Talentschmiede und musikalische Brücke in die Türkei
Erleichtert legt Barış Korkmaz sein Horn ab und lächelt seinen Nebenmusiker an. Tagelang feilten sie an einer schwierigen Passage aus Béla Bartóks "Tanzsuite". Nun endlich, nach nächtelangem Üben, funktioniert das Zusammenspiel, fließt der Rhythmus. Der 18-Jährige mit den raspelkurzen Haaren lehnt sich mit einem Lächeln zurück und genießt für einen Moment die Musik um sich herum.
Das türkische Jugendorchester ist in der heißen Probenphase. Rund 100 Musiker zwischen 16 und 23 Jahren reisen von Istanbul zum Beethovenfest nach Bonn. Dort nehmen sie am Orchestercampus teil und präsentieren ein anspruchsvolles Repertoire. "Ich bin schon ziemlich aufgeregt", gibt Barış zu. Dabei ist er schon seit drei Jahren Hornist im türkischen Jugendorchester.
Hunderte von Musikstudenten aus der ganzen Türkei bewerben sich jedes Jahr, um hier mitmachen zu können. Nur die Besten schaffen die harte Aufnahmeprüfung.
"Es gibt für junge Musiker in der Türkei nicht sehr viele Möglichkeiten, sich auf diesem Niveau auszutauschen", so Barış. "Dieses Orchester ist eine absolute Ausnahme und eine riesige Chance."
Musik des Westens
Gerade für Talente wie Barış. Er stammt aus einer Kleinstadt im Süden der Türkei. "Ich bin mit türkischer Volksmusik groß geworden und nicht mit Mozart", gesteht er.
Es war eher der pure Zufall, der Barış zur klassischen Musik brachte. Bei einem Schulausflug nach Mersin, in die nächst größere Stadt, besuchte die Klasse eher widerwillig die dortige Oper. "Plötzlich drang aus einem der Probenräume ein Klang, den ich noch nie gehört hatte", beschreibt er den Moment. Barış fasste sich ein Herz und sprach die Musiker an. Die waren von der Neugier des Jungen begeistert und drückten ihm prompt ein Waldhorn in die Hand.
Das ist jetzt sechs Jahre her. Sechs Jahre, in denen sich Barış zu einem der besten Nachwuchs-Hornisten der Türkei entwickelte. Zu verdanken hat er das engagierten Lehrern und Musikern, die sein Talent erkannten und ihn kostenlos unterrichteten. Seit zwei Jahren studiert er in Mersin am Konservatorium. "Meine Eltern sind beide Beamte. Sie waren am Anfang nicht sehr begeistert von meiner Idee, Hornist zu werden ", erklärt Barış. "Für sie ist Klassik, die 'Musik des Westens', also ziemlich fremd."
Unterschiede überwinden
So denken die meisten in der Türkei. Dabei gab es mehrstimmige Orchestermusik schon im osmanischen Reich. Doch erst 1930, nach der Republikgründung durch Mustafa Kemal Atatürk, entstanden die ersten Musikhochschulen in der Türkei. Das Land sollte moderner werden, westlicher klingen. "Und das dauert halt", meint Cem Mansur.
Der Dirigent gründete vor fünf Jahren das türkische Jugendorchester. Er wollte einen Ort des künstlerischen Austauschs schaffen, vor allem für talentierte Musiker. "In diesem Orchester treffen junge Anatolier, Kurden und Tscherkessen gemeinsam den Ton. Sie lernen, dem anderen zuzuhören, sich auf den anderen einzulassen", erklärt der erfahrene Dirigent. "Die klassische Musik kann helfen, soziale und ethnische Differenzen zu überbrücken, gerade in einem so zerrissenen Land wie der Türkei."
Keine Stellen, kaum Förderung
Doch kann man dort auch von klassischer Musik leben? "Das ist sehr schwierig", meint Mehmet Erhan Tanman. Der 23-Jährige Istanbuler kommt aus einer Musikerfamilie und hat eigens für das türkische Jugendorchester ein Werk komponiert.
"Traffic" wird auf dem Beethovenfest in Bonn seine Premiere feiern. "Die staatlichen Symphonieorchester in der Türkei werden auf Lebenszeit besetzt; das heißt, da wird alle zehn Jahre mal etwas frei", erklärt er. "Und private Orchester gibt es kaum."
Düstere Zukunftsaussichten, die viele Eltern abschrecken. Das musste auch Emel Çelik erfahren. Die 22-Jährige kommt aus der westtürkischen Stadt Eskişehir und spielt Harfe im türkischen Jugendorchester. Ihre alleinerziehende Mutter wollte, dass ihre Tochter etwas Solides lernt und war anfangs gegen ihre Musikerlaufbahn.
Karriere daheim
Erst ein Hochbegabten-Stipendium machte Emel ein Harfe-Studium möglich: "Diese Art von Förderung ist sehr selten in meiner Heimat. Ich hatte also wahnsinniges Glück", sagt die zierliche, junge Frau. Ihr Instrument überragt im türkischen Jugendorchester alle anderen. Doch es ist nicht ihr eigenes.
"Eine Harfe ist sehr teuer. Ich spiele zwar schon seit zwölf Jahren, aber ein eigenes Instrument kann ich mir trotzdem nicht leisten", gibt Emel zu. Sie genießt es, mit dem türkischen Jugendorchester aufzutreten, sich international zu beweisen.
Ihre Mutter ist inzwischen ziemlich stolz auf sie. "Weil sie gemerkt hat, dass ich für diese Musik brenne", meint Emel. Ihr größter Traum ist es, nach dem Studium eine Musikschule in ihrer kleinen Heimatstadt zu gründen.
Dafür wird sie von vielen im Orchester belächelt. Denn die meisten von ihnen möchten später ins Ausland und dort Karriere machen. "Doch wenn alle weggehen, ändert sich hier in der Türkei überhaupt nichts", meint Emel mit selbstbewusster Stimme. "Es braucht Zeit und Geduld, um die Musik von Händel und Beethoven zu verstehen. Und eine gute Vermittlerin."
Aygül Cizmecioglu
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de