Drei Religionen unter einem Dach
Blutwurst mit Bratkartoffeln preist die Kneipe an der Baubrache an, ein "Eisern Union"-Graffiti blickt düster von einer Hauswand herab, von der sechsspurigen Gertraudenstraße weht ein leichter Wind die Abgase herüber. Einen Ort der Stille, des Sich-Zurückziehens, des Gebets stellt man sich anders vor. Doch diesen Ort zu realisieren, davon sind Pfarrer Gregor Hohberg, Imam Kadir Sanci und der Rabbiner Andreas Nachama auch noch weit entfernt – fünf Jahre und über vierzig Millionen Euro, um genau zu sein.
Kair Sanci findet diese Zahlen nebensächlich. Für den Imam existiert das "House of One" bereits, auch wenn das Gebäude noch nicht steht. "Der Weg ist das Ziel", gibt er sich optimistisch. Wo einmal ein Sakralbau für Juden, Christen und Muslime zugleich in die Höhe ragen soll, predigt er neben seinen Kollegen, dem Rabbi und dem Pfarrer, von einer kleinen, improvisierten Bühne herab.
Unter einem Dach vereint
Gebetsbücher und eine Kerze haben sie mitgebracht; eine Keyboarderin stimmt "Verleih' uns Frieden gnädiglich" an. Viele Gläubige haben die Drei zu ihrer Friedenspredigt anlässlich der Flüchtlingskrise zwar nicht erwartet, die 25 Stühle, die sie aufgebaut haben, sind aber gut besetzt.
Das "House of One" ist ein ehrgeiziges und durchaus gewagtes Projekt. Nicht nur wäre es Deutschlands erster Sakralbau, der Kirche, Moschee und Synagoge unter einem Dach vereint. Auch ist der Ort von symbolischer Strahlkraft. Denn was die öde Baubrache nicht verrät: Der Petriplatz, den heute kaum ein Berliner mehr kennt, ist der historische Ortskern der Hauptstadt. Er bildete das Zentrum der einstigen Doppelstadt Berlin-Cölln.
Die stolz in die Höhe ragende, im Krieg aber stark beschädigte Petrikirche ließ die DDR-Regierung 1964 abreißen. Damit beraubte sie den Petriplatz seines letzten historischen Denkmals und schickte ihn in einen jahrzehntelangen Winterschlaf der Bedeutungslosigkeit. Das multireligiöse "House of One" auf dem Petriplatz, es wäre ein geschichtsbewusstes Sich-Bemerkbar-Machen von Gläubigen in der wiedervereinigten, weitgehend säkularen und gesellschaftlich vielfältigen deutschen Hauptstadt.
Ehrgeizig sind auch die Pläne zur Finanzierung des "House of One". Die Initiatoren sind stolz darauf, dass es kein Prestigevorhaben von Politikern, sondern ein Graswurzelprojekt ist. Per Crowdfunding sollen die Baukosten eingetrieben werden. Und die sind beträchtlich: 43,5 Millionen Euro sollen zusammenkommen. Seit vergangenem Jahr läuft die Spendenkampagne. Gut sieht es aber nicht aus: Eine Million Euro zeigt der Spendenstand an, von denen allerdings mehr als 800.000 Euro vom Bundestag kommen und erst ausgezahlt werden sollen, wenn der Grundstein gelegt ist.
Sind zehn Millionen Euro zusammen, soll mit dem Bau begonnen werden. Aber selbst davon ist man noch weit entfernt. Sanci ist trotzdem zuversichtlich: "Wir haben in Berlin Rückenwind", sagt er. Die Buntheit der Stadt, die vielen dialogfreudigen Menschen seien die perfekte Voraussetzung für das "House of One".
Haus ohne Hausherr
Im Pfarrhaus der Kirchengemeinde St. Petri – St. Marien, nur wenige Meter von der Baubrache entfernt, stehen die Fahrräder mittlerweile im Hausflur. Der einstige Fahrradraum wurde renoviert und dient den wenigen Mitarbeitern des "House of One" als Büro.
Die evangelische Kirchengemeinde ist einer der Partner im Gründungsverein des Projekts. Die Juden sind mit der liberalen Jüdischen Gemeinde zu Berlin vertreten und die Muslime mit einem eher ungewöhnlichen Repräsentanten: Mit Kadir Sanci vertritt nicht eine Moscheegemeinde oder einer der großen Verbände den Islam, sondern ein studierter Religionswissenschaftler, Doktorand der Universität Potsdam und Mitglied des kleinen Berliner Vereins Forum für Interkulturellen Dialog.
Große Namen sind das alles nicht. Der Rückhalt in den jeweiligen Gemeinschaften sei aber groß, betont Sanci. "Ich habe keine einzige institutionelle Kritik von muslimischer Seite gehört, nur einzelne kritische Stimmen." Ob und wie sich die großen Islam-Verbände beteiligen, steht noch nicht fest. Mit Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime in Deutschland führe er Gespräche. "Mazyek ist wohlwollend und findet das Projekt gut", erzählt Sanci. Wie aber die Beteiligung des Zentralrats aussehen werde, könne er noch nicht sagen.
Seine Dialogarbeit mit Juden und Christen sieht Imam Sanci als religiöse Pflicht: "Es ist kein Betriebsunfall, sondern gottgewollt, dass wir unterschiedlich sind", sagt Sanci. "Muslime verstehen Gott als den Allmächtigen und dieser Allmächtige wäre imstande gewesen, uns einheitlich zu erschaffen."
Deshalb könne er sehr gut damit leben, dass andere auch auf theologischer Ebene unterschiedliche Meinungen vertreten. Im Verein des "House of One" haben alle Religionen das gleiche Gewicht. "Der paritätische Gedanke ist wichtig", erklärt Sanci. "In der islamischen Geschichte hat es viele Beispiele gegeben, wo unterschiedliche Religionen unter einem Dach gebetet haben. Aber unserem heutigen Zeitgeist entsprechend ist niemand der Hausherr, sondern alle gestalten gemeinsam."
Allerdings schließt das nicht alle religiösen Strömungen ein. Schiiten oder Katholiken sind bislang nicht involviert, was wohl dem Pragmatismus des Projekts geschuldet ist. Ausschließen wolle man sie aber nicht, versichert Sanci. "Das Haus ist offen für alle. Wir werden Schiiten und Katholiken nicht wegschicken, weil sie Katholiken oder Schiiten sind. Wenn eine schiitische Gruppe bei uns in der Moschee ein Freitagsgebet halten möchte, ist das möglich. Auch Katholiken können eine Messe feiern."
Drei Räume für drei Religionen
Der paritätische Gedanke schlägt sich auch in der Architektur nieder. In einem Regal im Pfarrhaus stehen noch die Modelle, die Architekten für den Wettbewerb eingereicht haben. Fast alle Modelle haben die Zahl Drei baulich umgesetzt. Drei Gebäudekomplexe, drei Türme, drei Ecken. Zumeist sind Kirche, Synagoge und Moschee gleich hoch. Keine der Religionen soll eine Sonderrolle einnehmen.
Gewonnen hat den Wettbewerb schließlich ein Berliner Architekturbüro mit einem schlichten modernen Gebäude, das sich vom Klassizismus und der DDR-Architektur in der direkten Umgebung deutlich abheben wird. Dass ausgerechnet im Siegerentwurf der Teil des Hauses, der die Moschee beherbergen soll, höher ist als Synagoge und Kirche, spricht in Anbetracht einer Geschichte, in der immer wieder über die Höhe von Kirchtürmen und Minaretten gestritten wurde, für die Unverkrampftheit, mit der die Mitglieder des "House of One" ihr Projekt angehen.
"Es wird nur einen gemeinsamen Eingang geben", erklärt Ulla Albrecht-Kraß von der Pfarrgemeinde, die für das "House of One" für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. "Kirche, Synagoge und Moschee sind nur durch einen gemeinsamen Begegnungsraum erreichbar." Von diesem Raum aus sollen drei Türen zu den jeweiligen Gotteshäusern abgehen.
Es ist der Versuch, Gemeinsamkeit und Unterschiede der monotheistischen Religionen in eine Form zu bringen. Die unausweichliche Begegnung spiegelt die Vielfalt der Gesellschaft wider, der Gemeinschaftsraum steht für den gemeinsamen Ursprung der monotheistischen Religionen.
Zugleich aber – das ist den Beteiligten wichtig – soll nichts vermischt werden. Jede Religion hat ihren eigenen Raum. "Wir wollen keine neue Religion entstehen lassen, keine Einheitsreligion", betont Sanci. "Wir wollen die Tradition pflegen."
Jannis Hagmann
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