Woher kommt die Angst der Buddhisten vor dem Islam?
Knapp zwei Wochen lang herrschte in Sri Lanka der Ausnahmezustand. Nachdem ein Buddhist Anfang März von vier Muslimen in der Nähe der Touristenstadt Kandy schwer verletzt worden war, kam es an mehreren Orten und über den Zeitraum von mehreren Tagen zu Ausschreitungen.
Radikale buddhistische Gruppen mobilisierten ihre Anhänger mit Hilfe der sozialen Medien. Darunter auch die Mönchsorganisation von Galagodaatte Gnanasara "Bodu Bala Sana" (BBS), die "Buddhistische Machttruppe". Dabei wurden abstruse Vorwürfe verbreitet, wie zum Beispiel der, dass Muslime Essen und Kleidung mit Verhütungsmitteln besprühen würden, um die Buddhisten auszurotten.
Bei den Ausschreitungen wurden Moscheen, Häuser und Geschäfte von Muslimen verwüstet und angezündet. Zwei Menschen starben. Sri Lankas Regierung verhängte eine Ausgangssperre und blockierte die sozialen Netzwerke.
Erst nach zwölf Tagen hatte sich die Lage wieder so weit beruhigt, dass die Regierung den Ausnahmezustand aufhob und die sozialen Medien wieder zur Benutzung freigab.
Auch in Myanmar kam es seit 2012 immer wieder zu Gewalt gegen Muslime. Betroffen war zwar vor allem die muslimische Minderheit der Rohingya, die seit 2017 zu Hundertausenden aus Myanmar geflohen ist, aber auch andere Muslime. Radikale buddhistische Mönche spielen hier ebenfalls eine wichtige Rolle.
Thailands gewaltgeplagter Süden
Thailand erlebt insbesondere seit 2001 in den südlichen Provinzen immer wieder Gewalt. Die "Bangkok Post" berichtete, dass in den mehrheitlich von thailändischen Muslimen bewohnten Provinzen zwischen 2004 und 2015 mindestens 6500 Menschen ums Leben kamen. Im Unterschied zu Sri Lanka und Myanmar gibt es in Thailand vergleichsweise gut organisierte bewaffnete Gruppen, die für die Unabhängigkeit und ein islamisches Kalifat im Süden kämpfen.
Die thailändische Regierung reagiert darauf vor allem mit Härte. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch (HRW) dokumentierten Menschenrechtsverletzungen aller Konfliktparteien. Neun von zehn Opfern der Gewalt in Südthailand sind Zivilisten.
Auch in Thailand sind buddhistische Mönche Teil des Konflikts. Es gibt die sogenannten Soldatenmönche, also Armeeangehörige, die für einige Zeit ins Kloster gehen, Robe und Almosenschale annehmen, das Gewehr aber nicht ablegen. Der populäre thailändische Mönch Phra Maha Apichat rief im Oktober 2015 via Facebook dazu auf, für jeden getöteten Mönch eine Moschee niederzubrennen. Er wurde inzwischen allerdings aus der Mönchsgemeinschaft ausgeschlossen.
Wie groß in allen drei Ländern der Anteil radikaler Mönche an der Mönchsgemeinschaft insgesamt ist, lässt sich nicht abschätzen. Es ist eine Minderheit, aber eine, die sich sehr lautstark zu Wort meldet.Globale Islamophobie
Die Buddhisten in Sri Lanka, Myanmar und Thailand sind besorgt, wie Michael Jerryson, Religionswissenschaftler von der Youngstown State University in den USA im Gespräch sagt: "Ich habe von Mönchen in all diesen drei Ländern gehört, dass sie den Buddhismus bedroht sehen. Sie fürchten, dass der Islam und die Muslime ihre Länder überrollen."
Die Ängste lassen sich zum Teil auf die Geschichte der Länder zurückführen. In allen drei Ländern ist der Theravada-Buddhismus die vorherrschende Religion. Der Theravada-Buddhismus sieht sich selbst als älteste und damit den Lehren des Buddhas am nächsten stehende Schultradition des Buddhismus. Die ursprüngliche Lehre zu bewahren und zu schützen ist oberste Pflicht.
Buddhismus und Nationalismus
In der Epoche des europäischen Kolonialismus und Imperialismus fielen Myanmar und Sri Lanka unter britische Herrschaft. "Als die Briten diese Länder kolonialisierten, zerstörten sie die traditionelle Verbindung von Staat und Sangha, der buddhistischen Gemeinschaft", sagt Religionswissenschaftler Jerryson. Thailand wurde zwar nicht kolonialisiert, war aber von französischen und britischen Kolonien umgeben, und musste jederzeit fürchten, seine Unabhängigkeit zu verlieren. "Die Menschen fragten sich, wer den Buddhismus jetzt schützen wird."
Anfang des 20. Jahrhunderts formierten sich deshalb in allen drei Ländern Bewegungen, die den Buddhismus mit dem aus Europa importierten Nationalismus verknüpften, um den Kampf für die Unabhängigkeit zu führen und damit letztlich den Buddhismus zu retten.
Auch wenn die Gründe und politischen Faktoren sich von Land zu Land unterschieden, wie Jerryson betont, gab es im Ergebnis "einen robusten religiösen Nationalismus, eine religiöse Identität in Form des Buddhismus."
Bis heute ist die Vorstellung, dass die nationale Identität von den eigenen Glaubensvorstellungen nicht zu trennen ist, in allen drei Ländern weit verbreitet: "Ein echter Bürger Myanmars sein heißt Buddhist sein."
Gegen-Narrative
Das Bedrohungsgefühl der Buddhisten in diesen Ländern ist also tief verwurzelt und Teil der Identität. Die anti-muslimische Stoßrichtung wird dabei teilweise befördert von "einer globalen Islamophobie, die aus dem Westen kommt und sich auch in Myanmar, Sri Lanka und Thailand niederschlägt", wie Jerryson sagt. "Viele Menschen im Westen sehen den Buddhismus als friedfertig an, während der Islam gewalttätig sei. Das ist leider falsch und es wird den Menschen, ihrer Geschichte und ihrer Kultur nicht gerecht."
Man dürfe nicht vergessen, dass alle Weltreligionen die Menschen zum Frieden mit sich und zum Frieden mit anderen ermutigen, dass aber alle Religionen, inklusive des Buddhismus, auch eine Geschichte der Gewalt haben.
Wer das Bedrohungsgefühl an dem misst, was in Sri Lanka, Myanmar und Thailand tatsächlich passiert, muss zu dem Schluss kommen, dass hier eine große Unstimmigkeit besteht, so Jerryson: "Das passt nicht zusammen, das passt überhaupt nicht zusammen."
In Sri Lanka sind knapp zehn Prozent der 20 Millionen Einwohner Muslime, in Myanmar sind es etwa vier Prozent (bei 51 Millionen Einwohnern), in Thailand etwa fünf (bei 67 Millionen Einwohnern). "Der Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung hat sich in den vergangenen vier Jahrzehnten nicht groß verändert."
Die in allen drei Ländern weit verbreitete Behauptung, dass die Muslime die Buddhisten demographisch überwältigen, ist also nicht richtig. Obwohl es zutrifft, dass der relative Anteil der Muslime in einigen Regionen zunimmt. Im Süden Thailands vor allem durch die starke Abwanderung von Buddhisten, die vor der Gewalt fliehen. In Myanmars westlichem Rakhine-Staat lag die Geburtenrate der Muslime über der der buddhistischen Rakhine.
Um die Spannungen zwischen Buddhismus und Islam zu reduzieren, wäre die Etablierung von Gegen-Narrativen nötig, wie Jerryson sagt. Dabei gibt es zwei Herausforderungen. Zum ersten die Autorität der Mönche. "Die Menschen glauben, was die Mönche sagen." Also müssten die Gegen-Narrativen von Mönchen kommen, die in diesen Kulturen die Deutungshoheit haben.
Zum zweiten gäbe es viele vor allem westliche Politiker, Nichtregierungsorganisationen und Journalisten, die den Birmanen, Singhalesen oder Thais diese zumeist westlich geprägten Gegen-Narrative aufzwängen wollten, was oftmals das Gegenteil der eigentlichen Absicht bewirke. Produktiver wäre das direkte Gespräch mit den Mönchen in diesen Ländern.
Rodion Ebbighausen
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