Dreiklang der Religionen
Es hört sich nach einem logistischen Kraftakt an: Ein orientalisch-okzidentales Kammerensemble, Barockinstrumentalisten, ein byzantinischer Chor, jüdische und armenische Kantoren, Gesangssolisten aus der osmanischen Klassik und dem Barock kommen zusammen, um sakrale Musik aus den drei großen monotheistischen Weltreligionen in einer schlüssigen Konzertdramaturgie zu bündeln.
Ihr Ziel ist der musikalische Lobpreis dessen, der verschiedene Namen trägt, aber der eine, gemeinsame Gott ist. Mehmet Yeşilçay hat sich als künstlerischer Leiter eine Menge vorgenommen, und er sprüht geradezu vor Erwartungsfreude und Fachwissen, wenn man ihn über die Hintergründe des Projekts "Music for the one God" befragt.
Traditionsreicher musikalischer Dialog
"Der Kontakt zwischen Osmanen und Europa war im 17. und 18. Jahrhundert sehr stark und effizient", begründet er die Auswahl der musikalischen Epoche für das Konzertprogramm und die Fokussierung auf Istanbul. "Denken Sie nur an die Türkenmode, an die Belagerung von Wien.
Unter Friedrich II. sind am Hofe in Berlin türkische Musiker zu Gast gewesen, ebenfalls bei August dem Starken in Sachsen. Ludwig XIV. empfing einen Gesandten, der ein großes Ensemble mitgebracht hat. Im Gegenzug ist belegt, dass seine Barock-Kammerensembles vor dem Sultan gespielt haben."
Kuriosestes Beispiel für den Austausch zwischen Orient und Okzident ist wohl Wojciech Bobowski: Der 1607 in Breslau geborene Komponist und Kirchenmusiker wurde von Tartaren an den Sultanshof verschleppt, wirkte dort unter dem Namen Akli Ufti als Organist und Lautenist weiter. "Er hat nach seiner Konvertierung geistliche islamische Musik geschrieben, die bis heute erhalten ist, hat das Alte Testament und Hugenottenpsalmen, die er mit sich führte, ins Türkische übersetzt", berichtet Yeşilçay.
Seine Musik wird nun im Projekt "Music for the one God" genauso erklingen wie die von Itrî, des Begründers der osmanischen Klassik, von der man dank ungebrochener Überlieferung bis heute genau weiß, wie sie damals aufgeführt wurde. Auf der anderen Seite stehen Werke von Bach, Domenico Scarlatti, Lorenzo de Rossi, Vivaldi, Pergolesi, Schütz und Praetorius.
Vervollständigt wird der religiöse Dreiklang durch armenische und sephardisch-jüdische Gesänge. Gerade letztere stellten im damaligen Istanbul auch eine wichtige Komponente interreligiösen Austauschs dar: Am Hofe von Selim III., so ist historisch verbürgt, spielten viele hebräische und sephardische Musiker. Einer von ihnen, Tanburi Ishak, unterrichtete gar den Sultan, sang in der Synagoge und war zugleich im Sufiorden.
Auf Augenhöhe
Armenisch-christliche, sephardische und muslimische Komponisten wirkten im Sultanspalast damals auf Augenhöhe, waren gleichberechtigt. "Wir denken die Idee dieser Zeit, dieses Zusammenspiel von Istanbul und den europäischen Höfen hier und heute weiter", so Yeşilçay. "Als jemand, der in Europa lebt, wähle ich die Musik dieser Epoche aus, verfrachte sie nach Istanbul und bringe Musiker verschiedener Nationen und Religionen zusammen."
In der Dramaturgie hat er fließende Übergänge geschaffen, koppelt verschiedene Glorias und Amens mit griechischen und hebräischen Hallellujahs sowie einem Sufi-Ritual.
Der in München lebende Komponist und Oudspieler ist prädestiniert für diese anspruchsvolle Aufgabe. Als Leiter des euro-türkischen "Pera Ensembles", Kollaborant von Jordi Savall und des "Ensembles Sarband", musikalischer Direktor der Münchner Philharmonie und Neubearbeiter von Händel-Arien und Satie-Kompositionen ist er sowohl in der abendländischen wie der osmanischen Kultur fest verankert.
Beauftragt wurde Yeşilçay von Istanbuls traditionsreichster musikalischer Bildungsinstitution Eyüp Mûsıkî Vakfı, unterstützt wird das Projekt nun sowohl von der EU als auch dem türkischen Kulturministerium. "In der Türkei gibt es ein gigantisches Feedback, gerade auch bei den religiösen Führern der Muslime und Christen", berichtet Yeşilçay. In Deutschland sei das noch etwas verhaltener, auch was das Sponsoring angeht. Durch gezieltes Ansprechen von interreligiösen Gruppierungen, Vereinen, Gemeinden und Jugendeinrichtungen, versucht er, eine breite öffentliche Aufmerksamkeit zu wecken.
Internationale Besetzung
Im Line-Up von "Music for the one God" agieren etliche Koryphäen: Neben Yeşilçays eigenem international renommierten "Pera Ensemble" konnte mit Ahmet Özhan ein großer Star der türkischen Klassik gewonnen werden, des weiteren der Countertenor Valer Barna-Sabadus und die Sopranistin Francesca Lobardi Mazzulli.
Derzeit ist man in Istanbul dabei, die erste Konzertphase zu erarbeiten. Am 24. April ist dort in der byzantinischen Kirche Aya Irini Premiere, die auch mitgeschnitten wird – eine CD und DVD soll im Herbst erscheinen. Im kommenden Juli wandert der Tross dann nach Deutschland und veranstaltet Konzerte in München, Nürnberg und Völklingen bei Saarbrücken.
Gerade in der saarländischen Stadt, die eine lange Gastarbeitertradition und einen hohen Migrantenanteil besitzt und in jüngerer Zeit Schauplatz etlicher Brandanschläge war, soll die Aufführung ein Signal setzen. Der jetzige Oberbürgermeister möchte den erlahmten interkulturellen Kontakt wieder in Gang bringen und bietet dem Projekt in diesem Rahmen ein Forum.
"Music for the one God" hat jedoch noch ein zweites, wissenschaftliches Gesicht: Derzeit präsentieren internationale Musikwissenschaftler unter Leitung des Istanbuler Professors Sehvar Beşiroğlu auf einem Symposium die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeiten zum interreligiösen Musikdialog.
"In diesem Rahmen wurde beispielweise untersucht, wie die Sepharden Sufi-Lieder genommen haben und darauf ihre hebräischen und ladinischen Texte gesetzt haben, damit sie in den Synagogen gesungen werden konnten. Das war kein Klau, sondern eine Ehrfurcht gegenüber dieser tollen Musik. Armenier, Griechen, Juden und Assyrer, sie alle haben dieselbe Musik verwendet, um ihre eigenen Verse dazu zu erfinden."
Ein gemeinsamer Gott und eine musikalische Basis, aus der viele Stimmen im friedlichen Miteinander hinaufsteigen – man wünschte sich dieses Modell und das von ihm inspirierte Projekt "Music for the one God" als klingendes Vorbild für die heutige Realität.
Stefan Franzen
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de