Schreit euren Namen
SAID war ein großer Dichter, der immer alles klein schrieb, außer seinen eigenen Namen. Darin lag weniger Überheblichkeit als der Wille zur Selbstbehauptung: „schreit euren namen / laut und deutlich — denn hier, / auf dem sklavenmarkt, / versteigert man den, / der schweigt.”
SAID gehörte zur ersten Generation derjenigen Autorinnen und Autoren, die als nicht-deutsche Muttersprachler mit ihren Texten auch in der deutschen Literaturszene Gehör fanden — ein langer, mühseliger Weg. Geboren 1947 in Teheran als Sohn eines Offiziers unter dem bürgerlichen Namen Said Mirhadi, wurde er 1965 zum Studium nach Deutschland geschickt: „dann verschlug mich das leben hierher, im alter von 17. wie ein kind, das schlafend fortgetragen wurde“, heißt es in einem autobiographischen Text.
Wechsel der Sprachen
In Deutschland ‚erwachte‘ er inmitten der Studentenbewegung, unerhörter Freiheiten und politischer Proteste, die sich ausgerechnet am Land seiner Herkunft entzündeten, Iran. Der Besuch des Schahs am 2. Juni 1967 bildete den Kristallisationspunkt der Studentenbewegung in Deutschland. Aus dem Studenten wurde ein politischer Dichter, der unermüdlich die Diktatur in seinem Land anprangerte, zunächst die des Schahs, dann die der Mullahs. Und bald nicht mehr auf Persisch, sondern auf Deutsch: “in unserem dürren exil / wollte niemand meine persischen gedichte. / es waren nur kampflieder / angesagt in unserem kreis - /da nahm ich zuflucht / zur deutschen sprache; / die mich aufnahm / so gastlich sie konnte”.
Als der Schah 1979 gestürzt war, ging SAID wieder nach Iran. Schneller als andere verstand er, dass dem Land nur eine weitere, nun religiöse Diktatur bevorstand und kehrte bereits nach sechs Wochen zurück. Das Exil war damit endgültig. In einem Gedichtband zitiert SAID Jean Améry mit der Erkenntnis, „daß es keine Rückkehr gibt, weil niemals der Wiedereintritt in einen Raum auch ein Wiedergewinn der verlorenen Zeit ist.”
Wider die orientalischen Klischees
Mit Metaphern ging SAID sparsam um. Er liebte die persische Literatur, pflegte seine Muttersprache, las die alten Dichter ebenso wie die neuesten, mit denen er oft in Kontakt stand. Aber nie bediente er die geläufigen Klischees von der Blumigkeit der orientalischen Poesie. Sein Deutsch — hart, kühl, schneidend — war das Gegenteil der Sprachverliebtheit, welche die persische Lyrik teils heute noch prägt. Sprachliche Nüchternheit, wenngleich auf verspieltere Weise, prägte auch seine Prosa und seine Essays, die in den letzten Jahren die Oberhand über die Lyrik gewannen. Dazu zählt der schöne Band mit „Geschichten über Bilder“ („Das Rot lächelt, das Blau schweigt“) oder das Buch mit dem Rilkeschen Titel über „Das Tier, das es nicht gibt“ — ein sprachliches Kaleidoskop, in dem die Klischees und Worthülsen der deutschen Gegenwart ad absurdum geführt werden.
Politisches Engagement: Als Präsident des deutschen PEN-Clubs rettete er buchstäblich Leben
Eine für viele Autoren lebensrettende Rolle spielte SAID als Präsidiumsmitglied und dann Präsident des Deutschen PEN-Clubs zwischen 1995 und 2002, als es Ende der neunziger Jahre in Iran zu einer Reihe von Morden und Mordversuchen an Schriftstellern und Intellektuellen kam. Er wurde in jener Zeit zu einem gefährlichen Gegenspieler des Regimes und sah sich selbst von iranischen Agenten bedroht, hielt seine Adresse geheim. Sich mit ihm zu treffen, hatte lange Zeit eine konspirative Anmutung.
Dass er mit dem iranischen Regime und dem politisierten Islam auf dem Kriegsfuß stand, machte ihn freilich nicht zu einem Verherrlicher Deutschlands oder des Westens: „wie oft höre ich diese phrase – meist mit einem unerträglich gönnerhaften pathos: ‚im orient hat es keine aufklärung gegeben, darin liegt seine misere.‘ deutschland hat sehr früh die aufklärung für sich entdeckt – nicht zuletzt durch die schriften von immanuel kant – und ermordete dennoch 6 millionen menschen. […] wer also behauptet, aufklärung münde zwangsläufig in toleranz, der unterstreicht lediglich seine blauäugigkeit.“
Beharren auf der Fremdheit
Mit dieser Haltung konnte SAID nicht populär werden, erhielt jedoch zahlreiche Ehrungen, so 2002 den Adalbert-von-Chamisso-Preis. Er bewahrte seinen Stolz, rauchte auch nach einer schweren Herzoperation Anfang der zweitausender Jahre ohne schlechtes Gewissen und blieb im doppelten Exil eines Menschen, der das „blauäugige“ Heimischwerden im neuen Land oder der neuen Sprache als Kapitulation begreift. „wo ich sterbe ist meine fremde“ lautet der Titel eines seiner bekanntesten Gedichtbände.
Am vergangenen Samstag ist SAID im Alter von 73 Jahren in München, wo er lebte, seit er nach Deutschland kam, an einem Herzinfarkt gestorben. Er wird allen ein Vorbild bleiben, die sich nicht für eine einzige, einsinnige Identität entscheiden wollen.
© Qantara.de 2021
Stefan Weidner ist Autor und Islamwissenschaftler. Zuletzt erschien von ihm: „Ground Zero. 9/11 und die Geburt der Gegenwart.“ Hanser Verlag, München 2021.