Law-and-Order-Populismus
Der Fall beschäftigt die Republik und sorgt für fette Schlagzeilen am Boulevard. Zwei jugendliche Schläger haben einen 76-Jährigen in der Münchner U-Bahn fast zu Tode geprügelt. Weil der sie aufforderte, in der Metro nicht zu rauchen. Das reicht offenbar schon aus, dass alle Hemmungen fallen.
All das wird jetzt wieder unter "Ausländergewalt" abgebucht. Serkan A., 20, ist "Türke", was heißt, dass er zwar hier geboren ist, aber die Staatsbürgerschaft eines Landes besitzt, mit dem er nichts zu tun hat. Und was vor allem heißt, dass er wohl mit dem Bewusstsein aufgewachsen ist, lebenslang hier nicht "dazu" zu gehören – was ja übrigens von der Staatsbürgerschaft ziemlich unabhängig ist. Der andere, Spiridon L., ist "Grieche".
Das hat ihn zwar offenbar nicht davon abgehalten, sich mit einem Türken zu befreunden, aber es hat ausgereicht, dass sich beide als anders, als nicht-deutsch sahen. "Du Scheiß-Deutscher", sollen sie dem Rentner angebrüllt haben, während sie auf ihn eintraten.
Populismus statt Aufklärung
Es geht hier nicht darum, solche Taten zu verniedlichen oder zu entschuldigen. Es sind Akte, die sozialer Verrohung entspringen. Dass schlechte Verhältnisse gute Menschen hervorbringen, kommt zwar im Einzelfall vor, aber eher in den sozialromantischen Prosawerken von Charles Dickens als im wirklichen Leben.
Man könnte fragen, welchen Preis man dafür bezahlt, wenn man ganze Milieus und ganze Generationen in ein Unterschichtendasein ohne Zukunft einzwängt. Man könnte sogar auf die Idee kommen, dass man alles tun sollte, damit das nicht geschieht, und zwar nicht nur aus Altruismus, sondern aus aufgeklärtem Eigennutz:
Es wäre ja für die gesamte Gesellschaft nützlich, wenn sie dafür sorgt, dass man ihre Parks und in der U-Bahn sicher ist und nicht in ständiger Gefahr lebt, überfallen zu werden. Aber von all dem ist nicht die Rede – sondern nur von den "ausländischen Gewalttätern".
Die Chiffre "Ausländer"
Diese sollen abgeschoben oder in Umerziehungslager gesteckt werden, wird da phantasievoll aus der Union vorgeschlagen, zumindest aber soll das Jugendstrafrecht ordentlich verschärft werden. Keiner aber fragt sich, ob der Aggressionsstau nicht auch damit zu tun hat, dass die sozialen Probleme stetig ethnisiert werden.
Was eine Unterklasse der Ausgeschlossenen und Chancenlosen ist, wird mit dem Chiffre "Ausländer" versehen. Die Jugendlichen sehen sich dann selbst als "Ausländer" und entwickeln einen Hass auf alles Deutsche.
Nicht, dass es Rohheit und Gewalt nicht auch anderswo gäbe. Aber es ist kaum vorstellbar, dass ein Hispanic oder ein Sinoamerikaner sich auf einen Weißen in der U-Bahn von New York stürzt und als "Scheiß-Amerikaner" beschimpft. Denn Amerikaner sind ja beide. Und in Frankreich sehen es die Kinder der Einwanderer als Kränkung an, dass ihnen nicht alle Chancen so offen stehen, wie "jedem anderen Franzosen" auch.
Die Nation, in der man lebt, wird jedenfalls nicht als etwas angesehen, von dem man sich angeekelt abwendet, sondern deren Versprechen man ernst nimmt – auch wenn die Realität mit den schönen Ideen von Chancengleichheit und Brüderlichkeit nicht immer übereinstimmt.
Prävention statt Reaktion
Nicht aber hierzulande, wo man lebenslang "Ausländer" bleibt. Die Ethnisierung sozialer Brandherde macht es jedenfalls nicht leichter, sie zu löschen. Freilich: Die Nicht-Ethnisierung würde all diese Probleme auch nicht aufheben, da soll man sich nichts vormachen. Gelöst können die Probleme von Jugendgewalt, Verrohung und Zukunftslosigkeit nur werden, wenn man von früher Kindheit an alles unternimmt, solche Unterklassenkarrieren zu verhindern.
Dafür braucht es Investitionen in Kindergärten, Förderunterricht, in Schulen. Kurzum: Faire Chancen für die, die in Chancenarmut hineingeboren werden. Das sind zu einem hohen Anteil Migranten. Aber nicht nur. Die "ausländischen Gewalttäter" sind bunt gemischt. Es gibt auch genügend "echte Deutsche" unter ihnen.
Den Roland Kochs und all den anderen Law-and-Order-Populisten, die sich jetzt hervortun, sei aber gesagt: Gefängnisse sind keine Lehranstalten für eine bessere Lebensführung. Sondern eher Akademien der Gewalttätigkeit. Gewiss, gewalttätige Übergriffe müssen strafrechtlich verfolgt werden.
Doch statt reaktionär und wahlkampfwirksam für ein schärferes Jugendstrafrecht einzutreten, wäre es besser, für eine Gesellschaft zu einzutreten, in der sich Jugendliche nicht für Gewaltkarrieren entscheiden.
Robert Misik
© Qantara.de 2008
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