der nun sein Gewissen prüfen muss, ob er es wagt mit zu unterzeichnen und so zu riskieren, dass ihn die Behörden an seiner Heimreise hindern. Mit wenigen Strichen lässt Peters eine politisch überhitzte Szene entstehen, in der eine Bewegung voller Unruhe und Zuversicht herrscht, die geradezu mit Händen zu greifen ist.
Auf Abstand zu den Riten und Gebräuchen vor Ort
So nahe seine Helden aber den heiligen Stätten des Sufitums auch kommen, immer bleiben sie letztlich auf Abstand zu den Riten und Gebräuchen vor Ort. Die Protagonisten tauchen tief ein ins Alltagsleben, geben sich selbst als Abdel Haqq oder Yussuf aus, atmen beim Besuch von Mekka das liebliche Parfüm an den Wänden der Kaaba ein, verspeisen mit anderen Gläubigen Rosenblätter in einem heiligen Schrein und sitzen stundenlang mit einem Derwisch in einer Moschee und teilen mit ihm sein Mahl.
Doch am Ende gibt es dann nicht mehr als ein Selfie mit dem wortkargen Sheikh. In einer anderen Geschichte, in der der Protagonist von einem wahabitischen Glaubenswächter auf seine Grundkenntnisse des Koran geprüft wird, entlässt ihn dieser mit einer perfekten Service-Tüte: CD-ROM und DVD samt Broschüren zum wahren Glauben.
Vor allem in den Geschichten, die von Liebesaffären mit jungen Frauen vor Ort handeln, werden die inneren Widersprüche zwischen dem geistigen Anliegen der Protagonisten und ihren begrenzten Möglichkeiten deutlich. Es erfüllt die jungen Männer zwar eine ernste Sehnsucht nach Sinn und Erfüllung und nach einer bleibenden Beziehung mit der Geliebten, doch statt eine Entscheidung für sie treffen zu können, werden die Protagonisten bei Peters stets nur konfrontiert mit ihrer eigenen Schwäche und ihren Schuldgefühlen.
Sie nehmen den Reiz der Fremde auf, sammeln begierig alle möglichen Erfahrungen (wobei auch Drogenkonsum eine Rolle spielt) und registrieren aufmerksam und selbstkritisch die Andersheit von Land und Leuten.
So entsteht ein sinnfälliger Kontrast zwischen der Ernsthaftigkeit des deutschen 'Forschungsreisenden' und den vielen jungen Leuten, die er auf seinen Reisen trifft und die seine Sinnsuche wenig verstehen und – wie überall auf der Welt – vor allem am Gebrauch ihrer Handys interessiert sind.
Dass der Erzählband neben diesem Themenkomplex auch den Ehrgeiz besitzt, aktuelle politische Geschehnisse wie Terrorismus, 9/11 und die Golfkriege gegen Saddam Hussein zu beleuchten, erscheint ein wenig überambitioniert. Zumindest können diese Geschichten, in denen einsame Deutsche zu Hause vor dem Fernseher Ängste vor dem drohenden Dritten Weltkrieg verspüren, nicht mithalten mit den faszinierend bizarren Episoden in der Fremde.
Brüderlichkeit zwischen weit entfernt liegenden Kulturen
Wenn einer der (Be-)Sucher Karatschis mitten am Tag in Konflikt mit einer Anti-Terror-Einheit gerät, stundenlang auf der Straße festgehalten wird und sich einem peinlichen Verhör in der Polizeistation stellen muss, bis endlich seine Personalien geklärt sind und er mit barschen Worten entlassen wird, folgt man diesem Geschehen mit angehaltenem Atem.
Die Ungewissheit, Verunsicherung und Panik des Protagonisten, der sich gleichzeitig einzureden versucht, dass ihm keine wirkliche Gefahr droht, ist nicht nur in dieser Geschichte minutiös geschildert. In solchen Passagen wird wie nebenbei gezeigt, welchen Mut es braucht, um sich in der Fremde souverän zu behaupten, wenn man das Verlangen verspürt sich dem Unbekannten zu nähern.
Peters erweist sich als wahrer Meister des Details – ob es murmelnde Scheikhs sind, deren Absichten wir nicht durchschauen, aufgebrachte "Ranger" in einem Gebiet der "Roten Zone" oder jene rätselhaften riesigen Greifvögel am Himmel die über den Heiligtümern kreisen wie unheilvolle Geier. Doch was in diesem glasklar geschriebenen Erzählband vor allem spürbar wird, ist der Wunsch nach Verbindung und Brüderlichkeit zwischen weit entfernt liegenden Kulturen.
Volker Kaminski
© Qantara.de 2017
Christoph Peters: "Selfie mit Sheikh", Luchterhand-Literaturverlag 2017,256 Seiten, ISBN: 978-3-630-87540-8