Die jordanische Tragödie
Seit Dienstagabend stehen die Jordanier unter Schock. Sie sahen ein Video, das alle bislang gezeigten Gräueltaten des "Islamischen Staates" in den Schatten stellte. Es zeigt, wie der jordanische Pilot Muas al-Kasasba, dessen Maschine im Dezember 2014 über einem von der Terrororganisation "Islamischen Staat" (IS) beherrschten Gebiet im Norden Syriens abgestürzt war, bei lebendigem Leib verbrannt wird. Die Dschihadisten hatten behauptet, sie hätten die Maschine abgeschossen, die US-Regierung sprach von einem technischen Defekt.
Die jordanischen Medien zeigten sich über die Ermordung al-Kasasbas entsetzt und wütend zugleich. Die Terroristen würden sehr bald merken, dass die Jordanier an der Tragödie wachsen und ihre Anstrengungen im Kampf gegen den IS nur verstärken würden. "Wir haben genug Instrumente, diese Terroristen zu besiegen", schrieb etwa die jordanische Tageszeitung "Al Ghad". "Das erste Instrument ist die Hinrichtung von heute."
Hinrichtung als Antwort
Damit spielte sie auf die Exekution zweier inhaftierter Dschihadisten am frühen Mittwochmorgen, wenige Stunden nach Bekanntwerden des Videos, an. Eine der beiden hingerichteten Personen war eine Frau: Sadschida al-Rischawi. Zusammen mt ihrem Mann hatte sie sich Ende 2005 an einer Anschlagsserie auf mehrere Hotels in Amman beteiligt. 60 Menschen starben dabei. Al-Rischawi hatte sich wie ihr Mann in die Luft sprengen wollen, doch der Zünder ihres Sprengstoffgürtels versagte. Sie wurde festgenommen und kurz darauf zum Tode verurteilt. Die verhinderte Attentäterin gehörte einer Gruppe an, aus der sich später der IS entwickelte. Dieser hatte verkündet, er wolle den entführen al-Kasasba gegen al-Rischawi und andere Terroristen tauschen. Doch zu diesem Zeitpunkt war der Pilot vermutlich schon lange tot.
Für den Vater al-Kasasbas weist der Tod der Attentäterin in die richtige Richtung. Er hatte die Regierung aufgefordert, den Tod seines Sohnes zu rächen. "Sadschida al-Rishawi bedeutet nichts im Vergleich zu Muas", erklärte er. "Ihre Hinrichtung bedeutet nichts im Vergleich zum Tod meines Sohnes. Ihr Tod allein reicht nicht. "
Langfristige Herausforderungen
Die Hinrichtung der beiden Gefangenen sei in der aufgeheizten Atmosphäre zwar nachvollziehbar, sagt der am Think Tank FRIDE ("Fundación para las Relaciones Internacionales y Exteriores") in Madrid forschende Politikwissenschaftler Barah Mikaïl. Es sei aber fraglich, ob dies langfristig weiterführe. "Das Prinzip 'Auge um Auge, Zahn um Zahn' dürfte kaum die grundlegenden Probleme lösen, die zur Gründung des IS führten."
Denn auch in Jordanien sympathisieren einige Bürger mit dem IS. Sie sind zwar deutlich in der Minderheit, stellen aber trotzdem eine Kraft dar, auf die der IS rechnen kann. Im Sommer hatten einige von ihnen in der im Süden des Landes gelegenen Stadt Ma'an die schwarze Fahne des IS gehisst. Die ist inzwischen nicht mehr zu sehen. In Syrien kämpfen einige tausend Jordanier für den IS. Das Land stellt eines der größten Kontingente dschihadistischer Kämpfer überhaupt.
Das tödliche Engagement dürfte zu nicht geringen Teilen auf die schwierige wirtschaftliche Lage des Landes zurückgehen. Die Arbeitslosenquote liegt bei rund zwölf Prozent, der jordanische Durchschnittslohn bei umgerechnet knapp über 500 Euro. Auch mit Flüchtlingsströmen hat das Land zu kämpfen: Es brauchte Jahrzehnte, um die hunderttausenden Flüchtlinge aus Palästina zu verkraften, die nach der Staatsgründung Israels in das Königreich geflohen waren. Dann folgten Flüchtlinge aus Syrien – derzeit gut eine Millionen. Diese Zahl stellt die traditionell großzügige jordanische Gastfreundschaft auf eine harte Probe.
Viele Jordanier stören sich auch an den rund 10.000 in ihrem Land stationierten US-Soldaten. Ebenso können viele nicht nachvollziehen, warum König Abdullahs sich am Kampf gegen den IS beteiligt, zugleich aber nichts gegen den syrischen Diktator Baschar al-Assad unternimmt. In der Tat ist dessen Regime nicht nur für den Tod hunderttausender Syrer verantwortlich. Es hat auch gezielt dazu beigetragen, dass der IS überhaupt zu seiner jetzigen Stärke kommen konnte.
"Kämpfen bis zum Tod"
Entschlossen hat sich Jordanien in die Internationale Koalition eingereiht, die unter Führung der USA den IS bekämpft. Dieses Engagement sei richtig, sagt Barah Mikaïl. Doch es habe auch seine Grenzen. Militärisch seien die IS-Terroristen schwer zu beeindrucken. "Ich nehme an, sie kämpfen bis zum Tod."
Umso wichtiger sei neben der militärischen darum auch eine politische Strategie. Das Problem sei nur, dass auch diese zu keinen schnellen Ergebnissen führen werde. Dafür seien die Probleme nicht nur in Jordanien zu komplex. In weiten Teilen der arabischen Welt gebe es eine sehr hohe Jugendarbeitslosigkeit und weit verbreitete Korruption. In den westlichen Ländern hingegen fühlten sich viele arabisch-stämmige Migranten nicht hinreichend aufgenommen. Das treibe immer mehr junge Menschen in die Arme des IS. "Werden die dem Phänomen zugrundeliegenden Probleme nicht angegangen, werden sich immer mehr junge Menschen zum IS hingezogen fühlen."
Die außergewöhnliche Brutalität des IS könnte sich auch aus diesem Zusammenhang erklären, meint Mikail. Die Terroristen, so vermutet er, spekulierten darauf, durch die im Netz abrufbaren Hinrichtungsszenen Teile der arabischen Bevölkerung gegen ihre jeweiligen Regierungen aufzubringen. Denn diese, so die vom IS intendierte Botschaft, seien nicht in der Lage, ihre Bürger vor dem Terror zu schützen. Dies wiederum mindere ihre Legitimität. So der eine Teil der Botschaft. Er richte sich an potentielle Sympathisanten des IS. Für dessen Gegner aber halte das Video mit dem Mord an Muas al-Kasasba eine andere Botschaft bereit: "Wer sich dem IS entgegenstellt, den könnte ein ähnliches Schicksal ereilen."
Kersten Knipp
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