Drei Religionen unter einem Dach
Draußen - da tost die Stadt. Der Petriplatz liegt an einer der meistbefahrenen Verkehrsachsen Berlins, sechs Spuren stop-and-go. Drinnen - das ist der Innenraum eines Pavillons aus Holz und Plexiglas. Der kalte Januarwind pfeift durch die Fugen.
Nach gut einem Jahr verabschieden sich rund 100 Menschen von diesem Informations-Pavillon. Denn auf dem Petriplatz, umgeben von 20-stöckigen Hochhäusern aus DDR-Zeiten, von neuen Hotels und Rohbauten, starten Bauvorbereitungen. Der Pavillon wird in den nächsten Tagen abgebaut. Dann kommen die Bagger.
Kirche, Synagoge, Moschee
Hier soll in einigen Jahren ein weltweit einzigartiges Projekt stehen, das "House of One". Ein gemeinsames Domizil von Christen, Juden und Muslimen, mit Kirche, Synagoge und Moschee. Drei Räume rund um einen zentralen Begegnungsraum. "Dieses Haus", sagt Rabbiner Andreas Nachama, "wird das Zeichen aussenden, dass das Zusammenleben, das Zusammenwirken der drei Religionen funktioniert".
Vor bald zehn Jahren schlossen sich engagierte Vertreter der drei monotheistischen Religionen zu einer Initiative zusammen für dieses gemeinsame Haus. Daraus wurde eine in der Stadt nun angesehene Stiftung. Und aus der Idee wurde ein Konzept. Lange wirkte das Vorhaben wie ein zu wagemutiger Traum. Denn der als Modell bereits international - in Chicago und Paris - ausgestellte Bau ist besonders. Tief im Erdreich birgt er archäologische Überbleibsel der Stadtgeschichte und der diversen Kirchen, die hier errichtet, zerstört, wiederaufgebaut oder zerbombt wurden. Nach oben soll er gut 40 Meter in den Himmel wachsen und damit Symbol des Miteinanders sein.
Die geplanten Baukosten liegen bei 43,5 Millionen Euro. Aber Spenden fließen, aus vielen Ländern. Im Herbst stellte der Bundestag zehn Millionen Euro in Aussicht, wenn das Land Berlin und private Geldgeber auch zahlen. Nun ist die Grundsteinlegung für den 14. April 2020 vorgesehen.
Die Ringparabel
Dieser Tag wurde sehr bewusst gewählt. Denn am 14. April 1783 erfolgte in Berlin die Uraufführung von "Nathan der Weise". Das große Werk von Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) ist wohl das wichtigste Werk der klassischen Literatur deutscher Sprache zum Miteinander von Juden, Christen und Muslimen. Lessing nutzt eine "Ringparabel". Sie steht dafür, dass Gott alle drei monotheistischen Religionen liebt. Und diese deshalb zu Toleranz verpflichtet sind.
"Die Ringparabel passt beinahe zu gut zur Idee des 'House of One'", sagt Ulrich Khuon, der Intendant des Deutschen Theaters Berlin, bei der Feier. Ihm gefällt der Bezug. Und der angesehene Theatermann kommt von der Lage in der tosenden Stadt und zwischen den mächtigen Bauten auf die drei Religionen. Die Kraft der drei Religionen an diesem Ort liege "vielleicht - ähnlich wie die Kraft der Kunst - in ihrer faktischen Machtlosigkeit und Schwäche, nicht in dem Manifestieren von Kraft und Verdrängung und Bedeutung, von Power".
Die Idee des "House of One", der Platz, die Feier - sie passen zu Berlin, das als Stadt seine säkulare Prägung hochhält und doch eine Vielfalt an Religion bietet. Im Pavillon sieht man jüdische Kippas und muslimische Kappen. In der ersten Reihe sitzt Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau von der Linkspartei neben Verlegerin Friede Springer und Sawsan Chebli, der muslimischen Sozialdemokratin und Staatsekretärin in Berlin. Der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus spielt die Geige im Streichquartett und erläutert die Spiritualität der Musik.
Und Rabbiner Nachama, der evangelische Pfarrer Gregor Hohberg und Imam Kadir Sanci beten singend und bitten sprechend um den Segen für das Projekt. "Wir beten für die, die Verantwortung haben in Politik, Religion und Gesellschaft, für Berlin, unser Land, Europa und die Welt".
Dann folgen Reden. Berlins Kulturstaatssekretär Gerry Woop (Linke) sagt, der geplante Bau werde "Ort des religiösen Miteinanders und der Begegnung". Und er spricht von "herausragender Architektur auf einem zentralen Platz der Stadt".
Ein Architekt im Dialog
Wilfried Kuehn freut es. Der Berliner Architekt, der sich in einem internationalen Wettbewerb durchgesetzt hatte, plante den Bau, den nun alle so loben. "Sakralbau an sich ist eine große Herausforderung, und eine der schönsten", sagt er im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Denn es betrifft einen Raum, der nicht im Zweckmäßigen beheimatet ist, sondern im Idealen und in Ideen, ähnlich wie Kunst und Musik."
Und dann erzählt er von der gemeinsamen Arbeit am "Raumprogramm" des "House of One", immer im Gespräch mit den drei Religionen. "Und wir reden jedes Mal alle gemeinsam über alles. Das heißt: Wir reden nicht mit dem Imam über die Moschee und mit dem Rabbiner über die Synagoge und mit dem Pfarrer über die Kirche, sondern wir reden mit allen dreien über alle Räume. Und dadurch entsteht ein ganz interessanter Dialog schon in der Planung, der eigentlich vorwegnimmt, was so ein Haus ausmacht."
Ab April 2020 soll der Bau wachsen, im Jahr 2023 soll das "House of One" dann eröffnet werden. "Es ist", schaut der Architekt auf das so einmalige Projekt, "natürlich auch enorm schön. Weil sie ihren Beruf auf eine inhaltlich tiefe Weise erfahren, wie es sonst selten möglich ist." Trotz der tosenden Stadt rund um den Bauplatz.
Christoph Strack
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