Universell gültig oder kulturabhängig?
Einem geborenen Muslim, der zum Christentum übertritt, droht in manchen islamischen Staaten die Todesstrafe. Als in Dänemark mit vermeintlichen Mohammed-Karikaturen aufs Korn genommen wurde, dass islamistische Selbstmordattentäter im Namen Gottes unschuldige Menschen ums Leben bringen, lösten Fanatiker eine Protestwelle aus, die hier und da auch in Gewalt umschlug.
Der von den Amerikanern angeführte Feldzug gegen die Achse des Bösen wird im Zeichen von Demokratie und Achtung der Menschenrechte geführt, und doch treten etwa im Irak westliche Soldaten grundlegende Menschenrechte buchstäblich mit Füßen.
"Man könnte ja gelegentlich den Eindruck haben, - wenn man etwa an den Streit um die Mohammed-Karikaturen denkt -, dass Samuel Huntington mit seiner Prognose eines Kulturkampfes auf internationaler Ebene Recht hat", meint Professor Heiner Bielefeldt, Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte.
Bielefeldt bestreitet allerdings, dass der scheinbare Zusammenprall etwa zwischen der islamischen Kultur und der westlich säkularisierten Zivilisation auf ein unterschiedliches Verständnis der Menschenrechte zurückzuführen sei.
Unterschiedliche Auffassungen
Gegen den Vorwurf, die Menschenrechte seien ein westliches Konzept, mit dem islamische Staaten auf Linie gebracht werden sollten, hält Bielefeldt an der universellen Geltung der Menschenrechte fest.
Er erinnert daran, dass die unterschiedlichen Menschenrechtskonventionen von einer ganz überwiegenden Zahl der Staaten unterzeichnet und ratifiziert worden seien: "Und zwar von Staaten quer durch die verschiedenen kulturellen Regionen hindurch."
Natürlich muss auch Bielefeldt einräumen, dass es unterschiedliche Auffassungen zu einzelnen Menschenrechten gibt. So etwa bezüglich der Geschlechtergerechtigkeit wie auch der Religionsfreiheit. Manche konservativ islamisch geprägte Staaten, so Bielefeldt, hätten damit ihre Schwierigkeiten.
Bielefeldt versteht das weltweit geltende Konzept der Menschenrechte als einen globalen Lernprozess, den auch die westlichen Demokratien durchlaufen und noch keineswegs beendet hätten.
Die Gleichberechtigung von Mann und Frau etwa sei zwar ein allgemein akzeptierter Anspruch, damit aber noch lange nicht verwirklicht: "Ich finde es zum Beispiel ganz fatal, wenn der Eindruck entsteht, als wären wir im Westen für die Meinungsfreiheit, und als wären etwa in islamischen Gesellschaften die Menschen eher für den Schutz religiöser Werte gegen die Meinungsfreiheit."
Im Iran beispielsweise gebe es Journalisten und Schriftsteller, die für die Meinungsfreiheit ihr Leben riskierten und in der Gesellschaft dafür hoch anerkannt würden.
Es sei also wichtig, genauer hinzusehen, meint Bielefeldt, denn auch in zum Teil sehr konservativ geprägten Gesellschaften würden zahlreiche Menschen für die Menschenrechte eintreten.
Kritische Wachsamkeit gefordert
Der Professor, der auch die Menschenrechtskommission der katholischen Kirche "Justita et Pax" berät, erinnert daran, dass selbst die christlichen Kirchen lange gebraucht hätten, ehe sie das Eintreten für die Menschenrechte als wichtiges Element ihres "Kerngeschäfts" erkannten.
Heute gehörten sie zu den Institutionen, die nach allen Seiten hin vor der Verletzung der Menschenrechte wie vor der Gefahr ihrer politischen Instrumentalisierung warnten, etwa für wirtschaftliche oder strategische Interessen bis hin zur Rechtfertigung von Kriegen.
Die sei ein Missbrauch der Menschenrechte, denn, so Bielefeldt: "… nicht jeder, der die Menschenrechte im Munde führt, meint es ernst, und deshalb bedarf es kritischer Wachsamkeit."
Hajo Goertz
© Deutsche Welle 2006
Qantara.de
Hintergrund
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