Die soziale Botschaft des Islam wiederentdecken
Schüchtern und doch liebenswürdig und herrlich bodenständig, so lässt sich der 55-jährige Mohammed Abdus Sabur beschreiben. Ein Mann mit einer Mission.
Er ist Gründer und Generalsekretär des in Bangkok ansässigen Netzwerks asiatischer Muslime. Die Aktivisten kämpfen für soziale Gerechtigkeit und interreligiösen Dialog. AMAN, so das Akronym des Asian Muslim Action Network, bedeutet "Frieden" auf Arabisch und mehreren verwandten Sprachen. Ich treffe Mohammed Abdus Sabur in seinem bescheidenen Büro in einem Vorort von Bangkok.
Besonderheit der religiösen Werte in Asien
Sabur wurde in einem Dorf geboren, das damals in Ost-Pakistan lag, dem heutigen Bangladesch. Nach dem verheerenden Krieg, der zur Gründung des neuen Staates führte, begann er für eine dort ansässige NGO zu arbeiten. "Vor allem engagierte ich mich für hinduistische Familien in Sylhet im nördlichen Bangladesch, die vom Krieg besonders schwer betroffen waren. Die pakistanische Armee hatte ihre Häuser niedergebrannt und viele von ihnen getötet", sagt er.
Diese Arbeit brachte ihn in Kontakt mit dem in Bangkok sitzenden Asian Cultural Forum on Development, ACFD, einem Netzwerk asiatischer Aktivisten und Gelehrten mit verschiedenen religiösen Hintergründen, die nach spezifisch asiatischen Lösungsansätzen für die ebenso besonderen Probleme Asiens suchten, und dies alles inspiriert von genuin asiatischen religiösen Werten. 1979 wurde Sabur in den Rat des ACFD gewählt, als bis dato jüngstes Mitglied. Er siedelte nach Bangkok über und blieb bis heute dort.
"Während all der Jahre, die ich für das ACFD tätig war", erinnert sich Sabur, "war ich immer wieder fasziniert davon, wie Christen, Buddhisten und Hindus an ganz verschiedenen Fronten arbeiteten und dies nicht nur inspiriert von ihren eigenen religiösen Vorstellungen, sondern auch gut organisiert. Sie kämpften für Solidarität in den Gemeinden und für Frauenrechte, sprachen sich gegen jede Form von Diskriminierung und Unterdrückung aus, sowohl auf nationaler wie globaler Ebene."
Gefangen in feudaler Routine
"Gleichzeitig aber habe ich mit Bestürzung festgestellt", fährt er fort, "wie sehr die Muslime in dieser Hinsicht hinterherhinken. Sie hatten ihre Wohlfahrtsorganisationen, um Geld für Moscheen und Madrasas zu sammeln. Aber obwohl dies natürlich wichtige Aufgaben sind, reichte es andererseits nicht, um drängende soziale Fragen anzugehen."
"Ich spürte, dass unser auf Wohlfahrt basierter Ansatz eine Art feudaler Routine war — man gibt den Bedürftigen Zuwendungen, aber beschäftigt sich nicht mit ihnen; man nimmt keinen Anteil an ihrem Leben und an ihrem Kampf um Gerechtigkeit. Ich kannte viele muslimische Organisationen, die von sozialer Gerechtigkeit sprachen, doch geschah dies meist nur in Form von Büchern oder Vorträgen. Durch meine Zusammenarbeit mit sozial engagierten Christen, Buddhisten und Hindus erkannte ich, dass auch wir Muslime praktische Arbeit leisten mussten; wir mussten den Traum von sozialer Gerechtigkeit in die Praxis umsetzen."
1990 begann Sabur dann, fortschrittliche muslimische Gelehrte in mehreren asiatischen Ländern anzusprechen, um genau dies zu tun. Eine kleine Gruppe von ihnen, aus Indien, Pakistan, Bangladesch und Thailand, traf sich im September des gleichen Jahres in Chiang Mai, Nordthailand, und AMAN war geboren. Der bekannte Islamgelehrte Asghar Ali Engineer aus Mumbai wurde zum Einberufer des Netzwerks ernannt und Sabur zum Generalsekretär gewählt. Das Ziel des Netzwerks? "Im Kern geht es darum, fortschrittliche islamische Gedanken an die muslimische Jugend weiterzugeben", so Sabur.
"Islam, richtig verstanden"
Die begrenzten Mittel, über die das Netzwerk verfügt, macht die Arbeit oft zu einem mühsamen Unterfangen. Vor dem Hintergrund des großen Einflusses, den die traditionellen Islamgelehrten, die Ulema, der Madrasas auf viele muslimische Gemeinden ausüben, sieht es Sabur als notwendig an, sie in die Arbeit mit einzubeziehen und dies in viel stärkerer Weise als bisher.
"Madrasas sind wichtig, das ist ganz klar, doch brauchen die Schüler einen viel umfassenderen Einblick in eine ganze Reihe aktueller sozialer Fragen, denn daran mangelt es doch noch vielen", meint er.
"Der Islam, richtig verstanden, lehrt uns dies doch in unmissverständlicher Weise. Er steht für Gleichberechtigung und Brüderlichkeit, nicht nur in der Moschee, sondern auch in der Gesellschaft. Nur wird er heute viel zu selten in dieser Weise ausgelegt. Der Islam steht für Menschenrechte, für alle Menschen und nicht nur für Muslime. Er lehrt uns, die Anderen zu respektieren. Wir müssen viele unserer alten Glaubensgrundsätze überdenken, um das wieder zu entdecken, was ich als den Kern der sozialen Botschaft des Islam ansehe."
"Gelehrsamkeit und Aktivismus müssen Hand in Hand gehen"
An diesem Punkt tritt die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit mit den traditionellen Islamgelehrten hervor, da viele von ihnen die befreiende Botschaft des Koran noch immer verkennen, so Sabur. Denn wenn man ihn richtig verstehe, geht es darin auch um die Rechte der Frauen, der Bedürftigen, der Unterdrückten und der Menschen anderen Glaubens.
"Forschung und Aktion, Gelehrsamkeit und Aktivismus müssen Hand in Hand gehen, damit sie wirksam werden", ist Sabur überzeugt. Und dann erzählt er begeistert von Plänen AMANs, in Kooperation mit einer indonesischen Universität in Kürze einen Master-Abschluss in Friedensstudien auf den Weg zu bringen.
Die Gelder für die Aktivitäten AMANs kommen zum Großteil von westlichen, meist christlichen NGOs sowie einer in Japan beheimateten buddhistischen Institution; die Zeitschrift AMANA wird gefördert durch einen Zuschuss von Action Aid. Auch wenn Sabur versucht hat, neue Finanzquellen zu erschließen, indem er muslimische Philanthropen und Organisationen ansprach, die helfen könnten, hatte er damit bisher wenig Glück.
"Viele von ihnen würden Geld für Moscheen und Madrasas spenden oder um ihre eigenen Sekten und deren Versionen des Islam zu unterstützen, aber nicht für diese Art von praktischer Hilfstätigkeit", sagt er mit einigem Bedauern. "Vielleicht ist ihnen aber auch gar nicht bewusst, dass es so etwas gibt", denkt er laut.
"Wir können mit Geld keine Beziehungen aufbauen"
"Ich kann mir keine konservativen wahabitischen Scheichs aus Saudi-Arabien vorstellen, die ihre Petrodollars für Initiativen bereitstellen, die den westlichen Imperialismus herausfordern, den muslimischen Buchstabenglauben oder den Extremismus; ebenso wenig kann ich mir vorstellen, wie sie sich für die Rechte von Frauen und die Ökumene einsetzen oder die Solidarität zwischen Muslimen und Menschen anderen Glaubens — und genau dies sind ja die Ziele, denen AMAN sich verschrieben hat."
"Wir müssen weiter versuchen, muslimische Organisationen und wohlhabende Muslime für unsere Sache zu gewinnen. Vielleicht wollen einige von ihnen tatsächlich helfen, wissen aber nicht, wie sie es am besten anstellen sollen."
"Wir müssen außerdem weiterhin unsere Stimme erheben gegen jede Form von Unterdrückung, gegen Analphabetismus und Diskriminierung in unseren Gesellschaften. Und global gilt es, weiterhin gegen Terror und Krieg zu kämpfen, in allen muslimischen Foren, auf nationaler wie internationaler Ebene. Nur dann können wir unseren Ansichten und Anliegen Gehör verschaffen."
Als Sabur wieder auf die Frage des Sponsoring zurückkommt, sagt er noch: "Wir können mit Geld keine Beziehungen aufbauen. Was wir brauchen, sind einfache, bodenständige und leidenschaftlich engagierte Menschen, die aus eigenem Antrieb arbeiten, mit einem guten Maß an Opferbereitschaft versehen sind und nicht nur etwas tun, wenn sie dafür bezahlt werden."
"Und das", so sagt er mir noch, als ich aufbreche, "ist doch, was echte Religiosität ausmacht."
Yogi Sikand
© Qantara.de 2008
Übersetzung aus dem Englischen: Daniel Kiecol
Qantara.de
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www
Website Asian Muslim Action Network
Website "Amana Magazine"